Rheinische Post - Xanten and Moers
RAaczeks letzter Fall
Kaum ist der neue Kollege da, sagt der alte im „Polizeiruf“Tschüss. Ein wehmütiger Abschied.
FRANKFURT/ODER Hose mit Schlag, ein rosa Pullunder über einem grünen Hemd und ein blauer Mantel mit Pelzkragen. „Glotz nicht so, ist Kunstpelz“, sagt Vincent Ross (André Kaczmarczyk) zu seinem Kollegen Adam Raczek (Lucas Gregorowicz), als sie beide in einem stillgelegten Tagebau aus dem Auto steigen und durch die Lausitzer Sandwüste stiefeln. An das modische Auftreten seines neuen Partners hat sich Raczek in ihrem zweiten Fall noch nicht ganz gewöhnt. Immerhin kommentiert er die geschminkten Augen und den Lippenstift des Kollegen nicht mehr.
Viel Aufsehen erregt Vincent Ross dem kleinen Örtchen Fehlow jedoch nicht wegen seines Äußeren, sondern wegen seiner für die Dorfbevölkerung unangenehmen Fragen. Eine Ingenieurin ist tot im Wald gefunden worden, sie arbeitweutechasn einem Gutachten zur Bodenbeschaffenheit des ehemaligen Braunkohle-Abbaugebiets. Der neu geschaffene See soll nämlich Investitionen in den Ort bringen. Kurzerhand quartieren sich die Kommissare ein und arbeiten sich von Verdächtigem zu Verdächtigem. Dwann taucht eine zweite Frauenleiche, und sie müssen in der Verganvgenheit und im Sand des Tagebaus graben.
Der Brandenburger „Polizeiruf“Fall „Abgrund“mit der deutsch-polnischen Ermittlergruppe ist wieder ein Abschied. Es ist Raczeks letzter Fall. Lucas Gregorowicz verlässt die Reihe nach zwölf Jahren. Er gehe,
die Kluft zu groß geworden sei zwischen dem gefühlten Potenzial und dem, was in Krimistrukturen möglich ist, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Das Duo Raczek/ Ross ermittelte nur zweimal gemeinsam – das reicht gerade mal für ein Debüt und einen Abschied. André Kaczmarczyk macht erst mal alleine weiter. Dabei war die Kombination der beiden Charaktere – hier ein Kommissar, der sich als genderfluide bezeichnet und immer gegen Klischees ankämpft, dort ein Polizist klassischer Prägung mit eigenen Dämonen – unterhaltsam und spannend.
Und so macht auch dieser Fall das Publikum etwas wehmütig, weil es richtig dynamische Ermittlerpaare, die noch Neues bieten, zurzeit nicht gibt im Sonntagskrimi-Personal.
Köln, München, Münster, Ludwigshafen – die Partner sind alle wie alte Ehepaare. Doch Raczek ist mit seiner Kraft am Ende, er schluckt Schlaftabletten und kämpft gegen eine Depression. Er steckt in einer tiefen beruflichen und persönlichen Krise, misshandelt Zeugen und ist in seiner Wahrnehmung eingeschränkt. Über einen Verdächtigen, an dessen Schuld Ross zweifelt, sagt Raczek nur: „Einzelgänger, sexuell frustriert, Voyeur, Arschloch – mir reicht das.“Der Ermittler freundet sich mit Ewa an, einer Polin, die in einem Gasthof arbeitet. Ihr kann er sich ein wenig öffnen, die Gesprächs- und Hilfsangebote von Ross lehnt er ab. Das ist das Drama in diesem Film, denn am Ende passiert eine Katastrophe, und Raczek ist mittendrin.
„Abgrund“ist ein guter Krimi. Die Drehbuchautoren Ralf Leuther und Peter Dommaschk haben eine spannende Handlung entwickelt, Regisseur Stephan Rick findet dazu in der Tristesse dieses Dörfchens und der zerklüfteten Landschaft die passenden Bilder. Vor allem bekommen die beiden Kommissare Raum, um ihre unterschiedlichen Charaktere zu betonen und gut zu interagieren.
In Polen sagt man „Czesc“. Mach’s gut, Raczek!
„Polizeiruf 110 - Abgrund“, Das Erste, So., 20.15 Uhr