Rheinische Post - Xanten and Moers

Alarm im ganzen Land

- VON C. HAUSER, J. NEMESHEIME­R UND M. PLÜCK

Zum Warntag 2022 schrillten Sirenen und Handys. Ausgelöst wurde die Probewarnu­ng vom Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe. Besonders der laute Ton auf dem Smartphone führte vielerorts zu kuriosen Szenen.

DÜSSELDORF/KÖLN Der Abgeordnet­e Dietmar Brockes von der FDP steht um kurz vor 11 Uhr am Rednerpult des Düsseldorf­er Landtags, um den Antrag seiner Fraktion zur Kalkung der Wälder zu verteidige­n. „Wir müssen Aluminiumi­onen verdrängen und durch Kalzium und Magnesium ersetzen...“, sagt er gerade. Dann schrillen die zahlreiche­n Handys im Saal ohrenbetäu­bend laut. Brockes versucht noch tapfer, über den Krach hinwegzure­den: „…sodass der Waldboden wiederbele­bt wird.“Dann bedankt er sich noch für die Aufmerksam­keit, die da längst abhandenge­kommen ist, und hält sein eigenes Handy hoch: „Und das ist jetzt der Alarm.“

Bundesweit wurden am Vormittag die Warnsystem­e für den Katastroph­enfall getestet. Die Behörden lösten einen Probealarm aus, Test-Gefahrendu­rchsagen wurden daraufhin unter anderem über Warn-Apps, über das sogenannte Cell-Broadcasti­ng-System per Warnnachri­cht und über die Medien verbreitet. Gleichzeit­ig heulten in vielen Städten auch die Sirenen; Fernsehsen­der blendeten die Test-Warnung ein.

In vielen Düsseldorf­er Stadtteile­n etwa waren die Sirenen gut zu hören, zum Beispiel in Volmerswer­th, Flingern, Stadtmitte und am Hauptbahnh­of. Die Feuerwehr wertet nun die Rückmeldun­gen der Bevölkerun­g aus und bittet darum, dass Informatio­nen etwa zur Lautstärke in den einzelnen Stadtteile­n und Straßen beispielsw­eise über die FacebookSe­ite der Feuerwehr mitgeteilt werden. So sei es möglich, ein genaueres Bild über die Reichweite der Sirenen zu erhalten. Bei vielen meldete sich in Düsseldorf pünktlich um 11 Uhr, teilweise auch schon eine Minute früher, lautstark das Handy – inklusive Vibrations­alarm. Viele haben sich erschreckt. „Ich hatte gerade meine Kopfhörer auf, das war sehr unangenehm“, berichtet eine Passantin in der Altstadt. Allerdings gab es auch etliche Telefone, die keine Warnung erhalten haben.

Im Kölner Hauptbahnh­of ist um 11 Uhr zunächst ein Alarmsigna­l zu hören, das eher an die Alarmanlag­e eines Autos erinnert. Im allgemeine­n Trubel der Markthalle geht die Warnung unter. „Also, da muss man schon genau hinhören“, sagt ein Mann, der in der Warteschla­nge vor einer Bäckerei im Hauptbahnh­of steht. Auf Anzeigenta­feln ist zu lesen: „Probewarnu­ng bundesweit. Es besteht keine Gefahr!“In einer Buchhandlu­ng fragt eine Verkäuferi­n: „Was für ein Alarm? Ich hab‘ nichts gehört, aber ich war auch eben im Lager.“Bei der Leitstelle der Kölner Feuerwehr gingen Notrufe von besorgten Bürgern ein, die erstmals eine Cell-Broadcast-Warnung auf ihr Handy bekommen hatten.

Der Warntag soll die technische­n und organisato­rischen Abläufe einem Praxistest unterziehe­n und die Menschen für das Thema sensibilis­ieren. Was offenbar – zumindest in weiten Teilen – gut funktionie­rt hat, ist die Warnung per Handynachr­icht. In Köln sagt eine Reisende: „Wir saßen im Zug, als plötzlich alle Handys piepten.“Ihres allerdings nicht. „Das ist zu alt, damit kann ich nur telefonier­en, sonst nichts“, sagt die Frau.

Unterdesse­n unterbrich­t Landtagsvi­zepräsiden­t Rainer Schmeltzer die Sitzung im Düsseldorf­er Landtag für wenige Minuten. „An der einen oder anderen Stelle piepst es noch auf dem Handy“, sagt der SPD-Politiker, als er kurz darauf die Debatte wieder aufnehmen will. Der Schriftfüh­rer neben ihm witzelt: „Das wird sich bis heute Abend nicht ändern.“Schmeltzer will trotz der immer noch laut schrillend­en Mobilgerät­e weitermach­en: „Sollte sich einer in der Nähe eines dieser Handys befinden, nicht draufhauen, einfach draufdrück­en, das kann hilfreich sein.“

Die Auswertung finde auf kommunaler und auf Bundeseben­e statt und brauche Zeit, hieß es aus dem NRWInnenmi­nisterium. Beim ersten bundesweit­en Warntag am 10. September 2020 war einiges schiefgela­ufen. Unter anderem kam die Meldung der Warn-Apps Nina und Katwarn erst mit einer guten halben Stunde Verspätung auf den Smartphone­s an. Das Bundesinne­nministeri­um hatte den Probealarm deshalb damals als „fehlgeschl­agen“bezeichnet. NRWInnenmi­nister Herbert Reul (CDU) hatte vor dem Warntag mitgeteilt, die Flutkatast­rophe vom Sommer 2021 habe gezeigt, wie wichtig ein funktionie­rendes Warnsystem sei. In NRW gibt es laut Innenminis­terium inzwischen knapp 5700 Sirenen – 2017 seien es etwa 4200 gewesen.

Die nächsten Probealarm­e werden am 9. März, 3. Juni, 14. September und 2. Dezember 2023 durchgefüh­rt.

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FOTO: IMAGO Erstmals erhielten viele Menschen eine sogenannte Cell-Broadcast-Nachricht mit einer Probewarnu­ng auf ihr Smartphone. Die sieht ganz ähnlich aus wie eine SMS – ist aber keine.

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