Rheinische Post - Xanten and Moers
Mehr Richter, aber längere Prozesse
Der Personalbestand in der NRW-Justiz wächst – trotzdem ist die Verfahrensdauer gegenüber 2010 um 40 Prozent gestiegen. Die Polizeigewerkschaft sieht Ermittlungserfolge in Gefahr.
DÜSSELDORF Obwohl die Zahl der Stellen von Richtern und Staatsanwälten in Nordrhein-Westfalen gestiegen ist, nehmen die Verfahren mehr Zeit in Anspruch. Laut Angaben des Justizministeriums dauerten im Jahr 2020 erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten Nordrhein-Westfalens im Schnitt
8,4 Monate. 2019 waren es sogar
8,9 Monate gewesen, 2010 lediglich sechs Monate. Im Jahr 2010 arbeiteten nach Angaben des Justizministeriums 4936 Richter in der Justiz des Landes, 2020 waren es 5239. Die Anzahl der Staatsanwälte sei derweil von 1056 auf 1330 gestiegen.
Die längere Verfahrensdauer, so das Justizministerium, liege daran, dass es in den vergangenen Jahren viele große und langwierige Prozesse gegeben habe. Ein Beispiel sei der VW-Abgasskandal. Zudem nehme die Justiz nun vermehrt die Fälle in den Blick, die lange Zeit nicht bearbeitet worden seien. Das sei auch schlecht für die Statistik. „Von einem Richtermangel können wir nicht sprechen“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums.
Dem widerspricht der Deutsche Richterbund. „Wir haben noch immer eine Personallücke“, sagte der Landesvorsitzende Christian Friehoff. Die Anstrengungen der vergangenen Jahre reichten noch nicht aus. So sei ein wesentlicher Teil der langen Verfahren durchaus einem Personalmangel geschuldet.
Allerdings verfälsche die Pandemie auch die Statistik. „In einigen Bereichen führte Corona zu einer steigenden Belastung, in anderen gibt sie Gelegenheit, Altfälle zu erledigen, die dann statistisch erfasst werden“, sagte Friehoff. Trotzdem seien das Fälle gewesen, die lange nicht hätten bearbeitet werden können. Die jahrelange Überlastung der Gerichte führe auch zu Ungenauigkeiten. Laut Friehoff werden mitunter Verfahren gegen Auflagen eingestellt, um Zeit für schwerwiegendere Verfahren zu gewinnen. „Der Richterberuf ist toll. Aber mit zwei guten Prädikatsexamen kriegen Sie heute in der freien Wirtschaft als Berufsanfänger mehr an
Gehalt geboten, als ich mit 56 Jahren als Direktor eines Amtsgerichts bekomme. Wenn das 1993 schon so gewesen wäre, wäre ich heute wahrscheinlich nicht Richter“, so Friehoff. Doch für den Richterberuf entscheiden sich laut Justizministerium wieder mehr Top-Absolventen. „Die Quote der Einstellungszusagen an Prädikatsabsolventen im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist von 61 Prozent im Jahr 2016 auf nun
82 Prozent im Jahr 2020 gestiegen“, teilte es mit. In Nordrhein-Westfalen bekommen Richter in der niedrigsten Besoldungsstufe gut 4400 Euro monatlich, in der höchsten 13.200 Euro. In der freien Wirtschaft gebe es für Juristen mit zwei guten Prädikatsexamen oft bis zu 20.000 Euro monatlich – als Einstiegsgehalt. Auch bei Staatsanwälten stieg der Anteil der Top-Absolventen – von
38 auf 51 Prozent. Auch wenn Berufseinsteiger aus anderen Bundesländern dazugezählt würden, sei der Trend eindeutig, hieß es.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert den Personalmangel und die langen Verfahren. Die Anstrengungen der vergangenen Jahre reichten noch nicht aus. „Es kann sein, dass zwischen Festnahme und Prozessbeginn zwei Jahre vergehen“, sagt der NRW-Vorsitzende Michael Mertens. Das führe dazu, dass sich die Polizisten im Prozess oft nicht mehr an alles erinnern könnten, auch die anderen Zeugen hätten dieses Problem. Das mache die Verbrechensaufklärung nicht leichter, kritisierte Mertens.