Rheinische Post - Xanten and Moers
Hingerichtet wegen Widerstands
Der Iran hat das erste Todesurteil gegen einen Teilnehmer der Proteste vollstreckt.
TEHERAN/ISTANBUL Die Botschaft war klar und wurde gehört. Am Montag rief die mächtige iranische Revolutionsgarde die Justiz des Landes auf, schnell und entschlossen alle Angeklagten abzuurteilen, die wegen Verbrechen gegen die Nation und den Islam vor Gericht stehen. Drei Tage später wurde der 23-jährige Mohsen Schekari zum Galgen geführt, weil er an den Protesten gegen die Islamische Republik teilgenommen hatte. Die erste Hinrichtung eines Mitglieds der Protestbewegung und weitere Todesurteile sollen die Demonstranten einschüchtern. Wahrscheinlicher ist das Gegenteil: Die Regimegegner könnten noch wütender werden.
Schekari war nach offiziellen Angaben am 25. September in Teheran festgenommen worden, kurz nach Beginn der landesweiten Proteste, die sich am Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in der Gewalt der Religionspolizei entzündeten. Schekari soll mit seinem Motorrad eine Straße blockiert und einen Polizisten mit einem Messer angegriffen haben.
Am 1. November fand der erste und einzige Verhandlungstag im Prozess gegen den jungen Mann statt, wie der iranische Journalist Omid Rezaee auf Twitter berichtete; am 29. November fiel das Todesurteil: Schekari habe „Krieg gegen
Gott“geführt – der Begriff wird zur Verurteilung von Gegnern der Islamischen Republik benutzt. Gut eine Woche später wurde Schekari hingerichtet. Selbst für die Scharfrichter der iranischen Justiz ist das ungewöhnlich schnell. Schekaris Familie wusste nach Angaben von Aktivisten nichts von der Hinrichtung: Sie wartete noch auf die Entscheidung über einen Einspruch gegen das Todesurteil. Nach einer Zählung von Amnesty International sind seit September außer Schekari 20 weitere Demonstranten zum Tode verurteilt worden. Ziel sei es, Angst zu verbreiten.
Iranische Regimegegner riefen westliche Staaten auf, den Iran nach dem Tod Schekaris mit neuen Sanktionen zu bestrafen. Die Hinrichtung müsse „auf internationaler Ebene rasche und praktische Konsequenzen“für das Regime haben, forderte beispielsweise Mahmood Amiry-Moghaddam, Chef der Exil-Organisation Iran Human Rights. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verurteilte indes die Exekution. „Die Menschenverachtung des iranischen Regimes ist grenzenlos“, schrieb sie am Donenrstagabend auf Twitter. Schekari sei in einem „perfiden Schnellverfahren abgeurteilt“worden. Neue Sanktionen erwähnte sie allerdings nicht.
Vertreter der Protestbewegung erklärten, sie würden sich nicht einschüchtern lassen. Hossein Ronaghi, ein Menschenrechtler und Blogger, der erst vor Kurzem nach einem Hungerstreik aus der Haft entlassen worden war, sagte nach der Hinrichtung, der Tod eines Demonstranten sei wie der Tod „von uns allen“. Ronaghi fügte auf Twitter jedoch hinzu, dass er sich nicht vom Protest abbringen lassen wolle.
Die bisher vorwiegend friedlichen Proteste könnten als Reaktion auf Todesurteile und Hinrichtungen radikaler werden. Die Betreiber des Twitter-Kontos „1500 Tasvir“, die Demonstrationen gegen das Regime dokumentieren, schrieben, die Demonstranten würden der Regierung nun zeigen, „was Gewaltspirale heißt“. (mit dpa)