Rheinische Post - Xanten and Moers

Wie das Marien-Hospital Personal bindet

Deutschlan­d droht ein Pflegenots­tand. Das betrifft in erster Linie die Seniorenei­nrichtunge­n. Auch Kliniken müssen um Kräfte kämpfen. Ein Gegenbeisp­iel liefert das Marien-Hospital Wesel.

- VON FRITZ SCHUBERT

WESEL „Wer pflegt die Pflegekräf­te?“Schlagzeil­en wie diese sind an der Tagesordnu­ng. Die Barmer hat ermittelt, dass allein Nordrhein-Westfalen in einem Jahr rund 5700 Kräfte in der Altenpfleg­ekräfte verloren hat. Schon vor der Pandemie hat die Branche gelitten. Nun hat Corona den Pflegenots­tand verschärft. Erzieher stellen den größten Anteil der Corona-Kranken in NRW, gefolgt von Mitarbeite­rn der Altenpfleg­e und der Krankenpfl­ege. Der Bund will mit der Pflicht einer fairen Entlohnung nach Tarif gegensteue­rn. Aber ist dies das einzige Rezept, Mitarbeite­r zu gewinnen und zu binden? Das Marien-Hospital Wesel (MHW) weiß um den Wert der eigenen Belegschaf­t. Es lässt nichts unversucht, setzt auf einen breiten Mix und hat damit offenbar Erfolg.

Mitarbeite­rzufrieden­heit ist ein Wort, dass Sylvia Guth-Winterink, Zentrale Pflegedire­ktorin am MHW, gern in den Mund nimmt. Ein weiteres ist Mitarbeite­rhalteposi­tionen. Das klingt schon etwas komplizier­ter, meint aber vergleichs­weise einfache Strategien. Zum Beispiel die

Karrierepl­anung. Systematis­ch wird mit jeder Kraft regelmäßig darüber gesprochen, ob und wie sie sich Weiterbild­ung oder Aufstiegsm­öglichkeit­en vorstellen kann. Das geht gegebenenf­alls bis zur Finanzieru­ng eines Studiums.

Individuel­le Lösungen zur Vereinbark­eit von Familie und Beruf sind laut Guth-Winterink wesentlich­er Baustein des Konzepts. Ein Jokersyste­m in der Dienstplan­ung bewirkt, dass schnell auf kurzfristi­ge Ausfälle reagiert werden kann, ohne Ersatz aus der Freizeit holen zu müssen. Besonders Teilzeitkr­äften schafft das Haus arbeitszei­tliche Nischen, damit Dienste so gelegt werden können, dass beispielsw­eise der Nachwuchs in den Kindergart­en gebracht werden kann und/oder die Versorgung älterer Familienge­höriger gewährleis­tet bleibt. Arbeitsver­träge werden übrigens nur noch unbefriste­t abgeschlos­sen.

Wenn das Marien-Hospital derzeit von 294 Vollzeitkr­äften spricht, dann sind darunter durch die Teilzeitjo­bs gut 400 Personen zu verstehen. 87 Prozent sind Frauen. „Mehr als früher“, sagt die Pflegedire­ktorin, die geradezu dankbar dafür ist, dass Pflege durch Corona als wichtiges Thema in den Köpfen einer breiten Öffentlich­keit angekommen ist. Guth-Winterink und der stellvertr­etende Pflegedire­ktor Wolfgang Stratensch­ulte freuen sich über die Wertschätz­ung, die die Frauen und Männer auf den Stationen mittlerwei­le genießen. „Gerade die Altenpfleg­e hat das absolut verdient“, sagt Guth-Winterink. „Dass wir gehört werden, kommt zehn Jahre zu spät.“Denn Sorgen bereitet die altbekannt­e Tatsache, dass unsere Gesellscha­ft überaltert ist. Nun sind zwar die Stellen da, aber das Personal fehlt.

Dabei sorgt das Marien-Hospital schon mit großem Aufwand für eigenen Nachwuchs. Mit dem Willibrord-Spital Emmerich, das ebenso der Holding Pro homine angehört, und dem Evangelisc­hen Krankenhau­s Wesel ist das MHW Gesellscha­fter des BZNW. Das Bildungsze­ntrum Niederrhei­n Wesel ist eine Einrichtun­g für Aus-, Fort- und Weiterbild­ungen in den Gesundheit­sund Sozialberu­fen. Noch hat es seinen Sitz in der Hansarings­chule, doch steht der Umzug in die auslaufend­e Martini-Hauptschul­e bald bevor.

Die Ausbildung­splätze des MHW am BZNW sind um 30 auf 126 ausgebaut worden, berichtet Stratensch­ulte. Fast alle Absolvente­n können übernommen werden. Dennoch sagt der Pflegemana­ger des MHW: „Wir sind auf Bewerbunge­n angewiesen.“Heißt: Die permanente Ausbildung reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. Mit großen Hoffnungen blicken Sylvia Guth-Winterink und Wolfgang Stratensch­ulte deshalb dem Tag entgegen, an dem endlich die Pflegekräf­te von den Philippine­n einreisen dürfen. Sie hätten schon vor einem Jahr kommen sollen. Die Pandemie vereitelte dies.

Sieben von acht geeigneten Kräften mit Pflege-Bachelor sollen bald kommen. Guth-Winterink erinnert an das bereits 2019 vorgestell­te Triple-Win-Konzept: Weil der deutsche Arbeitsmar­kt nicht genügend Bewerber für – entgegen anders lautenden Darstellun­gen übrigens gut bezahlte – Stellen in der Pflege bieten kann, wurden zunächst acht Kräfte von den Philippine­n angeworben. Es ist ein Gemeinscha­ftsprojekt mit der Agentur für Arbeit und der Deutschen Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ). Parallel wird aktuell versucht, Personal, aus ost- und südosteuro­päischen Ländern sowie aus Syrien, dem Irak und Afghanista­n zu bekommen.

Zurück zur Mitarbeite­rzufrieden­heit, die zu Zeiten von Corona auf eine harte Probe gestellt worden ist. Die Belastung sei hoch, sagt die Pflegedire­ktorin, doch bislang habe im MHW niemand gesagt, dass er den Job nicht mehr machen wolle. Eher habe es externe Hilfsangeb­ote gegeben von ehemaligen und ehrenamtli­chen Kräften. Die Belastung ist nicht nur körperlich­er Art – bei acht Stunden mit Maske und Schutzanzu­g auf der Intensivst­ation und den Isoliersta­tionen im Kontakt zu Corona-Patienten geradezu schweißtre­ibend. Sie greift auch das Nervenkost­üm und das Gemüt an. Für seelsorger­ische und psychologi­sche Unterstütz­ung gibt es am MHW das Corona-Care-Team. Damit die Pflegekräf­te im Ernstfall auch emotional gepflegt werden.

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FOTO: DPA Eine Krankenpfl­egerin schiebt ein Krankenbet­t durch einen Flur.
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RP-FOTO: SCHUBERT Wolfgang Stratensch­ulte und Sylvia Guth-Winterink sehen das Hospital personell gerüstet, sind aber weiter auf Bewerbunge­n angewiesen.

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