Rheinische Post - Xanten and Moers
Wie das Marien-Hospital Personal bindet
Deutschland droht ein Pflegenotstand. Das betrifft in erster Linie die Senioreneinrichtungen. Auch Kliniken müssen um Kräfte kämpfen. Ein Gegenbeispiel liefert das Marien-Hospital Wesel.
WESEL „Wer pflegt die Pflegekräfte?“Schlagzeilen wie diese sind an der Tagesordnung. Die Barmer hat ermittelt, dass allein Nordrhein-Westfalen in einem Jahr rund 5700 Kräfte in der Altenpflegekräfte verloren hat. Schon vor der Pandemie hat die Branche gelitten. Nun hat Corona den Pflegenotstand verschärft. Erzieher stellen den größten Anteil der Corona-Kranken in NRW, gefolgt von Mitarbeitern der Altenpflege und der Krankenpflege. Der Bund will mit der Pflicht einer fairen Entlohnung nach Tarif gegensteuern. Aber ist dies das einzige Rezept, Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden? Das Marien-Hospital Wesel (MHW) weiß um den Wert der eigenen Belegschaft. Es lässt nichts unversucht, setzt auf einen breiten Mix und hat damit offenbar Erfolg.
Mitarbeiterzufriedenheit ist ein Wort, dass Sylvia Guth-Winterink, Zentrale Pflegedirektorin am MHW, gern in den Mund nimmt. Ein weiteres ist Mitarbeiterhaltepositionen. Das klingt schon etwas komplizierter, meint aber vergleichsweise einfache Strategien. Zum Beispiel die
Karriereplanung. Systematisch wird mit jeder Kraft regelmäßig darüber gesprochen, ob und wie sie sich Weiterbildung oder Aufstiegsmöglichkeiten vorstellen kann. Das geht gegebenenfalls bis zur Finanzierung eines Studiums.
Individuelle Lösungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind laut Guth-Winterink wesentlicher Baustein des Konzepts. Ein Jokersystem in der Dienstplanung bewirkt, dass schnell auf kurzfristige Ausfälle reagiert werden kann, ohne Ersatz aus der Freizeit holen zu müssen. Besonders Teilzeitkräften schafft das Haus arbeitszeitliche Nischen, damit Dienste so gelegt werden können, dass beispielsweise der Nachwuchs in den Kindergarten gebracht werden kann und/oder die Versorgung älterer Familiengehöriger gewährleistet bleibt. Arbeitsverträge werden übrigens nur noch unbefristet abgeschlossen.
Wenn das Marien-Hospital derzeit von 294 Vollzeitkräften spricht, dann sind darunter durch die Teilzeitjobs gut 400 Personen zu verstehen. 87 Prozent sind Frauen. „Mehr als früher“, sagt die Pflegedirektorin, die geradezu dankbar dafür ist, dass Pflege durch Corona als wichtiges Thema in den Köpfen einer breiten Öffentlichkeit angekommen ist. Guth-Winterink und der stellvertretende Pflegedirektor Wolfgang Stratenschulte freuen sich über die Wertschätzung, die die Frauen und Männer auf den Stationen mittlerweile genießen. „Gerade die Altenpflege hat das absolut verdient“, sagt Guth-Winterink. „Dass wir gehört werden, kommt zehn Jahre zu spät.“Denn Sorgen bereitet die altbekannte Tatsache, dass unsere Gesellschaft überaltert ist. Nun sind zwar die Stellen da, aber das Personal fehlt.
Dabei sorgt das Marien-Hospital schon mit großem Aufwand für eigenen Nachwuchs. Mit dem Willibrord-Spital Emmerich, das ebenso der Holding Pro homine angehört, und dem Evangelischen Krankenhaus Wesel ist das MHW Gesellschafter des BZNW. Das Bildungszentrum Niederrhein Wesel ist eine Einrichtung für Aus-, Fort- und Weiterbildungen in den Gesundheitsund Sozialberufen. Noch hat es seinen Sitz in der Hansaringschule, doch steht der Umzug in die auslaufende Martini-Hauptschule bald bevor.
Die Ausbildungsplätze des MHW am BZNW sind um 30 auf 126 ausgebaut worden, berichtet Stratenschulte. Fast alle Absolventen können übernommen werden. Dennoch sagt der Pflegemanager des MHW: „Wir sind auf Bewerbungen angewiesen.“Heißt: Die permanente Ausbildung reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. Mit großen Hoffnungen blicken Sylvia Guth-Winterink und Wolfgang Stratenschulte deshalb dem Tag entgegen, an dem endlich die Pflegekräfte von den Philippinen einreisen dürfen. Sie hätten schon vor einem Jahr kommen sollen. Die Pandemie vereitelte dies.
Sieben von acht geeigneten Kräften mit Pflege-Bachelor sollen bald kommen. Guth-Winterink erinnert an das bereits 2019 vorgestellte Triple-Win-Konzept: Weil der deutsche Arbeitsmarkt nicht genügend Bewerber für – entgegen anders lautenden Darstellungen übrigens gut bezahlte – Stellen in der Pflege bieten kann, wurden zunächst acht Kräfte von den Philippinen angeworben. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt mit der Agentur für Arbeit und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Parallel wird aktuell versucht, Personal, aus ost- und südosteuropäischen Ländern sowie aus Syrien, dem Irak und Afghanistan zu bekommen.
Zurück zur Mitarbeiterzufriedenheit, die zu Zeiten von Corona auf eine harte Probe gestellt worden ist. Die Belastung sei hoch, sagt die Pflegedirektorin, doch bislang habe im MHW niemand gesagt, dass er den Job nicht mehr machen wolle. Eher habe es externe Hilfsangebote gegeben von ehemaligen und ehrenamtlichen Kräften. Die Belastung ist nicht nur körperlicher Art – bei acht Stunden mit Maske und Schutzanzug auf der Intensivstation und den Isolierstationen im Kontakt zu Corona-Patienten geradezu schweißtreibend. Sie greift auch das Nervenkostüm und das Gemüt an. Für seelsorgerische und psychologische Unterstützung gibt es am MHW das Corona-Care-Team. Damit die Pflegekräfte im Ernstfall auch emotional gepflegt werden.