Rheinische Post - Xanten and Moers
So viele politisch motivierte Straftaten wie noch nie
Die Zahl ist im Corona-Jahr 2020 erneut gestiegen – auf nunmehr fast 45.000. Der Innenminister spricht von Verrohung.
BERLIN Das Jahr der Kontaktbeschränkungen und Versammlungsverbote hat die Extremisten in Deutschland nicht ausgebremst. Ganz im Gegenteil stieg die Zahl der politisch motivierten Straftaten um 8,5 Prozent auf den neuen Höchststand von 44.692. Hinter 23.604 davon stand rechte Ideologie – so viel wie nie zuvor seit Beginn der Auswertung Anfang des Jahrtausends. Bei der Vorstellung sprach Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) von einer „Bedrohung für die Gesellschaft“und warnte: „Es gibt klare Verrohungstendenzen in unserem Land.“
Einen eklatanten Anstieg registrierten die Behörden im vergangenen Jahr bei den Angriffen auf Amtsträger. Der Anstieg von 1076 auf 2215 Straftaten bedeutet mehr als eine Verdoppelung. Der Staat werde nicht zulassen, dass diejenigen, die sich für die Gemeinschaft einsetzten, von Verfassungsfeinden eingeschüchtert würden, erklärte Seehofer. Ein erneuter Anstieg um 15,7 Prozent bei den antisemitischen Straftaten (auf 2351) nannte der
Minister vor dem Hintergrund der Geschichte „zutiefst beschämend“. Entgegen wiederholten Behauptungen seien diese nahezu ausschließlich von Rechtsextremisten verübt worden.
Aber auch „Corona“findet sich in der Statistik. 3559 Straftaten am Rande von Corona-Protesten weisen demnach zu einem überwiegenden Anteil (59,9 Prozent) die Einstufung auf, dass sie weder rechten noch linken Motiven zugeordnet werden konnten. Beobachtungen über die sehr heterogene Zusammensetzung der Regelverletzungen bei „Querdenken“-Demonstrationen bestätigen sich nun dadurch, dass 777 Straftaten im Zusammenhang mit Corona dem rechten und 634 dem linken Spektrum zugeordnet wurden. Das Coronavirus habe „das Immunsystem unseres Rechtsstaates
geschwächt“, meinte der Vizevorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek. Verfassungsfeinde gefährdeten in der Pandemie die innere Sicherheit wie niemals zuvor. Das Klima der Einschüchterung habe sich im Vergleich zum Vorjahr weiter verstärkt. Angriffe auf Journalisten, Rettungskräfte und Besatzungen von Streifenwagen seien weiterhin „bittere Realität“, erklärte der GdP-Vize. Nach der jüngsten Statistik wurden von 260 gemeldeten Straftaten gegen Journalisten 112 im Zusammenhang mit Corona begangen, bei den Gewalttaten sogar knapp die Hälfte (14 von 32).
Seehofer stufte den Rechtsextremismus erneut als „größte Bedrohung für die Sicherheit in unserem Land“ein. Aber auch den Linksextremismus bezeichnete er als „besorgniserregend“.
Die Zahlen von den beiden Rändern der Gesellschaft sprechen für sich: 5,6 Prozent mehr rechtsextremistisch motivierte Straftaten (insgesamt 23.604), 11,4 Prozent mehr linksextremistische (insgesamt 10.971). Darunter 10,7 Prozent mehr rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten (insgesamt 1092) und 45 Prozent mehr linksextremistische (insgesamt 1526).
Nach Einschätzung von BKA-Präsident Holger Münch spiegelt sich in der aktuellen Statistik „das Ausmaß der gesellschaftlichen Spannungen und die zunehmende Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung“wider. Neben dem Bereich des Rechtsextremismus sieht sich das BKA gezwungen, vor allem im Bereich der Hasskriminalität technisch und personell aufzustocken.