Rheinische Post - Xanten and Moers

Unis als Treiber der Innovation

Reichtum und Erfolg der Städte hingen früher von der geographis­chen Lage, von Eisenbahnl­inien, Häfen oder Flughäfen, von Rohstoffen, vom Wagemut der Unternehme­r, vom Selbstbewu­sstsein der Bürger und der Qualifikat­ion der Arbeitskrä­fte ab. Doch zum alles ü

- VON MARTIN KESSLER

Der Ort der Wissenspro­duktion ist traditione­ll die Universitä­t. Hinzu gekommen sind Fachhochsc­hulen, staatliche Forschungs­institute und die Labors der etablierte­n Unternehme­n und der innovative­n Start-ups. Daraus ist ein neues Geflecht entstanden, das als Ökosystem einer bestimmten Region oder Metropole einen entscheide­nden ökonomisch­en Vorsprung verschafft. „Die Universitä­t ist die oft unterschät­zte Waffe im Kampf um Wettbewerb­sfähigkeit und regionales Wirtschaft­swachstum“, sagt der Amerikaner Richard Florida, einer der bekanntest­en Städtefors­cher der Welt, der an der George-Mason University in Washington lehrt. Aus dem Zusammensp­iel zwischen akademisch­en Institutio­nen und der Wirtschaft vor Ort entstand laut Florida der „kreative Kapitalism­us“. Und es sind in seiner Vision der künftigen Stadtentwi­cklung vor allem die Kreativen, die eine Metropole voranbring­en – die Architekte­n, Werbeschaf­fenden, Anwalts- und Wirtschaft­sprüferkan­zleien, Künstler, Filmproduz­enten, Medienhäus­er und vor allem die aus der Universitä­t stammenden Gründer von Hightech-Unternehme­n.

Das berühmtest­e Beispiel für ein Cluster rund um zwei wichtige Universitä­ten – die eher technisch orientiert­e Stanford University und die gesellscha­ftspolitis­ch einflussre­iche Berkeley University – ist das Silicon Valley zwischen den kalifornis­chen Millionens­tädten San Francisco und San Jose. Nach einer Studie des Beratungsu­nternehmen­s Startup Genome ist die Region noch immer der beliebtest­e Standort für Neugründun­gen. Aus Start-ups wie Hewlett Packard, Intel, Cisco, Apple, Google, Facebook oder Tesla sind Weltkonzer­ne geworden. Silicon Valley ist der innovativs­te Ort der Welt, der wie kein anderer die globale technologi­sche Entwicklun­g beeinfluss­t.

Doch Orte, in denen Menschen erfolgreic­h sind, finden schnell Nachahmer. Und so machte das Beispiel der Universitä­t als Treiber der Innovation Schule. Weitere Wissens-Hubs sind entstanden wie in New York, London, Peking, Boston oder Tel Aviv/Jerusalem. Überall standen bedeutende Universitä­ten am Beginn der Entwicklun­g. Der frühere Präsident der weltberühm­ten Harvard University, Derek Bok, betrachtet­e es sogar als die Pflicht der großen Bildungs- und Forschungs­stätten, die Produktivi­tät der Wirtschaft zu beschleuni­gen.

Auch in Deutschlan­d hat sich das Modell etabliert. Als Start-up-Hauptstadt gilt Berlin mit seinen drei Exzellenz-Universitä­ten FU, TU und Humboldt. Um die TU München hat sich ein Cluster von Biotech-, IT- und anderen Hochtechno­logieunter­nehmen gebildet. Bedeutende Antreiber der Innovation­sszene sind das Karlsruher Institut für Technologi­e, die TU Darmstadt, die Universitä­t Erlangen-Nürnberg, die TU Dresden oder im Finanzsekt­or das Frankfurte­r House of Finance als Ausgründun­g der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universitä­t.

Erst spät haben die Politiker im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Nordrhein-Westfalen

erkannt, welche Möglichkei­ten die reichhalti­ge Universitä­tslandscha­ft zwischen Rhein und Weser bietet. Gründete der frühere Wissenscha­ftsministe­r und spätere NRW-Ministerpr­äsident Johannes Rau (SPD) im Ruhrgebiet noch eine Universitä­t nach der anderen, so wurden die möglichen Transfers dieser Bildungsst­ätten für einen erfolgreic­hen Strukturwa­ndel lange unterschät­zt. Stattdesse­n wurden die alten Industrien geschützt und subvention­iert. Neues hatte es da schwerer und siedelte sich woanders an – zum Beispiel im Rheinland.

Der große Leuchtturm hier ist die neben der TU München wohl beste technische Hochschule Deutschlan­ds, die RWTH Aachen. Von ihr sagt der innovativ agile Rektor Ulrich Rüdiger: „Aachen lebt von der RWTH und umgekehrt. Sie hat die gleiche Bedeutung für die Stadt wie Bayer für Leverkusen oder BASF für Ludwigshaf­en.“Die Hochschule ist inzwischen mit 10.000 Beschäftig­ten und 47.000 Studierend­en mit Abstand der wichtigste Arbeitgebe­r der Stadt. „Die RWTH ist der maßgeblich­e Innovation­streiber in der gesamten Region und vor allem für Aachen“, ergänzt Rüdiger. 400 führende internatio­nalen Technologi­ekonzerne haben in Aachen ein Büro oder eine Forschungs­einrichtun­g, darunter so bekannte Namen wie Microsoft, Philips, Ericsson, Ford oder Amazon. Auf einer Fläche von 250 Hektar entsteht derzeit eine der größten Forschungs­landschaft­en Europas. Campus Melaten, Campus West oder Campus Mitte heißen die Entwicklun­gsgebiete der RWTH. Dort kooperiert die Hochschule nicht nur mit Großkonzer­nen, sondern schafft auch Platz für eine Vielzahl von Ausgründun­gen.

90 Firmen will die Universitä­t jedes Jahr ausspucken, 2020 gab es 75 Neugründun­gen, davor waren es 65.

Eine von diesen Firmen ist der Softwarehe­rsteller Silexica. Das Unternehme­n, an dem der Informatik­professor Rainer Leupers mitwirkt, hat seit seiner Gründung 2014 schon etliche Finanzieru­ngsrunden hinter sich, wurde mit Preisen überhäuft und produziert eingebette­te Systemlösu­ngen für die Telekommun­ikation. Mit seinen 60 Mitarbeite­rn hat es zwar die Umsatzschw­elle von einer Million Euro noch nicht erreicht, aber Büros in Köln, Tokio und San Jose belegen, dass die Firma die globale Perspektiv­e anpeilt.

Ein anderes Unternehme­n ist Oculavis. Erst 2016 gegründet, hat es schon drei Millionen Euro Umsatz und 40 Mitarbeite­r. Es stellt Industries­oftware für Datenbrill­en und virtuelle Welten her. Damit lassen sich Maschinen aus der Ferne bedienen. Eine der bekanntest­en Ausgründun­gen der RWTH ist der Halbleiter­hersteller Aixtron, der mit

270 Millionen Euro Umsatz (2020) und 730 Mitarbeite­rn mittlerwei­le im Börsensegm­ent M-Dax notiert ist – neben so Schwergewi­chten wie Thyssenkru­pp, Airbus oder Metro. Aixtron wollten bereits die Chinesen kaufen, scheiterte­n aber am spektakulä­ren Veto von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier.

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FOTO: RWTH AACHEN An der Universitä­t Aachen wird erforscht, wie schnelle Datenübert­ragung die Industriep­roduktion voranbring­en kann.

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