Rheinische Post - Xanten and Moers
Straflager verweigert Nawalny weiter ärztliche Hilfe
Eine Ärzte-Gewerkschaftschefin wollte den gefangenen Oppositionellen besuchen. Sie wurde jedoch an der Tür der Haftanstalt abgewiesen.
MOSKAU Als die Vorsitzende der „Allianz der Ärzte“, Anastasia Wassiljewa, gegen Mittag in Pokrow eintraf, begleiteten nur ein paar Ärzte und Journalisten die Aktivistin in den 17.000-Seelen-Ort im Osten Moskaus. Wassiljewa ist Augenärztin und behandelt auch Alexej Nawalny, nachdem ihm Rechtsradikale eine ätzende Tinktur in die Augen gegossen hatten. Wassiljewa hatte ihren
Besuch öffentlich angekündigt, einige Dutzend Aktivisten sind ihr gefolgt. Doch das Straflager blieb verschlossen: Der Leiter befand sich im Urlaub, auch der Stellvertreter war nicht anzutreffen, den die Ärztin mehrfach vergeblich anzurufen versuchte. Schließlich verfasste sie ein Schreiben, das über den Postweg der Leitung zugestellt werden soll.
Die Mediziner wollten Nawalny besuchen, der über starke Rückenschmerzen und Lähmungserscheinungen
in den Beinen geklagt hatte. Außerdem beklagte er sich über erhöhte Temperatur (38,1) und starken Husten. Seit Tagen verlangte der Oppositionelle, Ärzte zu ihm zu lassen. Die Lagerverwaltung ging darauf jedoch nicht ein.
Die Gewerkschaft „Allianz der Ärzte“hatte bereits kritisiert, dass Nawalny keine ausreichende medizinische Hilfe erhalte. Wegen mangelnder medizinischer Versorgung war der 44-Jährige schon vergangene Woche in einen Hungerstreik getreten. Zudem werde er nachts jede Stunde geweckt – auch Schlafentzug ist eine Foltermethode.
Nach knapp eineinhalb Stunden wurden schließlich auch mehrere Gewerkschaftsmitglieder, Anastasia Wassiljewa selbst und Journalisten in einem Gefangenentransporter festgesetzt. Wassiljewa trug ein langes weißes Kleid, das an die Berufskleidung von Ärztinnen erinnerte.
Polizisten hatten vorher in dem verschlafenen Ort hinter Metallgittern Stellung bezogen. Der Zugang zum Lager wurde allen Angereisten verwehrt. Kurz zuvor war die Reporterin Maria Butina vom regierungstreuen Propagandasender RT (früher Russia Today) im Straflager gewesen: Sie verglich es mit einem Sanatorium und Ferienlager. Butina hatte bis Oktober 2019 wegen vermeintlicher Spionage in den Vereinigten Staaten im Gefängnis gesessen. Eigentlich hätte sie einen Antrag stellen müssen, um den Häftling Nawalny ansprechen zu dürfen. In ihrem Fall waren jedoch keine Formalitäten erforderlich.
Kremlsprecher Dmitri Peskow meinte unterdessen, wenn es sich beim schlechten Gesundheitszustand Nawalnys tatsächlich um eine Krankheit handle, „dann wird auf dem entsprechenden, vorgesehenen Niveau eine Behandlung sichergestellt“.