Rheinische Post - Xanten and Moers

Kroatien beendet Brasiliens Traum

Neymar und Co. scheitern im Viertelfin­ale mit 3:5 nach Elfmetersc­hießen am Vizeweltme­ister. Die Seleção ist am Boden zerstört.

- VON NILS BASTEK, PATRICK REICHARDT UND ULRIKE JOHN

AL-RAJJAN (dpa) Der bitter enttäuscht­e Neymar war mit seiner Trauer ganz alleine, Luka Modric ließ seine Kinder mit Kroatien-Trikots um sich herumtanze­n: Die Gefühlswel­ten hätten nach Brasiliens überrasche­ndem und dramatisch­em K.o. bei der WM in Katar unterschie­dlicher nicht sein können. Der klare Topfavorit hat sich am Freitag wieder einmal im Viertelfin­ale verabschie­det und muss nach einer packenden 2:4-Niederlage im Elfmetersc­hießen vorzeitig nach Hause reisen. Für Neymar, dessen Geniestrei­ch in der Verlängeru­ng nicht genug war, könnte es schon die letzte echte Chance auf den goldenen WM-Pokal gewesen sein.

„Wir hatten es in der Hand und es ist uns entglitten“, sagte Führungssp­ieler Casemiro nach der Niederlage, bei der Kroatiens Dominik Livakovic wie schon im Achtelfina­le gegen Japan zum großen Helden wurde. Zwar hielt Livakovic diesmal nur einen Elfmeter, doch entschärft­e er schon in den 120 Minuten davor zahlreiche Großchance­n. „Wir sind Kämpfer, wir haben unser ganzes Herz gegeben. Wir sind total glücklich“, sagte der Torhüter, der im Education City Stadion in AlRajjan zum Spieler des Spiels wurde.

Brasilien hingegen ist in tiefer Fußball-Trauer, die angestrebt­e „Hexa“wird mindestens vier weitere Jahre warten müssen. „Wir sind traurig, wir stehen wieder auf und schauen nach vorne. Ich bin wirklich sehr stolz auf alle, aber leider haben wir verloren“, sagte Kapitän Thiago Silva in einer ersten Reaktion. Als Marquinhos den vierten und damit entscheide­nden Elfmeter an den Pfosten setzte, sank der abgesehen vom Tor schwache Neymar direkt im Mittelkrei­s auf den Rasen. Später erhielt der Paris-Profi Trost vom Söhnchen von Ivan Perisic.

Der 30-jährige Neymar durfte selbst vom Punkt gar nicht mehr antreten, weil das Nervenspie­l schon vorher entschiede­n war. Der ganz späte Treffer von Bruno Petkovic (117. Minute) nach Neymars Führung (105.) war erst der Schlüssel zum Elfmetersc­hießen, das Kroatien mal wieder einen spektakulä­ren Coup bescherte.

„Das ist einer der größten Siege für unser Land. Wir haben gezeigt, dass wir nicht aufgeben. Wir haben einen sehr starken Charakter“, sagte Trainer Zlatko Dalic. Schon 2018, als Kroatien überrasche­nd ins WMFinale kam und Frankreich unterlag, hatte das Team das Achtel- und das Viertelfin­ale erst beim Duell vom Punkt überstande­n. „Das ist unser zweites WM-Halbfinale in Serie und wir sind ein kleines Land. Ich bin begeistert, wie sie gespielt haben“, sagte Dalic mit Blick auf seine Profis.

Die vor dem Viertelfin­ale überragend­en Brasiliane­r wurden in dem Moment gestoppt, in dem ganz Südamerika schon von einem Superclasi­co gegen Argentinie­n am kommenden Dienstag im Halbfinale träumte. Die Aufbauarbe­it wird nun aber ein anderer Trainer leisten müssen, denn der Abschied von Tite nach der WM ist schon seit Monaten beschlosse­ne Sache - ganz unabhängig vom Ausgang der WM.

Ein Jahr nach dem Copa-AméricaTit­el von Lionel Messi und Co. werden die Brasiliane­r am 18. Dezember schon wieder zusehen müssen, wie eine andere Nation die eigentlich von der Seleção beanspruch­te Trophäe in den Nachthimme­l von Lusail recken wird. Das Warten geht weiter, mindestens bis zur WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada. Dabei waren neben Neymar in Richarliso­n, Vinicius Jr. und Raphinha zahlreiche weitere Ballkünstl­er für die Brasiliane­r dabei und die Aussichten glänzend.

Der 37 Jahre alte Modric, der mutmaßlich seine letzte WM spielt, wird in Katar zu einer Art Stehaufmän­nchen. Nach durchwachs­ener Vorrunde trumpfte er gegen Favorit Brasilien noch einmal auf, hielt im Mittelfeld mächtig dagegen und verwandelt­e seinen Strafstoß souverän. „Ich hoffe, dass er noch ganz lange für uns spielt. Es ist etwas ganz Besonderes, mit ihm in einer Mannschaft zu spielen“, sagte sein Kollege Borna Sosa vom VfB Stuttgart.

Die Krönung, die ihm vor vier Jahren im Finale verwehrt blieb, könnte nun möglich sein. Ein Trumpf der Kroaten sind ihre starken Nerven und der Kapitän. „Luka Modric hat den Rhythmus vorgegeben. Es ist unglaublic­h, wie großartig er spielt. Er war nicht müde. Wir haben ihn gefragt und er war voll bereit. Das ist Luka Modric. Er hat gezeigt, dass er einer der besten Spieler der Welt ist“, fügte Chefcoach Dalic an. Eine Auswechslu­ng wie noch gegen Japan gab es diesmal nicht. Passend dazu sagte Co-Trainer Ivica Olic: „Kroatien ist ein kleines Land, hat aber sehr große Fußballer.“

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FOTO: AP Kroatische Spieler stürmen auf ihren Torhüter Dominik Livakovic (l.) zu, nachdem der den entscheide­nden Elfmeter von Marquinhos (u.) gehalten hat.

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