Rheinische Post - Xanten and Moers
Das Putschgespenst
Die Aktionen der „Reichsbürger“sind zwar gefährlich, bedrohen aber nicht unsere Demokratie. Das war nicht immer so – vor 100 Jahren sah sich die Weimarer Republik mehreren Umsturzversuchen gegenüber.
Der 19. Oktober 2016 war in vielerlei Hinsicht eine Zäsur in der Geschichte der wehrhaften Demokratie. Die Nachricht an diesem Tag aus Georgensgmünd, nahe Nürnberg, schockierte die Bundesrepublik: „Ein sogenannter Reichsbürger schießt auf Polizisten“, lautete die Meldung, bei einer Razzia in dessen eigenem Haus. Die SEK-Beamten hatten Waffen des damals 49-Jährigen sicherstellen wollen. Für einen Mann der vier Spezialkräfte endete der Einsatz tödlich, er starb nach einer Not-OP.
Der Polizistenmord von Georgensgmünd löste eine bundesweite Debatte aus: Wo und wie leben „Reichsbürger“? Welche Schnittmengen zu gewaltbereiten Rechtsextremisten gibt es? Müssen Sicherheitsbehörden besser hinschauen? Im aktuellen Fall haben sie das offenbar getan. Monatelang waren Mitglieder und Unterstützer der mutmaßlich terroristischen Vereinigung überwacht und abgehört worden, bevor 3000 Spezialkräfte in ganz Deutschland am Mittwochmorgen zuschlugen. 25 Personen wurden festgenommen, die „eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik“verbindet, wie die Generalbundesanwaltschaft mitteilte. Im Laufe der Zeit habe das bei ihnen den Entschluss wachsen lassen, „sich an ihrer gewaltsamen Beseitigung zu beteiligen“. Ein moderner Putsch?
Der Terrorexperte Peter Neumann hält die Gefahr für beherrschbar: „Der Umsturzversuch hätte sicher keinen Erfolg gehabt. Die Anführer wurden wohl Opfer ihrer eigenen Propaganda“, sagt der Politikwissenschaftler, der am King’s College in London lehrt. Als harmlos bezeichnet der renommierte Wissenschaftler die Gruppe indes nicht. „Die Verbindungen zu Bundeswehr und Polizei sind der besorgniserregendste Aspekt“, sagt Neumann. Schon mehrfach habe es auch Verbindungen zum KSK, der bestausgebildeten und aggressivsten Einheit der Bundeswehr, gegeben. Aber auch Schnittmengen mit AfD-Politikern sind keineswegs zu unterschätzen. Etwa die nun verhaftete Richterin und AfDPolitikerin Birgit Malsack-Winkemann, die bei der Wahl 2021 nur knapp an einer zweiten Amtszeit als Bundestagsabgeordnete vorbeischrammte. Und noch immer einen Ehemaligenausweis für das Hohe Haus hat. Ein nicht unwichtiger Fakt für „Tag X“, für den die Gruppe laut Generalbundesanwalt Vorbereitungen getroffen hat, um „mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen“.
Das Wort Putsch ist ansonsten eher mit Ereignissen im Ausland verbunden. In Deutschland gilt die Demokratie seit 1949 als sehr stabil. Anders war das in Zeiten der Weimarer Republik von 1918 bis 1933. Interessant ist allerdings, dass alle Putschversuche scheiterten – auch der Marsch eines gewissen Adolf Hitler zur Münchner Feldherrnhalle.
Ein Lehrstück stellte der Kapp-Putsch aus dem Jahr 1920 dar. Die sogenannte Weimarer Koalition aus SPD, konservativem Zentrum und der linksliberalen DDP stellte damals die Reichsregierung unter Kanzler Gustav Bauer (SPD). Als das Kabinett die Bedingungen des Versailler Friedens – unter anderem Begrenzung der Reichswehr auf 100.000 Soldaten (obwohl 250.000 im Sold standen) – erfüllen wollte, schlugen plötzlich Putschisten los, die ideologisch weit rechts standen. Die Köpfe der Verschwörung waren ein reaktionärer Landwirtschaftsdirektor namens Wolfgang Kapp und der Kommandierende General des
Peter Neumann Sicherheitsexperte
Berliner Reichswehr-Kommandos, Walther Freiherr von Lüttwitz. Beide nutzten die vor den Toren stehenden Truppen der Brigade Ehrhardt, die sich aus ehemaligen Marinesoldaten gebildet hatte und bewaffnet war. Die Gruppe zog in der Nacht zum 13. März 1920 in Berlin ein, Kapp und von Lüttwitz besetzten die Reichskanzlei, während die demokratische Regierung sich teilweise nach Dresden und Stuttgart absetzte.
Ein Putsch wird oft in Minuten und wenigen Stunden entschieden. Während SPD-Reichswehrminister Gustav Noske und Kanzler Bauer sowohl im Vorfeld des Staatsstreichs als auch beim Anmarsch der Brigade Ehrhardt merkwürdig passiv blieben, die Reichswehr unter dem Leiter des Truppenamts, Hans von Seeckt, sich für neutral erklärte, verabredeten Außenminister Hermann Müller und Parteichef Otto Wels (beide SPD) gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds, Carl Legien, einen Generalstreik, dem sich auch die Beamten anschlossen. Der Anschlag des Textes in Berlin und die schnelle Verbreitung führten zu raschen Aktionen der Arbeiter und der Verweigerung der Beamten, Anweisungen der Putschisten zu befolgen. Schon am 17. März flohen Kapp und Lüttwitz, nachdem sie zuvor unter dem Druck des Militärs zurückgetreten waren. Die rechtmäßige Regierung kehrte einen Tag später zurück. Nach Verhandlungen mit den Gewerkschaften kam es zu einer Umbildung. Statt des farblosen Bauer, übernahm der Held der Ereignisse, der Sozialdemokrat Müller, die Regierung, Noske wurde entlassen.
Die Entschlossenheit weniger hatte den Putsch scheitern lassen. Auch später haben die demokratisch gewählten Vertreter der Weimarer Republik mit Energie und Mut Umsturzversuche verhindert, zuletzt im November 1923 den Marsch Hitlers auf die Feldherrnhalle. Trotzdem war die Demokratie damals zu schwach und überlebte die große Wirtschaftskrise nicht.
„Die Verbindungen zu Bundeswehr und Polizei sind der besorgniserregendste Aspekt“