Rheinische Post - Xanten and Moers
„Trumps Wahl ist nicht Ursache, sondern Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung und Polarisierung“
Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist fünf Jahre her. Vielleicht ist das ein guter Anlass, um mit etwas Abstand noch einmal darüber nachzudenken, wie es sein konnte, dass ein Land so viel von dem über Bord warf, was als Errungenschaft gelten konnte. Donald Trump habe Amerika vom multikulturellen Leuchtturm in eine weitere abgeschottete Insel weißer Menschen verwandelt, schrieb der Stanford-Professor Adrian Daub bereits kurz nach der Entscheidung für Trump in der „Zeit“. Es war dann tatsächlich erschreckend zu sehen, wie schnell die Werte der Aufklärung durch seine Mithilfe in Gefahr gerieten: Humanismus, ein optimistisches Menschenbild, Menschenwürde und Bürgerrechte.
Kann man aus der Erfahrung dieser Amtszeit etwas ableiten? Eine Erkenntnis, die uns davor schützen könnte, dass sich eine Nation, die sich zuvor weltoffen gab, binnen kürzester Zeit einigelte und als Weigerung an die Welt gerierte? Um einer Antwort auf die Spur zu kommen, muss man sich in Erinnerung rufen, was Adrian Daub 2016 schrieb: „Diese Wahl ist kein Triumph der Gegenaufklärung, des Klerikalen oder des Wertekonservativen. Trump huldigt keinen Werten, hat mit Religion nichts am Hut. Billiges Entertainment, taumelndes Wir-Gefühl und eine geradezu mephistophelische Lust an der Zerstörung treibt seine Anhänger an. Alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“
„Trumps Wahl war nicht Ursache, sondern Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung und Polarisierung, die einen langen Vorlauf hatte“, sagt denn auch der Soziologe Rainer Paris. Trump wurde zum Präsidenten einer postfaktischen Welt, in der einzig das Gefühl noch zählt: die Wut, das Dazugehören, die Feindschaft. Das Wort „postfaktisch“bezeichnet den Vorrang der Emotionen vor den Gewissheiten in der politischen Diskussion. Immer mehr Menschen sind bereit, Tatsachen zu ignorieren und offensichtliche Lügen zu akzeptieren. „An die Stelle des Faktums“, schreibt Caroline Fetscher im „Tagesspiegel“, „tritt das Faktoid: die Bewirtschaftung von Launen. Bewirtschaftet mit gefühlten Fakten, wie es inzwischen, den Widerspruch auf die Spitze treibend, gerne heißt. Gefühlte Fakten kommen zustande durch Hörensagen und Weiterverbreiten, durch das, was man wünscht oder fürchtet, also zufällig und projektiv oder absichtlich entstandene Inhalte.“
Die Gesellschaft, aus der Trump hervorgegangen ist, war bereits in „feindliche Stämme“zersplittert, ein kollektiv getragenes gemeinsames Interesse war kaum noch zu organisieren. Eine abstrakt begründete Ablehnung der politischen Eliten war noch die größte Gemeinsamkeit des Trump-Lagers. Trump, der Hegemon, der sich selbst als Opfer inszeniert (Daub), appellierte an Instinkte wie Neid und Missgunst. Er redete seinen Anhängern ein, sie seien ohne ihn machtlos und würden um ihre Zukunft betrogen. „Er hat mit Hackern, Twitter-Fehden und schließlich dem FBI so viel Staub aufgewirbelt, dass gerade genug Amerikaner nicht mehr klar sehen konnten“, schrieb Daub.
Das Erschreckende ist nun, dass rund die Hälfte der Amerikaner Trump 2020 wiederwählte. Das sei ein Zeichen dafür, dass „eine alte Normalität unwiderruflich
Rainer Paris
Soziologe
im Schwinden begriffen ist, aber niemand weiß, welche neue Normalität sich in den nächsten Jahrzehnten herausschälen und wie sie beschaffen sein wird“, sagt Rainer Paris. Es gebe nach wie vor viele Konfliktpotenziale. „Dies gilt nicht nur für die Probleme der Migration und die Gefahr von Parallelgesellschaften, auch die Erosion der Familie und die vertieften Gräben der Bildung begünstigen eine kulturelle Zersplitterung der Gesellschaft, die auch politische Radikalisierungen einschließt. Alle diese Entwicklungen bergen gerade unter den Bedingungen massenhafter Deprivationen und Wohlstandsverluste ein großes Maß an gesellschaftlichem Sprengstoff, der, einmal entzündet, sich rasch zu einem Flächenbrand ausweiten und politisch kaum kontrolliert werden kann.“
Was ist nun also zu tun? Normalität
sei sowohl ein sozialer als auch ein mentaler Tatbestand, objektive Gegebenheit und Empfindung zugleich, sagt Rainer Paris. „Sie bezeichnet einen gefühlten Gesellschaftszustand, der einem Orientierung und Sicherheit gibt.“Hierzu bedürfe es des Hintergrundvertrauens, das etablierte Rechtsnormen und Sittennormen geben. Konkreter: Reden und Tun der Verantwortlichen müssen übereinstimmen, nur so kann Glaubwürdigkeit langfristig wiederhergestellt werden. „Nicht propagieren, sondern praktizieren“, laute die Formel.
In der Schule müsse nicht nur Wissen vermittelt werden, sondern auch eine bestimmte Art des Umgangs, sagt Paris. Es gelte, die Zuversicht zu vermitteln, dass es sich lohne, Werte und Regeln zu akzeptieren. In öffentlichen Diskursen dürfe Gegnerschaft nicht in Feindschaft umschlagen.
Wichtig ist, dass Argumenten und Zahlen wieder vertraut werden kann. Das Weiße Haus wies die Umweltschutzbehörde EPA bereits kurz nach der Wahl 2016 an, alle Informationen zum Klimawandel von ihrer Website zu löschen, einschließlich der wissenschaftlichen Datenreihen. Nie hatte Amerika einen Präsidenten, der sich so demonstrativ wissenschaftsfeindlich gab. Einige Beispiele, die die „Spiegel“auflistet: „Den Klimawandel hält Trump für unbedenklich. Im Wahlkampf hat er ihn als „chinesische Lügengeschichte“bezeichnet, die fabriziert sei, um Amerikas Wirtschaft zu schwächen. Gefährlicher findet er Energiesparlampen. Die, so warnte er, machten Krebs: „Seid vorsichtig.““
„Was können Forscher tun, um der überprüfbaren wissenschaftlichen Wahrheit in einer postfaktischen Wirklichkeit wieder Gehör zu verschaffen?“, fragte die Fachzeitschrift „Current Biology“. Die Antwort lieferten Wissenschaftler im April 2017, als sie in Washington auf die Straße gingen. „March For Science“hieß die Demonstration. Die Forscher gaben ihre traditionell neutrale Rolle auf, um jene Werte zu retten, die das Fundament der Wissenschaft bilden.
Das könnte ein guter Ansatz sein, wie man einer Entwicklung, die dem Bauchgefühl gegenüber dem Faktum den Vorzug gibt, entgegentritt: Sich für die Wahrheit verbürgen. Sich mit seiner eigenen Person zu engagieren für das, auf das man Gemeinsamkeiten gründen kann.