Rheinische Post - Xanten and Moers
Gegen das Netz der Verschwörer
Politiker fordern strenge Sicherheitsprüfungen im Staatsdienst, um „Reichsbürger“zu enttarnen.
DÜSSELDORF Mit Sorge blickt Nordrhein-Westfalen auf mögliche Vernetzungen von „Reichsbürgern“und ihren Sympathisanten innerhalb des eigenen Bundeslandes und über dessen Grenzen hinaus. Vor allem, weil die gerade in einer bundesweiten Razzia zerschlagene Gruppierung aus diesem Milieu Zugang zu Waffen hatte. „Auch wenn man natürlich sagen muss: Dass die ernsthaft glauben, sie könnten mit zwei Dutzend Leuten unseren Staat stürzen, zeigt, dass sie nicht alle Latten am Zaun haben“, wie der stellvertretende Fraktionschef der CDU im Düsseldorfer Landtag, Gregor Golland, befand.
Allerdings waren die Akteure offenbar davon überzeugt, deutlich größeren Rückhalt in der Bevölkerung zu haben. Zwar habe es bei der Razzia keinen Schwerpunkt in NRW gegeben. „Das bedeutet aber nicht, dass nicht von einzelnen Nestern noch etwas ausgehen kann“, warnt die Demokratieforscherin Susanne Pickel, Professorin an der Uni Duisburg-Essen. Die grundlegenden Strukturen der Szene seien überall die gleichen, auch in NRW. Es gebe einen harten Kern, dem sich allerlei Unterstützer anschlössen: „Da sind Querdenker, Esoteriker, Verschwörungsgläubige und Rechtsextreme“, sagt Pickel. „Das ist wie eine Krake, die in verschiedene Richtung ausgreift.“Geeint würden die Akteure unter anderem durch Staats- und Demokratiefeindlichkeit.
Die Forscherin rät zu einer besseren Überprüfung von Landesbeamten:
„Wir müssen uns als Land rückversichern, dass unsere Staatsdiener auch Staatsdiener sind. Das macht man im linksextremen Spektrum ja auch. Man darf nicht länger auf dem rechten Auge halb blind sein.“Außerdem gelte es, bei Anzeichen wachsender Gewaltbereitschaft alarmiert zu sein. „Diese ‚Reichsbürger‘-Bewegung ist dabei, sich zu bewaffnen und Leute an der Waffe auszubilden. Das ist in nahezu allen Gruppen der Fall.“
Am Donnerstag steht das Thema auf der Tagesordnung im Innenausschuss des Landtags. FDP-Innenpolitiker Marc Lürbke umreißt Kernfragen, um die es den Liberalen dann gehen wird: „Welche Beziehungen gab es zu der Polizeibeamtin aus NRW, die jetzt suspendiert worden ist? Inwieweit hat diese Gruppierung versucht, innerhalb der nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden Verknüpfungen herzustellen und Leute zu rekrutieren?“
Auch über konkrete Schutzmaßnahmen wird zu sprechen sein. Christina Kampmann (SPD) fordert neben besseren Sicherheitsprüfungen eine Verschärfung des Disziplinarrechts, „damit Reichsbürger umgehend aus dem Staatsdienst entfernt werden“, so die innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten. „Die im Zuge der Razzia bekannt gewordenen Umsturzpläne offenbaren das Bedrohungs- und Gewaltpotenzial der Reichsbürgerszene auch in NRW.“
„Wir brauchen mehr Überwachung von Messenger-Kommunikation, Telefongesprächen und Verkehrsdatenspeicherung, um Netzwerke nachvollziehen zu können“, sagt CDU-Politiker Gregor Golland. Die Christdemokraten dürften allerdings Schwierigkeiten haben, dafür ihren Koalitionspartner, die Grünen, zu gewinnen. „Ob und welche zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen erforderlich sind, hängt auch davon ab, welche Ziele dieses rechtsterroristische Netzwerk verfolgte, welche Rolle die Akteure aus NRW gespielt haben und ob weitere Personen aus Sicherheitsbehörden in NRW angeworben werden konnten“, sagt deren Innenexpertin Julia Höller.
Gegen die besagte suspendierte Polizistin aus Minden-Lübbecke wird derzeit die Einleitung eines Disziplinarverfahrens geprüft. Nach Informationen unserer Redaktion wurden ihre Wohnung und Teile ihres Arbeitsplatzes durchsucht. Das Land weiß von fünf Polizeivollzugsbeamten, die seit 2016 verdächtigt wurden, der „Reichsbürger“-Bewegung anzugehören. Einer wurde aus dem Dienst entfernt, in vier Fällen gibt es noch keine Entscheidung.
Der Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr und Professor an der Hochschule der Polizei in NRW, Patrick Sensburg, warnt unterdessen vor einem Generalverdacht: „Es gibt kein strukturelles Extremismusproblem bei den Reservisten oder aktiven Soldaten der Bundeswehr“, sagte er. Es brauche aber konsequenteres Durchgreifen gegen Menschen im Staatsdienst, deren demokratiefeindliche Einstellungen bekannt seien, und mehr Sensibilisierungsmaßnahmen in den „robusten Einheiten“wie Spezialkräften von Sicherheitsbehörden.