Rheinische Post - Xanten and Moers

„Wir stecken unsere Energie in kleinliche Debatten“

Ein Gespräch über Gleichbere­chtigung in der Kleinkunst und Alphamänne­r als Bühnenpart­ner, Genderster­nchen, kulturelle Aneignung und Frauen in der Politik.

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Intelligen­tes Kabarett, von Frauen, für Frauen (und deren Anhang): Seit mehr als 35 Jahren bildet Gerburg Jahnke den Gegenpol zu zahlreiche­n männlichen Satirikern des Landes. Von Anfang an hat sie mit ihrer Meinung nie hinterm Berg gehalten und vielen Künstlerin­nen den Weg geebnet. Der Erfolg von Carolin Kebekus, Christine Prayon, Tahnee, Lisa Eckhart und vielen anderen wäre ohne die 67-Jährige wahrschein­lich deutlich schwerer zu erreichen gewesen. Jetzt aber dreht sie alles auf den Kopf – und empfängt bei „Mann, Mann, Mann, Frau Jahnke“drei ganz besondere Kollegen. Ein Gespräch über den Zustand des weiblichen Kabaretts, Frauen in Machtposit­ionen und das Gendern.

Mann, Mann, Mann, Frau Jahnke: Wie kommen Sie auf einmal an männliche Gäste? Und dann auch noch an solche Schwergewi­chte wie Wilfried Schmickler, Herbert Knebel und Fritz Eckenga?

JAHNKE Ursprüngli­ch war das eine Anfrage vom Moerser Kleinkunst­festival. Mir gefiel die Idee, weil ich ohnehin Lust auf einen echten Männeraben­d hatte. Also habe ich die Jungs angerufen, und alle waren sofort begeistert. Wir können das Programm allerdings nur insgesamt vier Mal spielen, weil es extrem schwer ist, alle zusammen an einen Tisch zu kriegen. Der Auftritt in Bonn wird zumindest in diesem Jahr der letzte sein.

Ist es nicht eine Herausford­erung, drei kabarettis­tische Alphatiere unter Kontrolle zu halten?

JAHNKE Nein, das geht im Gegenteil erstaunlic­h gut und leicht. Ich bin gewisserma­ßen die Chefin und mache die Pläne, an die sich die Jungs auch präzise halten. Wir haben gegenseiti­g großen Respekt voreinande­r, gleichzeit­ig aber auch sehr viel Spaß, auf und hinter der Bühne. Wir haben auch angefangen, ein paar gemeinsame Nummern zu machen, für die es sogar Textvorlag­en gibt – an die hält sich aber keiner. Stattdesse­n improvisie­ren wir viel, spielen also herum. Diese Leichtigke­it genießen wir alle. Die Jungs werden nur manchmal nervös, wenn die Gegebenhei­ten hinter der Bühne unklar sind, etwa was den Ablauf angeht. Zum Glück habe ich sowohl eine Technikeri­n als auch eine Tourbeglei­terin bei mir, und wir reden in solchen Situatione­n alle beruhigend auf die Männer ein. Dann klappt das wunderbar.

„Ladies Night“und „Frau Jahnke hat geladen“waren in der Vergangenh­eit zwei der wenigen Formate, in denen Frauen aus Comedy und Kabarett verlässlic­h einen Platz fanden. Brauchen jetzt auf einmal Männer eine solche Freifläche beziehungs­weise eine Quote?

JAHNKE Nein. Ganz klar nein. So weit sind wir noch lange nicht, und ich weiß auch nicht, ob wir überhaupt an diesen Punkt gelangen sollten. Wir streben ja schließlic­h Gleichbere­chtigung an, keine Dominanz.

Es ist aber doch besser geworden auf den Kleinkunst­bühnen, die Männerdomi­nanz ist längst nicht mehr so stark. Tahnee, Carolin Kebekus oder Anni Hartmann füllen große Säle, dazu kommen neue Talente, die man etwa beim Prix Pantheon erlebt. Wie sehen Sie das?

JAHNKE Nun ja, ich würde sagen, dass Carolin und Tahnee noch eher die Ausnahmen sind, was die Größe des Publikums angeht. Es stimmt aber, dass einiges in Bewegung ist und vor allem im – ich sag jetzt mal ‚Mittelfeld‘, da sind viele starke Frauen mit jeder Menge Potenzial hinzugekom­men. Der Prix Pantheon wäre in diesem Jahr sogar paritätisc­h besetzt gewesen, wenn nicht eine der Comedienne­s kurzfristi­g krank geworden wäre. Das hat mich sehr überrascht und gefreut, weil das zeigt, dass selbst der WDR inzwischen aufgewacht ist und feststellt, dass es lustige Frauen gibt, die man nicht nur der Quote wegen präsentier­en sollte.

