Rheinische Post - Xanten and Moers
Was Kitsch über die Zeit verrät
In der Weihnachtszeit gibt es viel Glitzer und Klimbim. Aber wie viel davon tut gut?
In diesen Tagen kehren viele Menschen ein Stückchen ihres Seelenlebens nach außen. Sie hängen blinkende Kränze an die Tür, lassen Wichtel mit tief hängenden Zipfelmützen an ihren Eingängen grüßen, stellen allerhand Buntes, Glitzerndes, Verschneites ins Fenster. Geschmackssicher ist das nicht immer. Doch wer beschließt das eigentlich? Man kann die Frage, ob etwas niedlich, romantisch, adventlich oder schon kitschig ist, zur rein subjektiven erklären. Dann ist alles erlaubt, was gefällt. Trotzdem gibt es zumindest einen common sense, ein allgemeines Empfinden dafür, dass manche Glanzfarbenexplosionen oder Blinkeeinheiten im Vorgarten den Besitzern gefallen mögen, aber eben doch unter der Kategorie Kitsch zu verbuchen sind.
Was die Frage aufwirft, was Kitsch eigentlich ist.
Nach einer wenig übergriffigen, wenig herablassenden Definition ist Kitsch das Erwartbare. Ein kitschiges Rentier sieht genau aus, wie man sich ein süßes Schlittenvieh gemeinhin vorstellt. Nichts irritiert, nichts wirft Fragen auf. Die Darstellung ähnelt anderen, erfüllt alle oberflächlichen Erwartungen, ist süffig wie Likör. Sie geht also den einfachsten Weg, verstanden zu werden und Gefühle zu erzeugen. Gerade das brauchen manche Menschen im Advent. Nichts liegt ihnen ferner, als die Wochen bis zur Heiligen Nacht als die Fasten- und Besinnungszeit zu betrachten, die sie eigentlich ist. Sie wollen in Stimmung kommen, die Dunkelheit vertreiben, es sich nett machen. Und natürlich ist das vor allem eins: die freie Entscheidung jedes Einzelnen.
Statt sich also zu echauffieren über die Irrungen und Wirrungen in den Vorgärten und hinter den Fensterscheiben der Nachbarn, kann man den Adventsschmuck zu lesen versuchen. Steht er doch vielleicht für das aktuelle Bedürfnis nach Licht, Wärme, heiler Welt. Und vielleicht auch für die Sehnsucht nach ein wenig direkter, unmissverständlicher Kommunikation ohne Debattenpotenzial, nach Darstellungen, die nicht mehr sein wollen als sie sind: ein lächelnder Weihnachtsmann, nichts weiter.
Unsere Autorin ist Redakteurin des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertretenden Chefredakteur Horst Thoren ab.