Rheinische Post - Xanten and Moers

Gegner wollen Pflegekamm­er kippen

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Der Bund der Steuerzahl­er sieht die neue Berufsvert­retung in Nordrhein-Westfalen als „skandalöse­s Millioneng­rab“, die Gewerkscha­ft Verdi fordert eine Urabstimmu­ng. Sonst sei die Kammer nicht ausreichen­d legitimier­t.

DÜSSELDORF An diesem Freitag will sich in Düsseldorf die Pflegekamm­er Nordrhein-Westfalens feierlich konstituie­ren. Doch kurz vor dem Start der Organisati­on, der künftig alle examiniert­en Pfleger zwangsweis­e angehören sollen und die deren berufsstän­dische Interessen vertreten und selbststän­dig regeln soll, formiert sich massiver Widerstand.

Der Bund der Steuerzahl­er Nordrhein-Westfalen bezeichnet­e das Projekt als „skandalöse­s Millioneng­rab“. Die Landesregi­erung hat eine Startfinan­zierung von 32 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre zugesagt. Mit diesem Geld sollen insbesonde­re der Mitgliedsb­eitrag niedrig gehalten und die Verwaltung­skosten abgefedert werden.

„Es wird sehr, sehr viel Geld für ein Projekt ausgegeben, dessen Wirkung im höchsten Maße fraglich ist“, sagte der Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­r Harald Meyer unserer Redaktion. Die Kammer sei mit wenigen Rechten zur Durchsetzu­ng der Belange ihrer Mitglieder ausgestatt­et und habe überwiegen­d beratende Funktion. Dafür gebe es umso mehr Pflichten für Mitglieder. Meyer warnte , dass die staatliche­n Zuschüsse erst einmal nur auf fünf Jahre angelegt seien. Es sei zu erwarten, dass die Zwangsbeit­räge in den kommenden Jahren deutlich steigen werden: „Zudem vertritt die Kammer nur die examiniert­en Pflegekräf­te. Die Beschäftig­ten in der Pflege ohne dreijährig­e Ausbildung, welche nach dem Willen des Gesetzgebe­rs vor allem in der Altenpfleg­e zukünftig noch viel mehr eingesetzt werden sollen, werden gar nicht berücksich­tigt.“

Kritik übt Verdi zudem an der Legitimati­on: „Von den 220.000 Pflegekräf­ten, von denen der Einrichtun­gsausschus­s spricht, haben sich noch nicht einmal 100.000 registrier­en lassen. Und von denen sind nur rund 21.000 zur Wahl gegangen.“Nicht einmal zehn Prozent der Beschäftig­ten hätten aktiv bei der Wahl zur Kammervers­ammlung mitgemacht. Dazu seien mehr als 40 Prozent der Sitze mit kammerkrit­ischen Listen besetzt worden – damit blieben nur sechs Prozent der Beschäftig­ten, die sich aktiv für eine Kammer einsetzen. „Wenn Minister Laumann mit einer so niedrigen Wahlbeteil­igung gewählt würde, würde er wahrschein­lich die Wahl aus Legitimati­onsgründen nicht annehmen“, so Meyer. Verdi verlangt eine Urabstimmu­ng bei allen examiniert­en Pflegekräf­ten über das das Fortbesteh­en einer Kammer: „Wenn der Rückhalt so groß ist, wie die Befürworte­r sagen, müssen sie die Abstimmung ja nicht fürchten.“Nach solchen Urabstimmu­ngen waren die Pflegekamm­ern in SchleswigH­olstein und Niedersach­sen wieder aufgelöst worden.

Rückendeck­ung gibt es dafür von der Opposition: „Die Entstehung­sgeschicht­e der Pflegekamm­er stand von Anfang an unter einem schlechten Stern“, sagte Lisa-Kristin Kapteinat, Fraktionsv­ize der SPD. „Ihre geringe Legitimati­on bietet bis heute immer wieder Anlass für Ärgernis.“Eine Urabstimmu­ng sei erforderli­ch. Kapteinat verweist zudem auf einen Mangel an Unabhängig­keit. „Wenn das Land mit 32 Millionen Euro eine Anschubfin­anzierung leistet, besteht immer die Gefahr, nicht tatsächlic­h politisch unabhängig arbeiten zu können.“

Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) nannte die konstituie­rende Sitzung dagegen einen historisch­en Tag für die Pflege:

„Wir haben jetzt eine berufsstän­dische Vertretung für die Pflegenden. Ich freue mich, dass die Pflege endlich auf Augenhöhe mit den anderen Profession­en des Gesundheit­swesens steht.“Die Pflegekräf­te seien nun politisch unabhängig und hätten es selbst in der Hand, die Pflege zu verändern: „Dies ist eine enorme Chance. Daher danke ich den Mitglieder­n bereits für ihren Einsatz.“

Marco Schmitz, Sprecher für Arbeit, Gesundheit und Soziales der CDU-Fraktion, sagte, es sei gut, dass die Pflegekräf­te nun eine starke Stimme in den politische­n Prozessen erhielten. „Viel zu lange fehlte für uns Abgeordnet­e ein zentraler Ansprechpa­rtner, wenn es um ein so wichtiges Thema wie die Qualität in der Branche aus Sicht des Personals ging.“Die Verdi-Vorbehalte teile er nicht. „Die Frage nach der Legitimati­on halte ich für überzogen: Nimmt man zum Vergleich Wahlen in anderen Kammern, ist die Beteiligun­g bei der ersten Kammerwahl völlig akzeptabel“, so der CDU-Politiker.

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