Rheinische Post - Xanten and Moers
Was das Karlsruher Klima-Urteil bedeutet
Nacharbeiten muss der Bund bei Verkehr und Wärme. Für das rheinische Braun- und Steinkohlerevier steht dagegen der Fahrplan.
DÜSSELDORF Die „Fridays for Future“-Bewegung und Umweltverbände haben allen Grund zum Jubeln. Kein Geringerer als das Bundesverfassungsgericht springt ihnen im Kampf für mehr Klimaschutz bei. Die Karlsruher Richter urteilten, dass das Klimaschutzgesetz teilweise grundrechtswidrig sei. Und die Begründung hat es in sich: Die jungen Beschwerdeführer würden durch das Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt. Denn es verschiebe hohe Einsparlasten bei den Treibhausgasemissionen unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030, so die Richter (Az.: 1 BvR 2656/18 u. a.).
In ihrem Urteil steckt nun ein konkreter Arbeitsauftrag und eine grundlegende Bindung für künftige Politik: Das Gericht gibt der Bundesregierung zum einen auf, bis Ende 2022 die Minderungsziele der Treibhausgas-Emissionen ab 2031 klar vorzuschreiben, wobei es die Ziele bis 2030 für angemessen hält. Zum zweiten zwingt das Gericht die deutsche Politik, Generationengerechtigkeit viel stärker zu beachten. Die Richter verweisen dazu auf Artikel 20a des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere durch die Gesetzgebung.“Die Richter betonen, eine Generation dürfe nicht große Teile des CO2-Budgets verbrauchen und es späteren Generationen überlassen, umso radikaler sparen zu müssen.
„Dies ist ein historisches Urteil. Die klare Botschaft ist: Zu wenig Klimaschutz bedroht die Freiheitsrechte dieser und kommender Generationen. Wir und unsere Kinder haben ein Grundrecht auf Zukunft“, sagte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. „Die Zeit der Ausreden ist vorbei.“
Für den Ausstieg aus der Kohleverstromung hat das Urteil nach Einschätzung der Branche keine Folgen. Für ein Ende der Steinund Braunkohle gibt es bereits detaillierte Fahrpläne. Entsprechend entspannt ist man bei RWE, dem Betreiber der drei Tagebaue im rheinischen Revier: „Für den Kohleausstieg gibt es bereits heute einen sehr konkreten Ausstiegspfad, der auch die Jahre nach 2030 umfasst. Die vom Verfassungsgericht angemahnte Verbindlichkeit der CO2-Reduktion nach 2030 ist für die Kohleverstromung also bereits Realität“, so RWE. Damit dürfte das Urteil auch keine Hilfe für die sein, die auf ein früheres Ende des Tagebaus Garzweiler hoffen. Garzweiler soll bis 2038 oder – bei einem vorgezogenen Ausstieg – bis
2035 laufen. Auch für Ostdeutschland gibt es klare Verabredungen.
Ganz anders sieht es bei den Bereichen Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft aus. Für sie gibt es solche detaillierten Fahrpläne noch nicht. Das Klimaschutzgesetz legt
Urteilsbegründung zwar bis 2030 fest, wie viel Treibhausgas diese Bereiche in welchem Jahr ausstoßen dürfen. Das soll dazu beitragen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch Details und Pläne für die Zeit nach 2030 fehlen. Zugleich wächst der Druck auf die Autoindustrie, aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen. Die Deutsche Umwelthilfe begrüßte das Urteil und forderte „effektive Sofortmaßnahmen wie Tempolimit, Stopp der klimaschädlichen Pipeline Nord Stream 2 und sofortige energetische Sanierung öffentlicher Gebäude wie Schulen“.
Zugleich bricht in der großen Koalition Streit aus. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) betonte, sie habe sich immer schon dafür eingesetzt, auf dem Weg hin zur Klimaneutralität 2050 auch ein Zwischenziel für 2040 festzulegen. Das sei aber mit CDU und CSU „nicht machbar“gewesen. „Immer blinken für große Klimaziele, aber niemals real handeln, sondern immer ganz hart auf der Bremse stehen“– das warf SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz dem Bundeswirtschaftsminister vor. Peter Altmaier (CDU) konterte, das Gericht fordere, was er schon lange fordere: bis 2050 jährliche Einsparziele konkret festzulegen.
Auch in NRW stehen bereits alle Zeichen auf Wahlkampf: „Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen klaren Auftrag gegeben. Nämlich auch über 2030 hinaus den
„Die zum Teil noch sehr
jungen Beschwerdeführenden sind in ihren Freiheitsrechten verletzt“
Weg zur Klimaneutralität zu ebnen. Das gibt uns die Chance, das Gesetz nochmals in zentralen Punkten zu verbessern“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. Der Beschluss zeige auch: „Mit der CDU ist kein Klimaschutz zu machen. Das gilt auch beim Klimaschutzgesetz in NRW.“Auch Grünen-Chefin Mona Neubaur sagte, das Urteil stehe in hartem Widerspruch zum Handeln von Armin Laschets Regierung, die gegen den ambitionierten Ausbau erneuerbarer Energien kämpfe. „Wir erwarten, dass auch die Landesregierung den Vorgaben des höchsten deutschen Gerichtes nun Folge leisten wird“, so Neubaur.
Laschet sagte nach einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), das Urteil markiere einen historischen Moment: Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Pflicht gegenüber den Bürgern von morgen. Er verwies darauf, dass das Land beim Kohleausstieg vorangehe. Zudem gehe der „Green Deal“der EU-Kommission in die richtige Richtung und biete Chancen für NRW.