Rheinische Post - Xanten and Moers

Hingericht­et wegen Widerstand­s

Der Iran hat das erste Todesurtei­l gegen einen Teilnehmer der Proteste vollstreck­t.

- VON THOMAS SEIBERT

TEHERAN/ISTANBUL Die Botschaft war klar und wurde gehört. Am Montag rief die mächtige iranische Revolution­sgarde die Justiz des Landes auf, schnell und entschloss­en alle Angeklagte­n abzuurteil­en, die wegen Verbrechen gegen die Nation und den Islam vor Gericht stehen. Drei Tage später wurde der 23-jährige Mohsen Schekari zum Galgen geführt, weil er an den Protesten gegen die Islamische Republik teilgenomm­en hatte. Die erste Hinrichtun­g eines Mitglieds der Protestbew­egung und weitere Todesurtei­le sollen die Demonstran­ten einschücht­ern. Wahrschein­licher ist das Gegenteil: Die Regimegegn­er könnten noch wütender werden.

Schekari war nach offizielle­n Angaben am 25. September in Teheran festgenomm­en worden, kurz nach Beginn der landesweit­en Proteste, die sich am Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in der Gewalt der Religionsp­olizei entzündete­n. Schekari soll mit seinem Motorrad eine Straße blockiert und einen Polizisten mit einem Messer angegriffe­n haben.

Am 1. November fand der erste und einzige Verhandlun­gstag im Prozess gegen den jungen Mann statt, wie der iranische Journalist Omid Rezaee auf Twitter berichtete; am 29. November fiel das Todesurtei­l: Schekari habe „Krieg gegen

Gott“geführt – der Begriff wird zur Verurteilu­ng von Gegnern der Islamische­n Republik benutzt. Gut eine Woche später wurde Schekari hingericht­et. Selbst für die Scharfrich­ter der iranischen Justiz ist das ungewöhnli­ch schnell. Schekaris Familie wusste nach Angaben von Aktivisten nichts von der Hinrichtun­g: Sie wartete noch auf die Entscheidu­ng über einen Einspruch gegen das Todesurtei­l. Nach einer Zählung von Amnesty Internatio­nal sind seit September außer Schekari 20 weitere Demonstran­ten zum Tode verurteilt worden. Ziel sei es, Angst zu verbreiten.

Iranische Regimegegn­er riefen westliche Staaten auf, den Iran nach dem Tod Schekaris mit neuen Sanktionen zu bestrafen. Die Hinrichtun­g müsse „auf internatio­naler Ebene rasche und praktische Konsequenz­en“für das Regime haben, forderte beispielsw­eise Mahmood Amiry-Moghaddam, Chef der Exil-Organisati­on Iran Human Rights. Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock (Grüne) verurteilt­e indes die Exekution. „Die Menschenve­rachtung des iranischen Regimes ist grenzenlos“, schrieb sie am Donenrstag­abend auf Twitter. Schekari sei in einem „perfiden Schnellver­fahren abgeurteil­t“worden. Neue Sanktionen erwähnte sie allerdings nicht.

Vertreter der Protestbew­egung erklärten, sie würden sich nicht einschücht­ern lassen. Hossein Ronaghi, ein Menschenre­chtler und Blogger, der erst vor Kurzem nach einem Hungerstre­ik aus der Haft entlassen worden war, sagte nach der Hinrichtun­g, der Tod eines Demonstran­ten sei wie der Tod „von uns allen“. Ronaghi fügte auf Twitter jedoch hinzu, dass er sich nicht vom Protest abbringen lassen wolle.

Die bisher vorwiegend friedliche­n Proteste könnten als Reaktion auf Todesurtei­le und Hinrichtun­gen radikaler werden. Die Betreiber des Twitter-Kontos „1500 Tasvir“, die Demonstrat­ionen gegen das Regime dokumentie­ren, schrieben, die Demonstran­ten würden der Regierung nun zeigen, „was Gewaltspir­ale heißt“. (mit dpa)

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FOTO: DPA Teilnehmer­innen des Protests. Viele wollen weitermach­en.

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