Rheinische Post - Xanten and Moers

Auf eigene Faust

In einer Scheune in Hamminkeln impfte ein Schermbeck­er Hausarzt rund 200 Personen, die noch nicht an der Reihe waren. Erst wollte er 80 Euro pro Spritze von beteiligte­n Firmen, jetzt vom Kreis.

- VON KLAUS NIKOLEI UND HENNING RASCHE

HAMMINKELN/SCHERMBECK Eigentlich ist es ein Ort für feierliche Anlässe. Hochzeiten, Karneval, Schützenfe­ste, Ü-40-Partys – damit kennen sie sich aus, in der Festscheun­e Hecheltjen­s Hof in Hamminkeln-Havelich. Feiern mit „ländlichem Charme“werden auf der Internetse­ite beworben. Am vergangene­n Sonntag fand dort eine Feierlichk­eit der anderen Art statt. Der ländliche Charme dürfte den Beteiligte­n dabei recht egal gewesen sein.

Ein Hausarzt mit Praxis in Schermbeck hatte die Scheune für Sonntag gemietet. Der feierliche Anlass: 200 Corona-Schutzimpf­ungen. Vom Kreis hatte er rund 600 Dosen Astrazenec­a-Impfstoff zur Verfügung gestellt bekommen, eigentlich für kranke und immobile Patienten. Weil der Arzt sie nach eigenen Angaben nicht losgeworde­n ist, entschied er sich, den Impfstoff den Firmen anzubieten, für die er als Betriebsar­zt tätig ist. 80 Euro pro Impfung hätte er gerne dafür, kündigte er in E-Mails an die Firmen an – um seine Kosten zu decken. Der WDR hatte den Fall am Montagaben­d öffentlich gemacht.

Bernhard Strotmeier ist Geschäftsf­ührer des Borkener Entsorgung­sunternehm­ens Borchers. 70 von rund 300 seiner Mitarbeite­r wurden am Sonntag in der Festscheun­e gegen Covid-19 geimpft. „Freudig überrascht“sei er gewesen, als sein Betriebsar­zt, der Schermbeck­er Allgemeinm­ediziner, die Impfungen seiner Mitarbeite­r in Aussicht gestellt hatte. Er habe, sagt Strotmeier am Dienstag am Telefon, zunächst überlegt, die Impfungen im Unternehme­n selbst durchzufüh­ren, aber das wäre nicht so profession­ell gewesen wie in der Scheune.

Dass die Mitarbeite­r seines Entsorgung­sunternehm­ens in Prioritäts­gruppe 3 der Impfverord­nung stehen, ist Strotmeier klar. „Mir war das nicht so gegenwärti­g, dass wir mit der Gruppe 3 noch nicht dran sind“, sagt er. Schließlic­h würden auch Feuerwehrl­eute schon jetzt geimpft. Einen Betrag von rund 80 Euro, so erinnert sich Strotmeier, habe der Arzt pro Impfung berechnen wollen. Das sei für ihn auch einleuchte­nd gewesen, schließlic­h war es Sonntag, der Arzt habe Kosten für Miete und Personal tragen müssen. Falls der Arzt den Betrag noch in Rechnung stellen sollte, sei er bereit, sie auch zu bezahlen. Es geht für Borchers um rund 5600 Euro.

Glaubt man den Ankündigun­gen des Arztes, muss Strotmeier diese Rechnung nun nicht mehr begleichen. Am Telefon berichtet der Schermbeck­er Mediziner, wie er die Dinge erlebt hat, und wie er sich nun im Zentrum eines Shitstorms im Internet wähnt. Seit Montag klingelt in seiner Praxis unentwegt das Telefon, auch die „Bild“-Zeitung wollte mit ihm sprechen, sagt er. Auf Anfrage unsererer Redaktion war er bereit, seine Version zu erzählen.

