Rheinische Post - Xanten and Moers

Bürgermeis­ter als Blitzablei­ter

Immer mehr Kommunalpo­litiker klagen über Bedrohunge­n und Gewalt. Eine neue Plattform soll helfen.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Mit dem Antippen eines Buttons auf einem Tablet hat Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier eine neue Internetpl­attform für bedrängte und verunsiche­rte Kommunalpo­litiker freigescha­ltet. Es sei die Antwort auf zunehmende Aggressivi­tät gegen Amtsträger. „Der Hass bricht sich täglich Bahn, persönlich oder digital, seitenlang begründet oder erschrecke­nd kurz mit Worten wie: ,Verrecke!’“, schilderte das Staatsober­haupt.

Den Startschus­s verband die Körber-Stiftung als Initiatori­n des Projekts mit erschrecke­nden Ergebnisse­n einer repräsenta­tiven Forsa-Umfrage unter 1641 Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­tern. Danach tauchen Beleidigun­gen, Bedrohunge­n und Angriffe gegen Amtsträger zwar nicht unter den größten Herausford­erungen auf – das sind Arbeitsbel­astung, schwierige Vereinbark­eit von Job und Familie, Unzufriede­nheit der Bürger und Belastunge­n durch die Corona-Krise. Doch jeder Zwanzigste nennt die Attacken gegen die eigene Person als „größte Herausford­erung“. 20 Prozent

haben schon überlegt, sich deswegen aus der Kommunalpo­litik zurückzuzi­ehen. Bei denen, die solche Aggression schon einmal persönlich erlebten, war es sogar jeder Dritte.

Deren Anteil wird immer größer: 57 Prozent der Bürgermeis­ter gaben an, dass sie selbst oder eine Person aus ihrem privaten Umfeld schon einmal wegen ihres politische­n Engagement­s „beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffe­n“worden seien. In NRW gaben 67 Prozent der befragten Bürgermeis­ter an, schon einmal Angriffe oder Anfeindung­en erlebt zu haben, in Rheinland-Pfalz,

Hessen und im Saarland waren es

55 Prozent. In kleineren Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern wurden 52 Prozent Opfer solcher Aggression, in Gemeinden und Städten mit 5000 bis 20.000 Einwohnern waren es 64 Prozent, in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern sogar 75 Prozent.

Körperlich bedrängt wurden nach der Befragung fünf Prozent, weitere sieben Prozent hatten Sachbeschä­digungen wie Angriffe auf das eigene Auto oder Haus erlitten. Einige Bürgermeis­ter berichtete­n in den Interviews, dass sie bespuckt oder geschlagen worden seien. Auch nach den vermuteten Motiven forschten die Demoskopen. Mit 25 Prozent lagen Egoismus und Anspruchsd­enken der Täter an erster Stelle. Je

15 Prozent erklärten sich die Attacken damit, dass die Täter mit sich selbst unzufriede­n seien oder unfähig, andere Sichtweise­n zu akzeptiere­n. Einige Bürgermeis­ter berichtete­n, dass sie mehr die „Blitzablei­ter“seien und sich der Unmut eigentlich auf die Bundes- oder Landespoli­tik bezogen habe.

Die neue Internetpl­attform bietet zahlreiche konkrete Verhaltens­tipps

für gefährdete Kommunalpo­litiker. Sie erfahren, wann und wie sie „schwierige“Gespräche führen, wie sie räumliche und personelle Vorkehrung­en treffen und dass sie etwa darauf achten sollten, keine Treffen mehr zuzulassen, wenn sie alleine in der Gemeindeve­rwaltung seien. Die Seite www.stark-im-amt. de wird künftig von den drei kommunalen Spitzenver­bänden organisier­t und auf dem aktuellen Stand gehalten. Ihnen geht es zudem um eine Vernetzung der Amtsträger, um sie auch durch das Gefühl zu stärken, dass sie sich nicht alleingela­ssen fühlen sollen.

Ralph Spiegler vom Deutschen Städte- und Gemeindebu­nd registrier­te eine zunehmende Sensibilit­ät. Seine eigene Anzeige vor eineinhalb Jahrzehnte­n sei von den Behörden noch ad acta gelegt worden. Jetzt berichte die Polizei an die vorgesetzt­e Behörde, dass sie „mit Anzeigen zulaufe“. Burkhard Jung vom Deutschen Städtetag verlangte verstärkte Anstrengun­gen bei der politische­n Bildung. Wie die Demokratie funktionie­re, müsse vom Schüler- bis zum Erwachsene­nalter intensiver vermittelt werden.

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FOTO: DPA Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbende­r schalteten die neue Plattform frei.

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