Rheinische Post - Xanten and Moers
Karlsruhe sieht Lindners Etat kritisch
Die Verfassungsrichter haben zwar einen Eilantrag der Union gegen den Nachtragshaushalt 2021 und die Umbuchung von 60 Milliarden Euro zurückgewiesen. Doch in ihrem Beschluss wimmelt es nur so von Fragen an den Minister.
BERLIN Das Bundesverfassungsgericht lässt bis zu einem endgültigen Urteil zu, dass der Bund viele geliehene Milliarden Euro, die eigentlich zur Bekämpfung der Corona-Krise gedacht waren, für seine ambitionierten Klimaschutzpläne nutzt. Das Gericht folgte am Donnerstag dem Eilantrag der Union nicht, die Umbuchung von 60 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt 2021 auf den Energie- und Klimafonds (EKF) zu stoppen. Es wird die damit verbundenen Fragen über den umstrittenen Zweiten Nachtragshaushalt 2021 in einem Hauptsacheverfahren im Detail prüfen. Während die Ampelkoalition die Entscheidung begrüßte, sprach die Union von einem „Warntag“für Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
Worum geht es? Die neue Bundesregierung hat im Jahr 2021 nicht genutzte Kreditermächtigungen rückwirkend in den EKF eingebucht, damit sie in den kommenden Jahren für Investitionen in den Klimaschutz genutzt werden können. Genehmigt worden waren die Kredite ursprünglich, um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Die Union ist der Ansicht, dass mit den Haushaltsänderungen die Schuldenbremse umgangen wird. 197 Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion hatten sich deshalb an Karlsruhe gewandt.
Wie begründet das Gericht die Zurückweisung des Eilantrags? Die
Folgen einer einstweiligen Anordnung wären zu schwer gewesen, sollte sich später im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die Umbuchung doch verfassungskonform gewesen sei, argumentierten die Karlsruher Richter. Als Beispiel nannten sie, dass die sogenannte EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms dann womöglich nicht mehr aus den umgeschichteten Mitteln finanziert werden könnte, was mit einer Strompreiserhöhung und Mehrbelastungen für Verbraucher und Unternehmen verbunden wäre. Zudem könnten Programme für effiziente Gebäude, der Umweltbonus für E-Autos oder Hilfen zur Dekarbonisierung der Industrie gefährdet werden, hieß es. Auch könnten Ziele wie die CO2-Reduktion verfehlt werden. Sollte im Hauptsacheverfahren dagegen herauskommen, dass die Ampel verfassungswidrig gehandelt habe, würde der Haushalt mit maximal 60 Milliarden Euro belastet. Es sei davon auszugehen, dass diese Summe nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgeschöpft werde. In der Abwägung seien die Folgen hier weniger schwer.
Wie geht es weiter? Das Verfassungsgericht wird im sogenannten Hauptsacheverfahren prüfen, ob die Regierung verfassungswidrig gehandelt hat. Es sieht durchaus die Möglichkeit, dass gegen verfassungsrechtliche Vorgaben für eine notlagenbedingte Kreditaufnahme verstoßen wurde. Mit Blick auf die Schuldenbremse müsse nun geprüft werden, welche Prinzipien für die Ausnahmeregelung bei Naturkatastrophen sowie bei außergewöhnlichen Notsituationen gelten und ob sie durch Sondervermögen umgangen werden könnten.
Welche Folgen hätte ein späterer Sieg der Union? Würde das Gericht am Ende doch gegen die Ampel urteilen, könnte das auch die anderen kreditfinanzierten Sondervermögen für die Bundeswehr (100 Milliarden Euro) und für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (200 Milliarden Euro) zur Milderung der hohen Energiepreise infrage stellen. Die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 wäre obsolet, denn Finanzminister Lindner wäre gezwungen, die Neuverschuldung stark zu erhöhen.
Wie reagiert die Union? Die Union bleibe zuversichtlich, was den Ausgang der Hauptsache angeht, sagte Fraktionsvize Mathias Middelberg. Das Gericht habe „sehr dezidiert Fragen und auch Zweifel“erkennen lassen. Es gebe für Lindners „Vorratspolitik“kein „grünes Licht“aus Karlsruhe, sondern die Ampel stehe auf „Tiefgelb“.
Was sagt der Finanzminister? Christian Lindner begrüßte, dass sich bei der bisherigen Finanzierung von Klimaschutzvorhaben vorerst nichts ändert: „Karlsruhe hat eine gute Nachricht für viele, viele Menschen in unserem Land gesendet.“Dass das Gericht höchstrichterlich die Schuldenbremse konkretisieren wolle, sei entscheidend für deren weitere Anwendung. (mit dpa)