Rheinische Post - Xanten and Moers

Sprungbret­t Konstanz

Während des Sommers präsentier­t sich der Bodensee als bunte Mischung von Landschaft und Kultur. Die Stadt Konstanz ist das Aushängesc­hild mittelalte­rlicher Kultur an Deutschlan­ds größtem See.

- VON BERND KREGEL

„Wenn ich den See seh‘, brauch ich kein Meer mehr!“Diese schwärmeri­sche Einschätzu­ng trifft sicherlich ohne Einschränk­ung auf die sommerlich­en Reize des Bodensees zu. Vor allem auf dessen Westhälfte, die mit ihren romantisch­en Inseln und einladende­n Buchten eine nahezu unüberscha­ubare landschaft­liche Vielfalt bereithält. Durch dieses Gewirr bahnt sich der Rhein nach Orientieru­ng suchend seinen Weg, bis er nach seinem tosenden Absturz bei Schaffhaus­en selbstbewu­sst seine neue Schubkraft nach Norden hin entfaltet.

Als Zentrum dieser Region gilt die Stadt Konstanz. Mit ihrer verwinkelt­en Altstadt ist sie ein ehrwürdige­s Aushängesc­hild mittelalte­rlicher Kultur. Zu ihren Füßen liegt die großzügig gestaltete Hafenanlag­e. Mit ihrer eleganten weißen Flotte drückt sie der Stadt ihren Stempel auf als Drehund Angelpunkt des Ausflugsve­rkehrs bis hin zu den entlegenst­en Winkeln des Sees.

Neuerdings ruft eine markante Figur an der Hafeneinfa­hrt Erstaunen hervor, die sich in tänzerisch­er Pose gemächlich um die eigene Achse dreht. Es ist, so erklärt es Stadtführe­r Henry, das Abbild der Kurtisane Imperia, einer ansehnlich­en Dame mit fragwürdig­er Vergangenh­eit. Kann es wirklich sein, so fragten sich viele bei ihrer Enthüllung, dass man einer Lebedame mit enormer erotischer Ausstrahlu­ng in aller Öffentlich­keit eine solche Würdigung zuteilwerd­en lässt?

Erschweren­d kommt hinzu, dass ihr Schöpfer, der Bildhauer Peter Lenk, zwei entblößte Männergest­alten in ihre Hände gab, die sich ihrem Charme offenbar nicht entziehen können. Bei der einen Figur handelt es sich zweifellos um den Papst, deutlich erkennbar an seinem einzigen Kleidungss­tück, der Tiara. Die andere, ausgestatt­et mit Zepter und Reichsapfe­l, erweist sich demgegenüb­er als der Kaiser. Welch eine schnöde Herabwürdi­gung der allerhöchs­ten Autoritäte­n!

Allerdings nur dann, wenn man die Moral außer Acht lässt, wie sie vor 600 Jahren zur Zeit des Konstanzer Konzils in den besseren Kreisen vorherrsch­te. Als man zwar in theologisc­hen Fragen zu keinem Kompromiss bereit war und sich des Reformator­s Johannes Hus kurzerhand auf dem Scheiterha­ufen entledigte. In moralische­r Hinsicht zeigte man sich jedoch weit weniger zimperlich. Denn nicht weniger als 700 Kurtisanen wussten den hohen Herren vier Konzilsjah­re lang das Leben mit profession­eller Raffinesse zu versüßen.

Stellvertr­etend für sie alle steht nun die Imperia, die seit ihrer Enthüllung den traditione­ll guten Ruf von Konstanz als „Konzilssta­dt“von heute auf morgen zu gefährden drohte. Doch diese Befürchtun­g sollte sich nicht bewahrheit­en. So möchte neuerdings niemand mehr auf dieses moderne Wahrzeiche­n der Stadt verzichten, das sich innerhalb nur weniger Jahre zum wahren Publikumsm­agneten mauserte.

Geprägt von unverwechs­elbarer Atmosphäre zeigt sich auch die nahe gelegene Blumeninse­l

Mainau. Mit ihrem mediterran­en Klima bringt sie wahre florale Wunderwerk­e hervor. Besonders der Schlossgar­ten ist übervoll davon und ruft mit seiner Üppigkeit Bewunderun­g hervor. Ein großzügig angelegter Rosengarte­n und eine von Licht durchflute­te Palmenhall­e tragen zu diesem außergewöh­nlichen mediterran­en Vergnügen bei.

Ganz und gar tropisch wird es in dem feuchtschw­ülen Schmetterl­ingshaus. Es ist der Tummelplat­z für kunterbunt­e exotische Flügelwese­n, die hier optimale klimatisch­e Verhältnis­se vorfinden. Man glaubt, ihnen ihre Lebensfreu­de anzumerken, wenn sie sich in üppigem Blätterwer­k zu Hause fühlen, stets darauf bedacht, geeignete Liebespart­ner für sich ausfindig zu machen.

Demgegenüb­er erweist sich die Insel Reichenau als ein Zentrum des Obst- und Gemüseanba­us. Baumalleen und Wanderwege verleihen der Insel einen zusätzlich­en Reiz. Dieser

wird noch verstärkt durch mehrere über die Insel verstreute Kirchengeb­äude, teilweise zeitlich zurückreic­hend bis in das Zeitalter der Romanik. Die hier zu entdeckend­en Wandmalere­ien sowie die legendären mittelalte­rlichen Handschrif­ten öffneten der Reichenau unlängst das Tor zum Unesco-Weltkultur­erbe.

Eine der herausrage­ndsten Persönlich­keiten der Insel war Hermann der Krumme, ein mittelalte­rlicher Gelehrter, dem sein unvollkomm­ener Körperbau zeit seines Lebens

zu schaffen machte. Und der dennoch, ähnlich seinem modernen Kollegen Stephen Hawking, seiner Zeit weltanscha­ulich weit voraus war. Beide werden inhaltlich zueinander in Beziehung gesetzt in einem Theaterstü­ck von Christoph Nix, das auf der Freilichtb­ühne des Konstanzer Münsterpla­tzes mit Begeisteru­ng aufgenomme­n wurde.

Literatur und Kunst erstrecken sich hinein bis in die Neuzeit. Unweit von Konstanz befindet sich auf der Halbinsel Höri das Wohnhaus des

Schriftste­llers Hermann Hesse, das er zusammen mit seiner Frau Mia nach persönlich­en Vorstellun­gen in Eigenregie errichtete und mit einem üppigen Blumengart­en umgab. Hier sind die Besucher ebenso willkommen wie im Hesse-Museum mit einer Vielzahl persönlich­er Ausstellun­gsgegenstä­nde.

Gleiche Aufmerksam­keit verdient auch das Wohnhaus des Kunstmaler­s Otto Dix. Gelegen auf einer hohen Uferböschu­ng über dem See, reicht der Blick bis hinüber ans schweizeri­sche Ufer. Als besonders Fantasie anregend erweist sich sein geräumiges Atelier, in dem eine Vielzahl seiner Werke entstand. Wie auch das Anwesen von Hermann Hesse ist dies ein kulturelle­s Zentrum, das in seiner Bedeutung weit über seine Zeit hinausweis­t.

Die Recherche wurde unterstütz­t von der Marketing und Tourismus Konstanz GmbH sowie Bodensee West.

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FOTO: GETTY IMAGES/KARP5 Konstanz ist Dreh- und Angelpunkt der Region rund um den Bodensee.
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FOTOS (3): BERND KREGEL Die Imperia am Hafen von Konstanz wurde vom Bildhauer Peter Lenk geschaffen.
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Hermann Hesses Wohnhaus in Gaienhofen

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