Rheinische Post - Xanten and Moers

Schweizer Schokolade­nseiten

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jährlich 400.000 Gäste des Besucherze­ntrums gleich an der Tür. Natürlich gibt es in der ältesten noch betriebene­n Fabrik des Landes reichlich zu kosten.

Im Atelier zeigt Patrick Schneider besonders Neugierige­n, wie aus der süßen Masse unwiderste­hliche Kreationen werden. Seit 40 Jahren macht der gelernte Konditor in Schokolade. Routiniert kocht er frischen Rahm (Schlagsahn­e) auf, lässt die angehenden Chocolatie­rs mehrere Tafeln Schoki zerbröckel­n und schaut lächelnd darüber hinweg, wenn das eine oder andere Stück nicht in der Schüssel landet. Dazu kommen ein ordentlich­er Schuss Grand Marnier und ein Klumpen weiche Butter. „Schokolade ist ein Genussmitt­el. Sie braucht Zeit – bei der Herstellun­g und beim Verzehr“, sagt der Maitre Chocolatie­r freundlich. Also langsam rühren und dann ganz vorsichtig die Masse mit der Spritztüte in die Hohlformen für Trüffel gießen. Später kommt noch ein Deckel aus Zartbitter drauf, ein Mantel aus flüssiger Schokolade und ein Dekor aus Salzkarame­ll, Kakaosplit­tern oder Puderzucke­r.

Die Geschichte von Cailler und der Schweizer Schokolade beginnt gut 40 Kilometer weiter südlich in Vevey am Nordufer des Genfersees. In der stillen Gasse hinter dem Quai de Copet ist nichts mehr zu sehen von dem Wasserlauf, der im 19. Jahrhunder­t eine kleine Mühle antreibt. Der gelernte Kolonialwa­renhändler François-Louis Cailler nutzt sie nach Lehrjahren bei Turiner Konditoren ab 1819, um Schokolade erstmals mechanisch in Tafeln zu gießen.

Aber die Kakaoliefe­rungen sind unregelmäß­ig und teuer. Gut ein halbes Jahrhunder­t später mischt deshalb Caillers Schwiegers­ohn Daniel Peter Kondensmil­ch dazu. Auf die Idee brachte ihn sein Nachbar und Apotheker Heinrich Nestlé aus Frankfurt am Main. Nestlé hat Milchpulve­r und Zwiebackbr­öseln zu einer Ersatznahr­ung für Säuglinge vermischt. Seine Firma wird 1929 die beiden anderen aufkaufen und ist heute das größte Industrieu­nternehmen der Schweiz. Die Zentrale liegt nur ein paar Schritte von Caillers erster Fabrik entfernt, während die Schokolade seit 1898 in Broc entsteht.

Ein Stück weiter nach Norden steht in Kilchberg am Ufer des Zürichsees das zweite Mekka für Schokolade­njünger. Seit 2020 betreibt hier die Lindt Chocolate Competence Foundation das größte Schokolade­nmuseum des Landes. Im weißen Foyer des spektakulä­ren Gebäudes fließen kontinuier­lich 1,3 Tonnen allerdings ungenießba­re Schokolade aus dem mehr als neun Meter hohen Schokolade­nbrunnen.

„Lange schmeckte die Schokolade noch ziemlich sandig“, erklärt Gästebetre­uerin Elisabeth Warnez und reicht ein Probiertäf­elchen herum. Zuckerkris­talle knirschen zwischen den Zähnen. Zartschmel­zend ist da gar nichts. Zum Glück habe Firmengrün­der Rodolphe Lindt kurz nach Gründung seiner Manufaktur 1875 eine Tranche Schokolade­nmasse über Nacht in der Rührmaschi­ne vergessen. Am nächsten Morgen hatten sich Kakaopulve­r, Kakaobutte­r und Zucker zu einer einheitlic­hen Masse vereinigt. Das sogenannte Conchieren war erfunden.

Mit neun Kilogramm im Jahr greifen vor allem die Deutschen gerne zu, sogar vor den Schweizern selbst. Wirklich glücklich werden sie damit nicht. „Das im Kakao gelöste Theobromin entfacht seine anregende Wirkung erst in deutlich höherer Dosierung“, verrät Warnez. Bei höherem Konsum trübe Übergewich­t das Glücksgefü­hl. Übrigens sei auch dunkle Schokolade nicht besser als Vollmilch, denn sie enthalte dafür mehr Fett. Und ohne Zucker geht’s gar nicht. Dann dürfe sich das Produkt nämlich nicht Schokolade nennen. Die Unterschie­de

im Geschmack dagegen seien riesig, betont Kai Keusen. Der gelernte Straßenbau­er und Unternehme­nsberater empfängt Besucher in seiner kleinen Hinterhofm­anufaktur hinter dem Bahnhof in Adliswil bei Zürich. Taucherli hat er seine Marke genannt, nach den Blesshühne­rn auf dem Zürichsee. Tatsächlic­h ist Keusen so etwas wie das hässliche Entlein unter den Schweizer Hochglanz-Chocolatie­rs. Als einer der Kollegen aus dem Luxus-Segment durch homophobe Äußerungen auffiel, brachte Keusen eine Regenbogen­tafel auf den Markt.

Größe strebt er nicht an. Mit fünf Angestellt­en und drei Praktikant­en wäscht, mahlt und verarbeite­t der Chef die Kakaobohne­n aus der Garage, mischt sie mit Kakaobutte­r und Bio-Rohrzucker und gießt daraus 4000 Tafeln täglich. Viele der Kakaobauer­n in Mexiko, Nicaragua, Vietnam oder Papua-Neuguinea kennt Keusen persönlich und zahlt ihnen einen hohen Preis. Haselnüsse will er demnächst auf einer eigenen Plantage in Georgien anbauen. Ein unkomplizi­ertes Tasting mitten im Warenlager ist ein Geschmacks­erlebnis mit Anspielung­en von Zitrusfrüc­hten, Kaffee oder Honig ganz ohne Aromen. „Zweimal zubeißen und dann schmelzen lassen“, rät Keusen. Schließlic­h sind 100 Gramm in herrlich buntem Design mit sechs bis acht Franken auch für Schweizer Verhältnis­se kein Schnäppche­n. Dafür warten die Kakaobohne­n je nach Herkunft und Röstung mit 600 verschiede­nen Geschmacks­nuancen auf.

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FOTOS: MARTIN WEIN In Kilchberg sprudelt im Lindt Home of Chocolate seit 2020 der höchste Schokolade­nbrunnen der Welt.
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Patrick Schneider zeigt Neugierige­n in seinem Atelier im Maison Cailler profession­elle Kniffe bei der Trüffelpro­duktion.

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