Rheinische Post - Xanten and Moers
Gegner wollen Pflegekammer kippen
Der Bund der Steuerzahler sieht die neue Berufsvertretung in Nordrhein-Westfalen als „skandalöses Millionengrab“, die Gewerkschaft Verdi fordert eine Urabstimmung. Sonst sei die Kammer nicht ausreichend legitimiert.
DÜSSELDORF An diesem Freitag will sich in Düsseldorf die Pflegekammer Nordrhein-Westfalens feierlich konstituieren. Doch kurz vor dem Start der Organisation, der künftig alle examinierten Pfleger zwangsweise angehören sollen und die deren berufsständische Interessen vertreten und selbstständig regeln soll, formiert sich massiver Widerstand.
Der Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen bezeichnete das Projekt als „skandalöses Millionengrab“. Die Landesregierung hat eine Startfinanzierung von 32 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre zugesagt. Mit diesem Geld sollen insbesondere der Mitgliedsbeitrag niedrig gehalten und die Verwaltungskosten abgefedert werden.
„Es wird sehr, sehr viel Geld für ein Projekt ausgegeben, dessen Wirkung im höchsten Maße fraglich ist“, sagte der Verdi-Gewerkschaftssekretär Harald Meyer unserer Redaktion. Die Kammer sei mit wenigen Rechten zur Durchsetzung der Belange ihrer Mitglieder ausgestattet und habe überwiegend beratende Funktion. Dafür gebe es umso mehr Pflichten für Mitglieder. Meyer warnte , dass die staatlichen Zuschüsse erst einmal nur auf fünf Jahre angelegt seien. Es sei zu erwarten, dass die Zwangsbeiträge in den kommenden Jahren deutlich steigen werden: „Zudem vertritt die Kammer nur die examinierten Pflegekräfte. Die Beschäftigten in der Pflege ohne dreijährige Ausbildung, welche nach dem Willen des Gesetzgebers vor allem in der Altenpflege zukünftig noch viel mehr eingesetzt werden sollen, werden gar nicht berücksichtigt.“
Kritik übt Verdi zudem an der Legitimation: „Von den 220.000 Pflegekräften, von denen der Einrichtungsausschuss spricht, haben sich noch nicht einmal 100.000 registrieren lassen. Und von denen sind nur rund 21.000 zur Wahl gegangen.“Nicht einmal zehn Prozent der Beschäftigten hätten aktiv bei der Wahl zur Kammerversammlung mitgemacht. Dazu seien mehr als 40 Prozent der Sitze mit kammerkritischen Listen besetzt worden – damit blieben nur sechs Prozent der Beschäftigten, die sich aktiv für eine Kammer einsetzen. „Wenn Minister Laumann mit einer so niedrigen Wahlbeteiligung gewählt würde, würde er wahrscheinlich die Wahl aus Legitimationsgründen nicht annehmen“, so Meyer. Verdi verlangt eine Urabstimmung bei allen examinierten Pflegekräften über das das Fortbestehen einer Kammer: „Wenn der Rückhalt so groß ist, wie die Befürworter sagen, müssen sie die Abstimmung ja nicht fürchten.“Nach solchen Urabstimmungen waren die Pflegekammern in SchleswigHolstein und Niedersachsen wieder aufgelöst worden.
Rückendeckung gibt es dafür von der Opposition: „Die Entstehungsgeschichte der Pflegekammer stand von Anfang an unter einem schlechten Stern“, sagte Lisa-Kristin Kapteinat, Fraktionsvize der SPD. „Ihre geringe Legitimation bietet bis heute immer wieder Anlass für Ärgernis.“Eine Urabstimmung sei erforderlich. Kapteinat verweist zudem auf einen Mangel an Unabhängigkeit. „Wenn das Land mit 32 Millionen Euro eine Anschubfinanzierung leistet, besteht immer die Gefahr, nicht tatsächlich politisch unabhängig arbeiten zu können.“
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) nannte die konstituierende Sitzung dagegen einen historischen Tag für die Pflege:
„Wir haben jetzt eine berufsständische Vertretung für die Pflegenden. Ich freue mich, dass die Pflege endlich auf Augenhöhe mit den anderen Professionen des Gesundheitswesens steht.“Die Pflegekräfte seien nun politisch unabhängig und hätten es selbst in der Hand, die Pflege zu verändern: „Dies ist eine enorme Chance. Daher danke ich den Mitgliedern bereits für ihren Einsatz.“
Marco Schmitz, Sprecher für Arbeit, Gesundheit und Soziales der CDU-Fraktion, sagte, es sei gut, dass die Pflegekräfte nun eine starke Stimme in den politischen Prozessen erhielten. „Viel zu lange fehlte für uns Abgeordnete ein zentraler Ansprechpartner, wenn es um ein so wichtiges Thema wie die Qualität in der Branche aus Sicht des Personals ging.“Die Verdi-Vorbehalte teile er nicht. „Die Frage nach der Legitimation halte ich für überzogen: Nimmt man zum Vergleich Wahlen in anderen Kammern, ist die Beteiligung bei der ersten Kammerwahl völlig akzeptabel“, so der CDU-Politiker.