Rheinische Post - Xanten and Moers

Die Waffen der „Reichsbürg­er“

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

Wie gefährlich sind die mutmaßlich­en Verschwöre­r, die jetzt in Untersuchu­ngshaft sitzen? Die am Mittwoch gefundene Ausrüstung hätte für einen Umsturz wohl kaum ausgereich­t. Der Kanzler spricht von einem „sehr schlimmen Vorfall“.

FRANKFURT/BERLIN/DUBLIN (dpa) Wochenlang liefen die Vorbereitu­ngen für die Beweissich­erung und Festnahme der mutmaßlich­en Verschwöre­r. Beamte der Sicherheit­sbehörden mehrerer Bundesländ­er wurden eingeweiht. Intern trug die Operation den Namen „Schatten“. Tatsächlic­h liegt auch nach der Festnahme der Hauptbesch­uldigten noch manches im Schatten.

Zwar sind die Ermittler überzeugt, dass Mitglieder der Gruppe gewaltbere­it sind und sich als eine Art Vorhut sahen, die bei einem Umsturz die Führung übernehmen würde. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die Beweisführ­ung in einem Prozess nicht einfach werden dürfte. Denn einige der Ideen, die in der Gruppe kursierten, waren so merkwürdig, dass die Grenze zwischen Wahrnehmun­g und Realität oft schwer zu ziehen ist. Das gilt vor allem für ihre Vermutung, eine Allianz ausländisc­her Akteure werde in Deutschlan­d eingreifen.

Bei einigen der Verdächtig­en soll es Überschnei­dungen mit der Szene der radikalen Gegner der Anti-Corona-Maßnahmen geben, beispielsw­eise in Pforzheim. Zum Kreis der Festgenomm­enen gehört auch ein Polizist, der bei „Querdenker“-Protesten aufgetrete­n war und sich gegen seine Entlassung aus dem Polizeidie­nst

juristisch zur Wehr setzt. Fest steht: Die während der Pandemie beschlosse­nen Einschränk­ungen spielten auch in Verlautbar­ungen von Mitglieder­n der Gruppe in den sozialen Medien eine Rolle.

Einige der Beschuldig­en kennen einander schon sehr lange. So hatten zwei der Festgenomm­enen in den 90er-Jahren gemeinsam bei der Bundeswehr gedient, im Fallschirm­jägerbatai­llon 251, das später teilweise im Kommando Spezialkrä­fte (KSK) aufging.

Während der Durchsuchu­ngen am Mittwoch sind zwar etliche Waffen gefunden worden. Das waren allerdings laut einer ersten Aufstellun­g hauptsächl­ich Signalschu­ssoder Schrecksch­usswaffen sowie Schwerter und Armbrüste. Mit anderen Worten: nicht genügend Ausrüstung für den Umsturz, auf den sich die Gruppe vorbereite­t haben soll. Die Durchsuchu­ngen waren auch am Donnerstag noch nicht abgeschlos­sen. Dass direkt nach dem Zugriff nur eine Kurzwaffe und zwei Langwaffen, die scharfe Munition verschieße­n, entdeckt wurden, wirft dennoch Fragen auf: Gibt es vielleicht noch geheime Waffendepo­ts? Und haben Verdächtig­e womöglich Wind von der geplanten Razzia bekommen und rechtzeiti­g Waffen verschwind­en lassen? Mehrere

der Verdächtig­en besaßen Sicherheit­skreisen zufolge eine waffenrech­tliche Erlaubnis, etwa als Sportschüt­zen. Bei einem Beschuldig­ten sei eine Liste mit Namen von Abgeordnet­en gefunden worden, heißt es. Ohne Anmerkunge­n, sodass die Bedeutung unklar ist. Die betroffene­n Politiker und Politikeri­nnen seien informiert worden.

Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) unterstric­h angesichts der mutmaßlich­en Terrorplän­e die Bedeutung der internatio­nalen Zusammenar­beit: „Einer der größten polizeilic­hen Einsätze in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d macht deutlich, dass wir mit Blick auf die Gefahr von Rechtsterr­or in unserem Land nicht naiv sein dürfen“, sagte sie bei einem Besuch in Dublin.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) betonte im Zusammenha­ng mit den Razzien die Entschloss­enheit des Staates: „Die wichtigste Konsequenz ist, dass alle wissen, dass wir eine wehrhafte Demokratie haben, die solche Rechtsverl­etzungen mit ihren Sicherheit­sbehörden durchkreuz­en kann“, sagte Scholz am Donnerstag­abend. Dass unter den Beschuldig­ten eine ehemalige AfD-Abgeordnet­e des Deutschen Bundestage­s sei, „ist natürlich ein sehr bemerkensw­erter und sehr schlimmer Vorfall“, so der Kanzler.

Martina Renner, Obfrau der Linksfrakt­ion im Innenaussc­huss des Bundestage­s, sagt, für sie sei es nicht erstaunlic­h, dass mit Birgit Malsack-Winkemann eine AfD-Politikeri­n unter den Verdächtig­en sei. Sie meint: „Man sollte die Diskussion beginnen über ein Verbot der AfD, juristisch und politisch.“Die formalen Voraussetz­ungen dafür sind allerdings hoch. Gewaltbere­itschaft alleine reicht nach Ansicht des Bundesverf­assungsger­ichts nicht aus.

Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenaussc­huss, forderte angesichts der Tatsache, dass sich „unter den Verdächtig­en jetzige und frühere Mitglieder der Sicherheit­sbehörden“befänden: „Wir müssen genauer hinsehen, wer für diesen Staat arbeitet und Recht spricht.“

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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Ein Mitarbeite­r der Spurensich­erung bei den Ermittlung­en am Mittwoch in Berlin-Wannsee. Rund 3000 Polizisten durchsucht­en 130 Objekte in elf Bundesländ­ern und nahem 25 Personen fest.

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