Rheinische Post - Xanten and Moers
Die Waffen der „Reichsbürger“
Wie gefährlich sind die mutmaßlichen Verschwörer, die jetzt in Untersuchungshaft sitzen? Die am Mittwoch gefundene Ausrüstung hätte für einen Umsturz wohl kaum ausgereicht. Der Kanzler spricht von einem „sehr schlimmen Vorfall“.
FRANKFURT/BERLIN/DUBLIN (dpa) Wochenlang liefen die Vorbereitungen für die Beweissicherung und Festnahme der mutmaßlichen Verschwörer. Beamte der Sicherheitsbehörden mehrerer Bundesländer wurden eingeweiht. Intern trug die Operation den Namen „Schatten“. Tatsächlich liegt auch nach der Festnahme der Hauptbeschuldigten noch manches im Schatten.
Zwar sind die Ermittler überzeugt, dass Mitglieder der Gruppe gewaltbereit sind und sich als eine Art Vorhut sahen, die bei einem Umsturz die Führung übernehmen würde. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die Beweisführung in einem Prozess nicht einfach werden dürfte. Denn einige der Ideen, die in der Gruppe kursierten, waren so merkwürdig, dass die Grenze zwischen Wahrnehmung und Realität oft schwer zu ziehen ist. Das gilt vor allem für ihre Vermutung, eine Allianz ausländischer Akteure werde in Deutschland eingreifen.
Bei einigen der Verdächtigen soll es Überschneidungen mit der Szene der radikalen Gegner der Anti-Corona-Maßnahmen geben, beispielsweise in Pforzheim. Zum Kreis der Festgenommenen gehört auch ein Polizist, der bei „Querdenker“-Protesten aufgetreten war und sich gegen seine Entlassung aus dem Polizeidienst
juristisch zur Wehr setzt. Fest steht: Die während der Pandemie beschlossenen Einschränkungen spielten auch in Verlautbarungen von Mitgliedern der Gruppe in den sozialen Medien eine Rolle.
Einige der Beschuldigen kennen einander schon sehr lange. So hatten zwei der Festgenommenen in den 90er-Jahren gemeinsam bei der Bundeswehr gedient, im Fallschirmjägerbataillon 251, das später teilweise im Kommando Spezialkräfte (KSK) aufging.
Während der Durchsuchungen am Mittwoch sind zwar etliche Waffen gefunden worden. Das waren allerdings laut einer ersten Aufstellung hauptsächlich Signalschussoder Schreckschusswaffen sowie Schwerter und Armbrüste. Mit anderen Worten: nicht genügend Ausrüstung für den Umsturz, auf den sich die Gruppe vorbereitet haben soll. Die Durchsuchungen waren auch am Donnerstag noch nicht abgeschlossen. Dass direkt nach dem Zugriff nur eine Kurzwaffe und zwei Langwaffen, die scharfe Munition verschießen, entdeckt wurden, wirft dennoch Fragen auf: Gibt es vielleicht noch geheime Waffendepots? Und haben Verdächtige womöglich Wind von der geplanten Razzia bekommen und rechtzeitig Waffen verschwinden lassen? Mehrere
der Verdächtigen besaßen Sicherheitskreisen zufolge eine waffenrechtliche Erlaubnis, etwa als Sportschützen. Bei einem Beschuldigten sei eine Liste mit Namen von Abgeordneten gefunden worden, heißt es. Ohne Anmerkungen, sodass die Bedeutung unklar ist. Die betroffenen Politiker und Politikerinnen seien informiert worden.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) unterstrich angesichts der mutmaßlichen Terrorpläne die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit: „Einer der größten polizeilichen Einsätze in der Bundesrepublik Deutschland macht deutlich, dass wir mit Blick auf die Gefahr von Rechtsterror in unserem Land nicht naiv sein dürfen“, sagte sie bei einem Besuch in Dublin.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) betonte im Zusammenhang mit den Razzien die Entschlossenheit des Staates: „Die wichtigste Konsequenz ist, dass alle wissen, dass wir eine wehrhafte Demokratie haben, die solche Rechtsverletzungen mit ihren Sicherheitsbehörden durchkreuzen kann“, sagte Scholz am Donnerstagabend. Dass unter den Beschuldigten eine ehemalige AfD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages sei, „ist natürlich ein sehr bemerkenswerter und sehr schlimmer Vorfall“, so der Kanzler.
Martina Renner, Obfrau der Linksfraktion im Innenausschuss des Bundestages, sagt, für sie sei es nicht erstaunlich, dass mit Birgit Malsack-Winkemann eine AfD-Politikerin unter den Verdächtigen sei. Sie meint: „Man sollte die Diskussion beginnen über ein Verbot der AfD, juristisch und politisch.“Die formalen Voraussetzungen dafür sind allerdings hoch. Gewaltbereitschaft alleine reicht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht aus.
Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss, forderte angesichts der Tatsache, dass sich „unter den Verdächtigen jetzige und frühere Mitglieder der Sicherheitsbehörden“befänden: „Wir müssen genauer hinsehen, wer für diesen Staat arbeitet und Recht spricht.“