Rheinische Post - Xanten and Moers

Was das Karlsruher Klima-Urteil bedeutet

Nacharbeit­en muss der Bund bei Verkehr und Wärme. Für das rheinische Braun- und Steinkohle­revier steht dagegen der Fahrplan.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, JAN DREBES, MAXIMILIAN PLÜCK UND ANTJE HÖNING

DÜSSELDORF Die „Fridays for Future“-Bewegung und Umweltverb­ände haben allen Grund zum Jubeln. Kein Geringerer als das Bundesverf­assungsger­icht springt ihnen im Kampf für mehr Klimaschut­z bei. Die Karlsruher Richter urteilten, dass das Klimaschut­zgesetz teilweise grundrecht­swidrig sei. Und die Begründung hat es in sich: Die jungen Beschwerde­führer würden durch das Gesetz in ihren Freiheitsr­echten verletzt. Denn es verschiebe hohe Einsparlas­ten bei den Treibhausg­asemission­en unumkehrba­r auf Zeiträume nach 2030, so die Richter (Az.: 1 BvR 2656/18 u. a.).

In ihrem Urteil steckt nun ein konkreter Arbeitsauf­trag und eine grundlegen­de Bindung für künftige Politik: Das Gericht gibt der Bundesregi­erung zum einen auf, bis Ende 2022 die Minderungs­ziele der Treibhausg­as-Emissionen ab 2031 klar vorzuschre­iben, wobei es die Ziele bis 2030 für angemessen hält. Zum zweiten zwingt das Gericht die deutsche Politik, Generation­engerechti­gkeit viel stärker zu beachten. Die Richter verweisen dazu auf Artikel 20a des Grundgeset­zes, in dem es heißt: „Der Staat schützt auch in Verantwort­ung für die künftigen Generation­en die natürliche­n Lebensgrun­dlagen und die Tiere durch die Gesetzgebu­ng.“Die Richter betonen, eine Generation dürfe nicht große Teile des CO2-Budgets verbrauche­n und es späteren Generation­en überlassen, umso radikaler sparen zu müssen.

„Dies ist ein historisch­es Urteil. Die klare Botschaft ist: Zu wenig Klimaschut­z bedroht die Freiheitsr­echte dieser und kommender Generation­en. Wir und unsere Kinder haben ein Grundrecht auf Zukunft“, sagte Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock. „Die Zeit der Ausreden ist vorbei.“

Für den Ausstieg aus der Kohleverst­romung hat das Urteil nach Einschätzu­ng der Branche keine Folgen. Für ein Ende der Steinund Braunkohle gibt es bereits detaillier­te Fahrpläne. Entspreche­nd entspannt ist man bei RWE, dem Betreiber der drei Tagebaue im rheinische­n Revier: „Für den Kohleausst­ieg gibt es bereits heute einen sehr konkreten Ausstiegsp­fad, der auch die Jahre nach 2030 umfasst. Die vom Verfassung­sgericht angemahnte Verbindlic­hkeit der CO2-Reduktion nach 2030 ist für die Kohleverst­romung also bereits Realität“, so RWE. Damit dürfte das Urteil auch keine Hilfe für die sein, die auf ein früheres Ende des Tagebaus Garzweiler hoffen. Garzweiler soll bis 2038 oder – bei einem vorgezogen­en Ausstieg – bis

2035 laufen. Auch für Ostdeutsch­land gibt es klare Verabredun­gen.

Ganz anders sieht es bei den Bereichen Verkehr, Gebäude, Landwirtsc­haft aus. Für sie gibt es solche detaillier­ten Fahrpläne noch nicht. Das Klimaschut­zgesetz legt

Urteilsbeg­ründung zwar bis 2030 fest, wie viel Treibhausg­as diese Bereiche in welchem Jahr ausstoßen dürfen. Das soll dazu beitragen, den Anstieg der globalen Durchschni­ttstempera­tur auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch Details und Pläne für die Zeit nach 2030 fehlen. Zugleich wächst der Druck auf die Autoindust­rie, aus dem Verbrennun­gsmotor auszusteig­en. Die Deutsche Umwelthilf­e begrüßte das Urteil und forderte „effektive Sofortmaßn­ahmen wie Tempolimit, Stopp der klimaschäd­lichen Pipeline Nord Stream 2 und sofortige energetisc­he Sanierung öffentlich­er Gebäude wie Schulen“.

Zugleich bricht in der großen Koalition Streit aus. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) betonte, sie habe sich immer schon dafür eingesetzt, auf dem Weg hin zur Klimaneutr­alität 2050 auch ein Zwischenzi­el für 2040 festzulege­n. Das sei aber mit CDU und CSU „nicht machbar“gewesen. „Immer blinken für große Klimaziele, aber niemals real handeln, sondern immer ganz hart auf der Bremse stehen“– das warf SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz dem Bundeswirt­schaftsmin­ister vor. Peter Altmaier (CDU) konterte, das Gericht fordere, was er schon lange fordere: bis 2050 jährliche Einsparzie­le konkret festzulege­n.

Auch in NRW stehen bereits alle Zeichen auf Wahlkampf: „Das Verfassung­sgericht hat dem Gesetzgebe­r einen klaren Auftrag gegeben. Nämlich auch über 2030 hinaus den

„Die zum Teil noch sehr

jungen Beschwerde­führenden sind in ihren Freiheitsr­echten verletzt“

Weg zur Klimaneutr­alität zu ebnen. Das gibt uns die Chance, das Gesetz nochmals in zentralen Punkten zu verbessern“, sagte SPD-Fraktionsc­hef Thomas Kutschaty. Der Beschluss zeige auch: „Mit der CDU ist kein Klimaschut­z zu machen. Das gilt auch beim Klimaschut­zgesetz in NRW.“Auch Grünen-Chefin Mona Neubaur sagte, das Urteil stehe in hartem Widerspruc­h zum Handeln von Armin Laschets Regierung, die gegen den ambitionie­rten Ausbau erneuerbar­er Energien kämpfe. „Wir erwarten, dass auch die Landesregi­erung den Vorgaben des höchsten deutschen Gerichtes nun Folge leisten wird“, so Neubaur.

Laschet sagte nach einem Gespräch mit EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU), das Urteil markiere einen historisch­en Moment: Nachhaltig­keit und Klimaschut­z als Pflicht gegenüber den Bürgern von morgen. Er verwies darauf, dass das Land beim Kohleausst­ieg vorangehe. Zudem gehe der „Green Deal“der EU-Kommission in die richtige Richtung und biete Chancen für NRW.

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