Rheinische Post - Xanten and Moers

„Ich spiele zwar ins Nichts hinein, doch es fühlt sich an wie ein kleiner Auftritt“

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SONSBECK/XANTEN Bei frischen sechs Grad steht Jörg Klotzbach mit seiner Gitarre und einem Cajon (einer Kistentrom­mel) vor der untergehen­den Sonne an der Xantener Südsee und zitiert Herbert Grönemeyer: „Kultur in ihrer gesamten Vielfalt ist die rauschende Seele, ist der öffentlich­e Herzschlag eines Landes.“In eigenen Worten ergänzt der Sonsbecker Musiker: „Und wenn man das kulturelle Leben so beschneide­t, dann kann es nicht gut sein.“Dann stimmt er seinen Song „Love shines on“an. Es ist Klotzbachs neunter Live-Auftritt innerhalb eines Monats. Jede Woche spielt er woanders. Nur das Publikum fehlt dabei, na klar, corona-bedingt. Um auf die prekäre Lage der Veranstalt­ungsbranch­e aufmerksam zu machen, spielt der Sänger und Gitarrist in seiner Reihe „JIP Band at lost places“bewusst an vereinsamt­en Orten.

Für die Öffentlich­keit sind Klotzbachs Lieder aber dennoch bestimmt. Kaum hat er den letzten Ton gesungen, dreht er sich zu seinem Sohn, der ihn an diesem Tag mit seinem Smartphone begleitet. „Hast Du es im Kasten?“, fragt Klotzbach und will in das eben gedrehte Video hineinscha­uen. Schließlic­h soll alles sitzen, wenn der Song am Freitag bei Youtube online geht. Hat der Sohnemann keine Zeit, macht der Musiker auch das in Eigenregie, packt neben Gitarre und Cajon noch Smartphone und zwei Akkus in die Tasche und begibt sich auf gänzlich einsame Pfade.

An diesem Abend ist er an der Xantener Hafenprome­nade, wo sonst im Frühling das Leben tobt. „Den Ort habe ich ausgewählt, weil ich hier die Konzertrei­he Acoustic Plaza mitorganis­iere“, sagt Klotzbach. „Das Stück ,Love shines on’ singen dabei sonst alle Künstler zum Schluss zusammen.“2020 musste der Musikabend jedoch ausfallen. Klotzbach hofft, dass er Mitte August dieses Jahres stattfinde­n kann.

Schon als Jugendlich­er hat der Sonsbecker mit Musik angefangen. „Ich war mit 13 auf einen Kiss-Konzert, danach war’s um mich geschehen“, erzählt der heute 55-Jährige. Erst war er Mitglied in einigen Duisburger Bands. Nach einer musikalisc­hen Pause brachte er 2012 als Sänger und Songwriter das JIPBand-Projekt auf den Weg. Politische Popsongs in Englisch – „das ist mein Ding“.

Die Lage habe sich für ihn als Veranstalt­ungstechni­ker durch die Pandemie gravierend verändert. „Von hundert auf null“sei es in der Branche gegangen, so dass er kurzfristi­g auf Elektroins­tallateur umstieg. Als Musiker habe er 2020 in der „etwas lockereren Corona-Zeit“im Sommer immerhin noch drei Konzerte gespielt. „Wir hatten in den Herbst reingeplan­t, mussten dann aber alles absagen.“Auf die Idee der Reihe „JIP Band at lost places“sei er durch einen Zufall gekommen. „Ich war in Bayern auf Elektromon­tage. Da haben Freunde von mir ein Online-Festival gemacht und auf Youtube gestellt.“Klotzbach

Jörg Klotzbach

Musiker beteiligte sich daran, indem er einfach auf einem leeren Parkplatz in einen VW-Bus stieg und eine Musikaufna­hme machte. „Das hat sich gut angefühlt und kam auch an“, so Klotzbach. Der Musiker wollte in der Heimat eine Reihe von verlassene­n Orten auf ähnliche Weise bespielen.

Entstanden sind bislang Videos unter anderem beim Messebau oder im Eventgebäu­de Weltkunstz­immer Düsseldorf, im Restaurant BB’s in Xanten oder sogar auf der Wiese vor dem Berliner Reichstags­gebäude. Klotzbach wählte aber ausgefalle­ne Orte, spielte etwa aus dem Kofferraum eines Autos, das am Rhein in Xanten stand.

Das Projekt sei ein Statement, um auf die Orte und Unternehme­n hinzuweise­n, die unter der Pandemie leiden. „Ich will dort einen Song spielen – für die anderen und für meine Seele“, sagt Klotzbach. Dabei versuche er, Lieder auszusuche­n, die zu dem jeweiligen Ort passten. „Favourite Song“zum Beispiel

nahm er im Kofferraum auf, „weil es in dem Lied darum geht, seinen Lieblingss­ong aufzulegen, wenn es einem dreckig geht“, erklärt der Musiker. Für das Video vor dem Reichstag wählte er „Universe“aus.

Der Song handle davon, wie es sei, „wenn man meint, das Zentrum des Universums zu sein“.

Bei diesem Format spiele er zwar auch „ins Nichts hinein“, sagt Klotzbach. „Aber es fühlt sich an, wie ein kleiner Auftritt, weil mir dabei immer irgendjema­nd vor Ort aufschließ­en muss.“Und die meisten fänden es gut, wieder mal etwas live zu hören. Auf Youtube könne er immerhin zwischen 60 und 165 Zugriffe verzeichne­n. „Um Quote oder kommerziel­len Profit geht es mir aber nicht“, betont Klotzbach.

In den kommenden drei Monaten wolle er auf jeden Fall noch weitere Videos drehen, dann aber vielleicht alle zwei Wochen und nicht mehr im wöchentlic­hen Rhythmus wie bisher. Zwei verlassene Orte hat er dabei schon fest im Visier: das Garzweiler-Loch, wo er einen Umweltsong spielen will – und ein Flüchtling­slager im französisc­hen Calais. „Ansonsten bin ich für alle Ideen offen.“

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RP-FOTO: PRÜMEN Jörg Klotzbach beim Dreh für sein neues Musikvideo: Am Xantener Hafen spielte er das Lied „Love shines on“.

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