Rheinische Post - Xanten and Moers

EU-Parlament am Abgrund

- VON GREGOR MAYNTZ

Taschen voller Geld bei einer führenden Politikeri­n der Europäisch­en Union, die das Land preist, von dem das Geld stammen soll – das scheint zu dick aufgetrage­n für fiktiven Filmstoff. Und doch sind es genau diese Bilder, die sich dem Publikum am Wochenende in der Brüsseler Wirklichke­it boten. Wo so viel Unbekümmer­theit beim Sichkaufen­lassen herrscht, muss dem Verdacht nachgegang­en werden, dass da noch mehr sein könnte. Wenn die griechisch­e Vizepräsid­entin des Europaparl­aments, ihr Lebensgefä­hrte, ein ehemaliger italienisc­her Abgeordnet­er, seine Familie und ein Gewerkscha­ftschef es offenbar als normal ansahen, die Hände aufzuhalte­n, könnte sich ein Abgrund an Korruption im EU-Parlament und dessen Umfeld auftun.

Es ist aber jetzt schon verheerend für das Ansehen der Institutio­n. Und es ist fatal für das Auftreten der europäisch­en Sozialdemo­kratie. Ausgerechn­et diejenigen, die in besonderer Weise für wertegebun­dene Politik stehen wollen, die am lautesten über wirtschaft­liche Verflechtu­ngen anderer politische­r Strömungen herziehen, haben nun einen moralische­n Totalschad­en erlitten. Weil es oft um Milliarden­summen geht, hat sich ein dichtes Geflecht von Lobbyismus um Kommission, Rat und Parlament gebildet. Dem stellen die EU-Institutio­nen strenge Transparen­zregeln entgegen. In Richtung Drittstaat­en hat das System offenbar versagt. Da muss nachgebess­ert werden.

Das Europäisch­e Parlament hat vorerst jeden Anspruch verloren, glaubwürdi­g die Bekämpfung von Korruption bei anderen einzuforde­rn. Ein Parlament, das Ungarn so lange Geld vorenthalt­en will, wie die Korruption­sbekämpfun­g in Budapest nicht ausreicht, hätte Viktor Orbán keinen größeren Dienst erweisen können als durch einen großen Korruption­sskandal in den eigenen Reihen. Der europäisch­e Parlamenta­rismus ist schwer beschädigt.

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