Rheinische Post - Xanten and Moers
Beuys und die Schamanen
Wie der Künstler sich der Spiritualität näherte, zeigt eine Ausstellung in Schloss Moyland mit Kunstwerken und ethnologischen Objekten.
BEDBURG-HAU-MOYLAND Robust steht er auf dem großen Blatt. Die Füße leicht gespreizt für einen sicheren Stand, die Hände hängen an den Seiten herunter. Der Körper scheint in weite Kleidung verhüllt. Das Gesicht sieht man nicht – Energiestrahlen gehen von ihm aus oder kommen an. Mit grobem Pinselstrich hat Joseph Beuys 1963 den Mann auf das Blatt gesetzt, dicke Braunkreuzfarbe skizziert die energiegeladene Figur auf dem sich wellenden, vergilbten Papier hinter dem Glas. „Schamane“, sagt der Titel.
„Beuys und die Schamanen“ist das Thema der Ausstellung, mit der das Museum Schloss Moyland den 100. Geburtstag des Künstlers im Rahmen des NRW-weiten Ausstellungsreigens „Beuys2021“feiert. Die Schau konfrontiert seine Werke mit ethnologischen Objekten wie den wundersam bunten Umhängen der Schamanen, ihren Trommeln und Kultgegenständen, die sich dann wie selbstverständlich in den Zeichnungen und Objekten des Künstlers zu spiegeln scheinen.
„Wir möchten den Besuchern die historischen und mythischen schamanischen Lebenswelten nahebringen, auf die Beuys sich auf vielfältige Weise bezogen hat“, sagen Barbara Strieder, kommissarische künstlerische Direktorin vom Museum Schloss Moyland und Ulrike Bohnet, Ethnologin aus Stuttgart, die die Schau zusammengestellt haben.
Elche, Rentiere und Hase sind Vermittler zwischen sichtbaren und unsichtbaren
Welten
Dazu haben die beiden rund
200 Ausstellungsstücke zusammengetragen – Zeichnungen und Objekte von Beuys, schamanische Objekte aus verschiedenen Jahrhunderten, Dokumente und Fotografien. Es geht um Krankenheilung, um Jagdzauber, um Orakel und Übergangsrituale ebenso wie den neuen Kunstbegriff und die Soziale Plastik, mit der der „Heiler“Beuys die Welt retten wollte. Und nicht zu vergessen, die von Beuys immer wieder aufs Blatt gebrachten Tierzeichnungen: seine Elche und Rentiere, der Hase. Tiere als Vermittler zwischen sichtbaren und unsichtbaren Welten, so Strieder. Bei den Schamanen ebenso wie bei Beuys. Schön die Gegenüberstellung einer Hirschkuh, die Beuys 1950 geradezu elegant mit untergeschlagenen Hufen ins Holz geschnitten hat, und darüber eine kleine zentralsibirische Bronzeskultpur eines Hirschs aus dem
5. Jahrhundert vor Christus. Schon früh taucht der Schamane als Figur in seinem Werk auf, bereits in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre gibt es Blätter mit entsprechenden Titeln, wie die Ausstellung zeigt.
1969 bekommt er erstmals den Titel „Der Schamane“verpasst, der so schön nach Scharlatan klingt, wie er zur gleichen Zeit ebenfalls betitelt wird. Dabei weiß Beuys seine Bezüge zum Schamanenentum mit Legenden zu unterfüttern: Da ist seine Geschichte von den Tataren, die ihn nach dem Absturz auf der Krim mit einem Sturzkampfbomber
(Beuys war Bordfunker) 1944 gerettet haben sollen. Sie hüllten ihn in Fett und Filz und brachten ihn auf ihrem Schlitten in Sicherheit, pflegten ihn gesund, erzählte Beuys. Dabei waren die Tataren zu diesem Zeitpunkt von Stalin weit in den Osten der Sowjetunion deportiert worden, erklärt Bohnet. Beuys wurde wohl tatsächlich von einem Suchkommando der Wehmacht geborgen und kam in ein Feldlazarett. Die Legende gab ihm aber seine Materialien: Fett und Filz und schließlich das Schamanen-Attribut. Nicht zu vergessen der Schlitten, der zu Beuys Werk gehört – hier in Moyland als Überlebenspack mit Taschenlampe und Filz und Fett.
„Schamanen sind nicht nur Heiler, die sind auch gute Unterhalter, sind schlitzohrig und schillernd“, sagt Bohnet. Ihre Performance habe sich Beuys in seinen Aktionen ebenfalls zu eigen gemacht. Vor allem die Aktion, als er sich in den USA mit einem Kojoten in einer Galerie einschließen ließ und in Filz gehüllt mit einem Schamanenstab in der Hand mit dem Tier spielte und kommunizierte.
An die Aktionen erinnert Moyland mit Fotos, viele von Ute Klophaus: Wie die „Eurasia sibirische Symphonie“, eine Fluxus-Performance von 1979, in der Beuys mit über dem Kopf erhobenen Hasen durch die Räume stolziert. Ganz in der Gestik und im intensiven Körpereinsatz, wie man ihn von Schamanen kennt. Aber letztlich ist er nicht Schamane, sondern Künstler, der sich als Heiler verstand – um mit einer Kunst zu heilen, in der das Schamanische ein Teil war, so Strieder.