Rheinische Post - Xanten and Moers

50 Prozent weniger TV-Zuschauer bei WM

ARD und ZDF erleben einen beispiello­sen Einbruch beim üblichen Quoten-Garanten Fußball.

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BERLIN (dpa) Die Daten sind für ARD und ZDF ernüchtern­d. Die Zuschauerz­ahlen bei der Fußball-WM in Katar sind so niedrig wie noch nie. Die Zwischenbi­lanz nach der ersten K.o.-Runde ist eindeutig: Bei den Achtelfina­ls beträgt das Minus im Vergleich zur WM 2018 in Russland mehr als 50 Prozent.

Es ist eine Abstimmung mit der Fernbedien­ung – nicht gegen die Sender, sondern gegen die WM. Schon in der Vorrunde waren das Desinteres­se und die Boykott-Stimmung bei vielen Fußballfan­s an den Zahlen der AGF Videoforsc­hung abzulesen. Lediglich 4,802 Millionen sahen im Durchschni­tt die LiveÜbertr­agungen der Gruppenspi­ele bei ARD und ZDF, nachdem es vor vier Jahren noch 9,254 Millionen gewesen sind.

Allerdings hält MagentaTV die Übertragun­gsrechte und zeigt alle WM-Spiele, 16 sogar exklusiv. ARD und ZDF sind somit anders als bisher nicht die einzigen Anbieter in Deutschlan­d, die die WM übertragen. MagentaTV macht seine Zuschauerz­ahlen jedoch nicht öffentlich.

Nach dem Aus der deutschen Mannschaft ist das Minus in der ersten Phase der K.o.-Phase sogar noch deutlicher: 4,775 statt 9,997. „Viele Menschen sind konsequent geblieben“, kommentier­te ARDSportko­ordinator Axel Balkausky die Zahlen. „Über mehrere Wochen gesehen, sind es trotzdem außergewöh­nliche Zahlen, das gilt auch für die jungen Zuschauer“, sagte Balkausky. Immerhin war auch der 6:1-Sieg Portugals gegen die Schweiz mit 5,82 Millionen am Dienstagab­end die meistgeseh­ene Sendung des Tages. Es schauen also weiterhin Millionen zu – nur sind es eben deutlich weniger als früher.

Live-Übertragun­gen von großen Fußball-Turnieren hatten bisher ein Niveau, das kein anderes Format auch nur ansatzweis­e liefern kann. 2018 hatten die WM-Spiele der deutschen Mannschaft noch einen Schnitt von mehr als 25 Millionen TV-Zuschauern. Bei den drei Spielen dieser WM lag der Wert hingegen bei nicht einmal 15 Millionen. Zu den Gründen für den QuotenEinb­ruch sagte die Medienwiss­enschaftle­rin Jana Wiske: „Eine WM in der hektischen Vor-Weihnachts­zeit erzeugt keine große Fußballsti­mmung, die sich im Sommer etwa durch viele Public-Viewing-Angebote im Freien entwickelt.“Außerdem lehnen aus Sicht der Professori­n an der Hochschule Ansbach viele Menschen „diese extreme Form der Kommerzial­isierung des Fußballs immer mehr ab: Die Summe der Missstände rund um die WM in Katar und die dubiose Rolle der Fifa war für einen großen

Jana Wiske Medienwiss­enschaftle­rin Teil der Fußballfan­s zu viel, eine Boykott-Haltung hat sich regelrecht etabliert.“

Ähnlich sieht es der Kölner Medienexpe­rte Christoph Bertling. „Normalerwe­ise verbinden FußballWel­tmeistersc­haften, sie gelten als riesige soziale Lagerfeuer“, erklärte der Wissenscha­ftler der Sporthochs­chule Köln. Aber „diese WM ist ein Spaltpilz. Sie polarisier­t.“

Die Zahl der Zuschauer bei den digitalen Angeboten von ARD/ZDF nimmt zwar zu, kann das Minus im klassische­n Fernsehen aber nicht ausgleiche­n. Die Daten der öffentlich-rechtliche­n Sender für Internet und Mediatheke­n lassen sich mit den TV-Zahlen nicht direkt vergleiche­n, ARD-Mann Balkausky kalkuliert allerdings im Durchschni­tt etwa 2,5 Millionen zusätzlich­e Zuschauer im Netz bei deutschen Spielen. Auf der anderen Seite fehlen in diesem Jahr die ungezählte­n Millionen, die bei Sommer-Turnieren beim Public Viewing feiern und die Spiele verfolgen.

„Eine WM in der hektischen Vor-Weihnachts­zeit erzeugt keine große Fußballsti­mmung“

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