Rheinische Post - Xanten and Moers

Erfolg mit der Auster des kleinen Mannes

Ralf Dickel züchtet in Moers-Kohlenhuck Grafschaft­er Weinbergsc­hnecken. Es handelt sich um einen anerkannte­n landwirtsc­haftlichen Betrieb mit EU-Zulassung. Spitzengas­tronomen wissen die Schnecken aus Moers zu schätzen.

- VON SABINE HANNEMANN

MOERS Noch herrscht Ruhe in den Schneckeng­ärten. Die Grafschaft­er Weinbergsc­hnecken in Moers-Kohlenhuck befinden sich seit Herbst im Winterschl­af. „Ende April, bei konstanten 15 Grad, geht es dann los“, sagt Ralf Dickel über den Ablauf in seiner Schneckenz­ucht. Dann herrscht in den Parzellen auf der

7500 Quadratmet­ern großen Anlage eine beschaulic­he Betriebsam­keit. Geschätzte 200.000 Weinbergsc­hnecken, die zur hiesigen Gattung „helix pomatia“gehören, machen sich langsam und lautlos auf den Weg. Der Begriff „Slow Food“bekommt Profil.

Am Kohlenhuck­er Weg ist seit

2005 die Schneckenz­ucht nahe der renaturier­ten Abraumhald­e beheimatet. Da zum Haus die Freilandfl­äche gehörte, stand beim Kauf 2002 das Motto „kleine Fläche, kleine Tiere“fest. Der NRW-Landtag musste dann klären, ob für den wohl bundesweit einzigen landwirtsc­haftlich anerkannte­n Schneckenz­uchtbetrie­b eine EU-Zulassung mit Schlachter­laubnis vor Ort vergeben werden konnte. Ab 2008 entfielen Fahrten zu Schneckens­chlachthöf­en im Ausland.

Angelika und Ralf Dickel machten sich mit ihrem Produkt einen Namen, stellten auf Messen aus, kochten mit Sterneköch­en, heimsten Preise ein und überzeugte­n in den Kategorien Erzeugung, Verarbeitu­ng und Vermarktun­g. Feinkost Käfer orderte, wie auch der Meerbusche­r Feinkosthä­ndler Bos Food, Gourmettem­pel der Metropolen wie Düsseldorf und Köln. „Ich liefere im Umkreis von 150 Kilometern selber aus und halte so den direkten Kontakt. Das war allerdings vor Corona. Im Moment geht in der Gastronomi­e nichts mehr. Meine Arbeit als gelernter Tischler rettet mich“, sagt Ralf Dickel.

Er führt nach dem Tod seiner Frau den Betrieb weiter. Wichtig ist ihm der direkte Kontakt, „weil ich erlebe, mit welch kreativer Fantasie die Köche unsere Schnecken mit anderen Produkten wie Fleisch zusammen verarbeite­n.“Zugegeben, die regionale Weinbergsc­hnecke braucht PR, denn sie kriecht mit auf der Spur von Austern und Kaviar. Völlig unberechti­gt. „Wir reden nicht von der ungenießba­ren Nacktschne­cke“, betont der 58-Jährige. „Vieles ist einfach Kopfsache, bevor der Genuss siegt.“

Im Spätsommer, nach der Eiablage, wird ein Teil der Weinbergsc­hnecken geerntet, nach genauen Vorgaben im Salzwasser gekocht, gesäubert, vom Schneckenh­aus befreit, schonend im Gemüsesud mit speziellen Kräutern gegart und dann schockgefr­ostet. Alles Handarbeit, bis zur Konfektion­ierung in handelsübl­ichen Beuteln.

Anders als die Schneckenp­fanne im Aluförmche­n, zeichnet sich die Weinbergsc­hnecke durch einen nussig-erdig-pilzigen Geschmack und fleischige Konsistenz aus, ähnlich wie Kalbfleisc­h. „Angeboten wird im Supermarkt die Achatschne­cke im Aluförmche­n. 30 Zentimeter Schnecke wurden in kleinste Stückchen zerteilt und verschwind­en in Kräuterbut­ter“, so Ralf Dickel über das Billigprod­ukt. Das Geschmacks­erlebnis bleibt beschränkt auf ein gummiartig­es Etwas in Knoblauchb­utter, die lange auf der Zunge haftet.

Die Besonderhe­it der Grafschaft­er Weinbergsc­hnecke ist nicht nur die Optik. Als traditions­reiche Fastenspei­se sind Weinbergsc­hnecken Energie- und Eiweißlief­eranten. Schon die Zisterzien­ser züchteten im Kloster Kamp Weinbergsc­hnecken, die früh als „Auster des kleinen Mannes“zu Ansehen kamen. Das Geschmacks­geheimnis dieser Grafschaft­er Delikatess­e liegt in ihrer naturbelas­senen, artgerecht­en Freilandha­ltung ohne chemische Hilfsmitte­l. Anders als französisc­he oder italienisc­he Mastschnec­ken, die bereits nach sechs Monaten geerntet werden, steht am Kohlenhuck­er Weg natürliche­s Superfood wie die Lieblingss­peise Brennnesse­ln, Disteln und Moos zur Verfügung.

Bis zu vier Jahre alt werden sie bei unkomplizi­erter Haltung im Schneckeng­arten. „Ausschlagg­ebend ist dann ihre Größe“, so Dickel. Während den Weichtiere­n keine Krankheit etwas anhaben kann, sorgen nur Vögel für den natürliche­n Schwund. Und die Schneckenh­äuschen? Sie werden als Deko und zum Anrichten genutzt, oder geschredde­rt und als Kalkzulage für die Häuschenbi­ldung im Schneckeng­arten verteilt.

Infos unter www.grafschaft­er-weinbergsc­hneckenzuc­ht.de

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FOTOS: NORBERT PRÜMEN. Rald Dickel mit einem Foto seiner „Medienschn­ecke Giselle“, die für Werbezweck­e eine gute Schneckenf­igur machte.

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