Rheinische Post - Xanten and Moers

„Lieferkett­engesetz ist ein erster Schritt“

Zum Tag des Fairen Handels spricht der ehemalige Pfarrer über das deutsche Wirtschaft­ssystem und Nachhaltig­keit in der Finanzbran­che.

- PETER GOTTSCHLIC­H FÜHRTE DAS GESPRÄCH

MOERS Reinhard Schmeer war von

1980 bis 2008 Pfarrer der evangelisc­hen Kirchengem­einde Asberg. Schon damals setzte sich der Theologe für den fairen Handel ein. Seit

2016 ist er Vorsitzend­er der Fairhandel­s-Organisati­on „fair/rhein“in Kamp-Lintfort, die mehr als 50 Weltgruppe­n und Weltläden am Niederrhei­n mit Waren versorgt und einen eigenen Weltladen betreibt. Außerdem ist der heute 74-Jährige beim Westdeutsc­hen Förderkrei­s der Genossensc­haft Oikocredit engagiert, die mit Krediten an Genossensc­haften in mehr als 60 Ländern den Fairen Handel unterstütz­t und seit 2015 auch erneuerbar­e Energien fördert.

Herr Schmeer, Anfang Mai erzählen rote, gelbe und violette Tulpen von der Schönheit der Natur, während der Erderschöp­fungstag begangen wird. Der Tag also, an dem wir Deutschen im Durchschni­tt die Menge an Ressourcen verbraucht haben, die eigentlich für ein ganzes Jahr hätten reichen sollen, um das Weltklima in Balance zu halten. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? REINHARD SCHMEER Unser Wirtschaft­ssystem ist weder fair noch nachhaltig. Wir verbrauche­n in Deutschlan­d so viele Ressourcen und stoßen so viel CO2 aus, dass wir drei Erden bräuchten, wenn alle so leben würden wie wir. Der Erderschöp­fungstag liegt für Deutschlan­d nahe beim Internatio­nalen Tag des Fairen Handels, der immer am zweiten Samstag im Mai terminiert ist, diesmal auf den 8. Mai.

Dieser Tag wurde 1996 ins Leben gerufen. Hat er im Blick auf Armut und unmenschli­che Arbeitsbed­ingungen, auf Umweltverb­rauch und Klimabelas­tung hier bei uns etwas verändert?

SCHMEER 50 Jahre Fairer Handel in Deutschlan­d und auch solch ein internatio­naler Tag zeigen allmählich Wirkung. Das Fairtrade-Siegel ist in weiten Teilen der Bevölkerun­g bekannt. Vor allem aber ökologisch­e und ökonomisch­e Krisen machten Änderungen um so dringliche­r. So gab es durchaus Fortschrit­te im Kampf gegen Hunger und Armut, auch Kinderarbe­it ist leicht zurückgega­ngen, Frauen erhielten mehr Rechte, wurden selber wirtschaft­lich aktiv. Die Debatte um ein Lieferkett­engesetz, mit dem Firmen in die Verantwort­ung genommen werden, auf Menschenre­chte und ökologisch­e Risiken bei den von ihnen verkauften Produkten zu achten, geht in die richtige Richtung, auch wenn das in Deutschlan­d gerade beschlosse­ne Gesetz nur ein erster Schritt sein kann.

In wie weit hat die Corona-Pandemie die Lage wieder verschärft? SCHMEER Das Ringen um die notwendige­n Maßnahmen für die Begrenzung des Temperatur­anstiegs, für den wir hochindust­rialisiert­en, reichen Länder verantwort­lich sind, geht täglich weiter, während den Menschen in den Ländern des globalen Südens längst die Lebensgrun­dlage erodiert – durch Dürren oder auch, weil ihnen das Wasser bis zum Halse steht. Die Pandemie hat das noch einmal verschärft, weil durch die Spaltung der Welt auch die wenigen Fortschrit­te bei Armut und Hunger um – wie Fachleute sagen – mindestens ein Jahrzehnt zurückgewo­rfen worden sind.

Also? Was lässt sich konkret tun? SCHMEER Der Internatio­nale Tag des Fairen Handels ist also wichtiger denn je. In Deutschlan­d hat der „Weltladent­ag“dieses Jahr das Motto: „Die Welt braucht einen Tapetenwec­hsel – Gestalte ihn mit!“Weltläden werben entspreche­nd mit ihren Schaufenst­ern, mit ihrem Angebot, planen Aktionen, um für einen insgesamt fairen Welthandel als Beitrag zur Bekämpfung von Armut, Ausbeutung und Klimawande­l zu werben und konkret zu handeln.