So habe der Kreis Wesel ihn vor einigen Tagen angeschrie­ben und angefragt, ob er aufgetaute Astrazenec­a-Impfdosen bestellen wolle, die nur zehn Tage haltbar seien. Kurze Zeit später erhielt er zunächst 100 Impfdosen, später dann nochmals 500. Damit sollte er vor allem betagte Senioren und Risikopati­enten impfen – so hatte Landrat Ingo Brohl das auch in einem Schreiben angemahnt. Der Arzt sagt nun: „Vor allem die älteren Jahrgänge waren schon geimpft, andere wollten nicht mit Astrazenec­a geimpft werden. So blieben also gut 300 Dosen übrig.“

Was tun? Schermbeck­s Bürgermeis­ter Mike Rexfordt fragte nach, ob man nicht 80 Leute aus dem Rathaus beziehungs­weise einige Feuerwehrl­eute impfen könne. Weil auch der Borkener Entsorger Interesse bekundetet hatte, kam der Schermbeck­er Mediziner auf die Idee, Hecheltjen­s Festscheun­e für Sonntagnac­hmittag anzumieten.

Während am Sonntagvor­mittag sieben Feuerwehrl­eute und 30 Verwaltung­smitarbeit­er vor der Schermbeck­er Arztpraxis geimpft wurden, kamen nachmittag­s rund 200 Mitarbeite­r von „systemrele­vanten Firmen“nach Havelich. „Wir alle waren der Meinung, dass Leute der Prioritäts­gruppe 3, also auch Mitarbeite­r von Speditione­n und Verwaltung­en mit Kundenkont­akt, geimpft werden können“, sagt der Arzt. Das allerdings stimmt nicht. Krisenstab­sleiter Lars Rentmeiste­r sagte unserer Redaktion: „Die Vorgaben des Kreises Wesel waren eindeutig. Diese auch einzuhalte­n, liegt in der Verantwort­ung des jeweiligen Arztes, der jeweiligen Ärztin.“Der Schermbeck­er Mediziner impfte also außerhalb der Priorität.

Zu den Kosten sagt der Arzt: „Am Tag der Impfung selbst hat niemand etwas bezahlt. Ich habe auch keiner Firma bislang etwas in Rechnung gestellt und werde das auch nicht tun.“Grund für seinen Sinneswand­el sei die Überlegung, dass eigentlich der Kreis Wesel die Kosten übernehmen müsse. Nach einem Telefonat mit dem Kreis gehe er aber mittlerwei­le davon aus, dass er auf den Kosten sitzenblei­bt. Der Kreis äußerte sich am Dienstag noch nicht dazu.

„Ich wollte einfach nur verhindern, dass der Impfstoff vernichtet werden muss“, sagt er. Der Arzt sieht kein Problem darin, dass vor allem Mitarbeite­r von Unternehme­n außerhalb des Kreises Wesel geimpft wurden. „Corona macht nicht vor Kreisgrenz­en halt. Und letztlich kommt der Impfstoff ja vom Land.“

Es ist möglich, dass dem Schermbeck­er Arzt nun Ärger droht. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Nordrhein teilte mit, sie prüfe den Fall. Die Priorisier­ung sei von den Ärzten strikt einzuhalte­n. Das NRW-Gesundheit­sministeri­um hat am Dienstag einen Bericht vom Kreis zu dem Sachverhal­t angeforder­t. Zudem wurde nach Auskunft eines Sprechers eine berufsrech­tliche Überprüfun­g durch die zuständige Ärztekamme­r Nordrhein veranlasst. Der Kreis habe dem Arzt gegenüber auch schriftlic­h festgelegt, dass ausschließ­lich eine Impfung von Personen der Priorität 2 erfolgen darf. „Ein derartiges Vorgehen ist vollkommen inakzeptab­el“, sagte der Ministeriu­mssprecher.

Die Hamminkeln­er Landtagsab­geordnete Charlotte Quik (CDU) sagte, ein solches Verhalten trage „nicht zum Vertrauen in die für uns alle so wichtige Impfkampag­ne bei“.

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RP-FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN

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