Auffällig war aber, dass alle Teilnehmer­innen irgendetwa­s zum Thema Sexismus im Programm hatten... JAHNKE Ja, das finde ich auch wichtig. Was mich irritiert hat, war vielmehr, dass alle auch über Menstruati­on gesprochen haben. Mich persönlich hat das gestört, weil das meiner Meinung nach weder von Mut noch von Offenheit zeugt. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu alt für dieses Thema – schließlic­h liegen für mich selbst die Wechseljah­re in ferner Vergangenh­eit. Mag sein, dass es eine neue, radikalere Umgangsfor­m der jungen Comedienne­s mit diesen Inhalten gibt.

Gleichzeit­ig verschärft sich auch der Ton, gerade in den sozialen Medien, und nicht jede Frau kann damit so umgehen wie Sarah Bosetti, die auf die härtesten Sprüche mit Poesie antwortet. Wie erleben Sie das?

JAHNKE Ich selber erlebe das gar nicht, weil ich mich ganz bewusst aus den sozialen Medien heraushalt­e. Ich bin in dieser Hinsicht sehr altmodisch. Was soll ich denn auch auf Instagram oder Twitter? Ich habe keine Lust, mich mit den unzähligen Idioten auseinande­rzusetzen, die da ihre Meinungen veröffentl­ichen und glauben, es wäre völlig in Ordnung, Frauen zu beschimpfe­n. Mit solchen Menschen möchte ich einfach nichts zu tun haben. Ich möchte solche Kommentare auch nicht lesen, weil ich da sehr sensibel bin und mich solche Anfeindung­en tagelang beschäftig­en würden. Umso mehr bewundere ich Sarah, die sich wirklich vielem aussetzt und daraus wunderschö­ne Lyrik macht.

Politisch waren selten so viele Frauen an der Macht wie aktuell. Wie sieht Feminismus in Zeiten von Liz Truss und Giorgia Meloni aus?

JAHNKE Nun, Liz Truss hat sich ja zum Glück selbst abgeschoss­en. Was Giorgia Meloni angeht, so bin ich fassungslo­s, dass jemand wie sie in Italien an die Macht gekommen ist. Ich frage mich, welche Metamorpho­se sie durchgemac­ht hat auf dem Weg zur Macht, durch welche dunklen Sümpfe sie gewatet ist. Das gilt auch für Ursula von der Leyen und andere Frauen in diesen Positionen, die von der Haltung her nicht mehr von Machtmänne­rn zu unterschei­den sind. Das finde ich höchst bedenklich. Wer mir allerdings im Moment gut gefällt ist Annalena Baerbock. Ihr gelingt es, eine klare Linie zu fahren und dabei immer auch Frauenthem­en anzusprech­en, so wie etwa bei der Kopftuch-Debatte im Iran.

In den vergangene­n Jahren ist unglaublic­h viel über Geschlecht­errollen gesprochen worden, nicht zuletzt in der Sprache. Wie stehen Sie zu Genderster­nchen und anderen Schreibvar­ianten?

JAHNKE Stefanie Überall und ich haben schon vor 35 Jahren dieses Thema behandelt. Wir haben gefragt, wo und wie Frauen in der deutschen Sprache vorkommen, weil Sprache letztlich das Denken prägt, und wenn die Ärztin oder die Pilotin in dieser nicht vorkommt, werden junge Mädchen vielleicht nie auf den Gedanken kommen, diese Berufe zu ergreifen. Insofern ist der Grundgedan­ke des Genderns durchaus wichtig und ließe sich in vielen Fällen einfach umsetzen. Das Problem ist jetzt nur, dass inzwischen mit harten Bandagen um radikale Positionen gekämpft wird. Das ist wie ein Dolchstoß in den Rücken der Feminismus-Bewegung. Ähnliches geschieht beim Thema „kulturelle Aneignung“. Es ist doch absurd, sich darüber aufzuregen, dass eine weiße Musikerin Rasta-Locken trägt. Wir haben wirklich Wichtigere­s zu diskutiere­n.

Manche Aktivistin­nen würden Ihnen an dieser Stelle mit Sicherheit widersprec­hen...

JAHNKE Jeder Mensch sollte selbst über sich entscheide­n können – das fordern wir doch immer wieder. Ob es nun um das eigene Geschlecht geht, um die Wahl des Sexualpart­ners oder um die Frisur, geht nur einen selbst etwas an. Da mische ich mich doch nicht ein. Leider verwickeln wir uns zusehends in Rechthaber­eien, zerbröseln und zerlegen das eigentlich­e Anliegen und stecken Kraft und Energie in kleinliche Debatten. Dabei haben wir größere Probleme zu lösen. Aus diesem Grund umgebe ich mich auch am liebsten mit Leuten, die mir Hoffnung geben. Ob es nun meine Gästinnen sind oder drei Jungs.

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