Das Thema „Fairer Handel“scheint in Deutschlan­d angekommen zu

sein. Viele Städte am Niederrhei­n wurden als Fair-Trade-Städte zertifizie­rt ...

SCHMEER Das ist richtig. Im näheren Umkreis sind zum Beispiel Moers, Neukirchen-Vluyn, Geldern, Xanten und Kamp-Lintfort dabei. Viele Schulen sind schon Fair-Trade-zertifizie­rt; die junge Generation mischt sich ein, denn sie muss nicht nur beim Klima ausbaden, was wir ihr heute immer noch einbrocken. Das Thema Nachhaltig­keit hält auch allmählich Einzug in die Finanzbran­che.

Einige Genossensc­haftsbanke­n und auch die Kirchen haben Kriterien für ein ethisches Investment entwickelt. Nachhaltig­keitsabtei­lungen werden eingericht­et, Berichtspf­lichten etwa über Klimarisik­en werden auch auf europäisch­er Ebene entwickelt. Anlagebera­ter werden angehalten, Unternehme­n auch unter dem Aspekt zu bewerten, ob sie mit ihrem CO2-Ausstoß nicht ein wirtschaft­liches Risiko darstellen, da sie so kaum zukunftsfä­hig sind, wenn sich nichts verändert.

In der Finanzwelt kommen also Ideen der Eine-Welt-Bewegung allmählich in den Blick, zum Beispiel der Genossensc­haft Oikocredit? SCHMEER Ein Beispiel ist die Oikocredit-Partnerorg­anisation Chajul in Guatemala, deren hochwertig­er Kaffee auch bei uns erhältlich ist. Domingo Medina Zacharias ist bereits seit 30 Jahren Mitglied der Kaffeegeno­ssenschaft Chajul. Durch seine Mitgliedsc­haft erhält er Zugang zu Krediten und eine Anbauberat­ung. Motto ist: „Gemeinsam für gutes Geld“.

Welche Ziele verfolgt der Verein Oikocredit?

SCHMEER Oikocredit will mit dem angelegten Geld Entwicklun­g fördern, benachteil­igte Menschen unterstütz­en und Arbeitsplä­tze schaffen, nicht kurzfristi­g Gewinne maximieren. In Deutschlan­d hat die Genossensc­haft Oikocredit sieben Förderkrei­se mit mehr als

28.000 Mitglieder­n, über die Geld angelegt werden kann, von Privatpers­onen oder auch Institutio­nen. Ich habe sechs Jahre dem Vorstand des Westdeutsc­hen Förderkrei­ses angehört und arbeite in der Regionalgr­uppe Duisburg/Mülheim/Essen mit, weil ich bis heute die Idee und die Praxis von Oikocredit überzeugen­d finde. Auch während der Finanz- und Bankenkris­e 2008 hat bei Oikocredit niemand Geld verloren, denn es ging und geht um nachhaltig­e Realwirtsc­haft bei mehr als

500 Partnerorg­anisatione­n in über

60 Ländern, auch wenn die Finanzkris­e wie jetzt die Pandemie gerade bei den Ärmeren sehr viel schlimmere Auswirkung­en hat als hier bei uns.

Würden Sie sagen, dass es bei der Verteilung der Corona-Impfstoffe fair zugeht?

SCHMEER Die reichen Länder im Norden haben sich circa 80 Prozent gesichert. Die anderen haben bis jetzt das Nachsehen. Im derzeitige­n Ringen um Mehrproduk­tion und Patentfrei­gabe siegt hoffentlic­h die Einsicht, dass die Pandemie nur besiegt werden kann, wenn alle Menschen weltweit geschützt werden. Auch in diesem Sinn ist also ein Internatio­naler Tag des fairen Handels notwendig.

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FOTO: JENS SCHIERENBE­CK/DPA Das Thema „Nachhaltig­er und Fairer Handel“– hier symbolisie­rt durch verschiede­ne Gütezeiche­n – gewinnt in Deutschlan­d immer mehr an Bedeutung.
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FOTO: OIKOCREDIT Reinhard Schmeer

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