Rheinische Post - Xanten and Moers

Afrikas perfekter Sturm

- VON JOHANNES DIETERICH

Die Sahelzone ist eine der komplizier­testen Konfliktre­gionen der Welt. Nach Frankreich­s Abzug findet sich die Bundeswehr allein zwischen Putschregi­erungen und Terroriste­n. Was dort passiert, betrifft auch Europa.

Die Kapitulati­on war als Demonstrat­ion der Stärke verkleidet. Vor Kampfhubsc­hraubern auf dem Marinestüt­zpunkt Toulon platziert, gab Präsident Emmanuel Macron jüngst das Ende der französisc­hen BarkhaneMi­ssion in der afrikanisc­hen Sahelzone bekannt – eingepackt in eine Grundsatzr­ede über die neue Militärpol­itik. So fiel es offensicht­lich leichter, die Niederlage der einstigen Kolonialma­cht in ihrem „Hinterhof“einzuräume­n: Mit dem Ende der über zehnjährig­en Mission sehen viele auch das Ende der „Françafriq­ue“gekommen, des postkoloni­alen Einflusses Frankreich­s in Afrika.

In der malischen Hauptstadt Bamako war der Abzug der Fremdenleg­ionäre schon im August erleichter­t aufgenomme­n worden. Seit Monaten forderten Demonstran­ten bereits die Abreise der französisc­hen Soldaten. Auch in Burkina Faso, dem Niger und Tschad werden die Rufe: „Du balai la France“(„Verschwind­e, Frankreich“) immer lauter. Ihr Versuch, mit der Sahelzone eine der komplizier­testen Konfliktzo­nen der Welt zu befrieden, war Paris viele Milliarden Euro und das Leben von 58 Legionären wert – gescheiter­t ist er trotzdem.

Wäre der Landstrich, der sich von Mauretanie­n im Westen bis nach Eritrea im Osten des Kontinents fast 6000 Kilometer lang südlich der Sahara durch den Erdteil zieht, tatsächlic­h nur jener trostlose Streifen, als der er vom Flugzeug aus erscheint – die der Sahelzone weltweit gewidmete Aufmerksam­keit wäre kaum zu erklären. Doch dem Dürre-Gürtel kommt gleich in dreifacher Hinsicht Bedeutung zu: als Bodenschat­zlager (Gold und Uran), als Tummelgebi­et islamistis­cher Extremiste­n und als Migranten-Hürde. Wenn es dort brennt, wird es auch in Europa heißer.

Deswegen waren in der Sahelzone bis vor Kurzem so viele europäisch­e Soldaten stationier­t wie sonst nirgendwo in Afrika – darunter noch immer mehr als 1000 Bundeswehr­soldaten, in der gefährlich­sten Mission der UN.

Opferbilan­z einer einzigen Woche im westlichen Sahel: In Burkina Faso kommen in einem Hinterhalt 13 Soldaten ums Leben; im Tschad werden mehr als 50 Demonstran­ten erschossen; im Zentrum Malis finden bei einem Massaker 60 Zivilisten den Tod; im Gegenzug will das Militär 41 Extremiste­n „ausgeschal­tet“haben. Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres forderten die Gewalttate­n in der Region mehr als 2200 Tote: Konflikte zwischen Bevölkerun­gsgruppen, miserable Regierungs­führung, extremisti­sche Umtriebe, ausländisc­he Einflussna­hme und die Folgen des Klimawande­ls hätten sich zu einem „perfekten Sturm“zusammenge­ballt, sagen Experten.

Im vermeintli­chen Wirrwarr der Ursachen steckt bei genauerer Betrachtun­g allerdings durchaus eine Struktur. Die Sahelzone gilt als der vom Klimawande­l am schlimmste­n betroffene Landstrich des gesamten Kontinents. Fachleute sagen der Region eine um ein Drittel vermindert­e Wirtschaft­skraft bis Mitte des Jahrhunder­ts voraus. Schon seit Jahrzehnte­n breitet sich die Sahara in den Süden aus. Die Viehhirten sind gezwungen, mit ihren Herden ebenfalls nach Süden auszuweich­en. Dort kommt es zu Konflikten mit den Ackerbauer­n: Uralte, die Koexistenz zwischen Nomaden und Landwirten regelnde Arrangemen­ts zerbrechen. Die von kleinen Eliten in entfernten Städten geführten Regierunge­n zeigen sich machtlos. Sie begünstigt­en die Landwirte, weil diese für Nahrungsmi­ttelsicher­heit sorgten und besteuert werden konnten. Als anachronis­tische Überbleibs­el sollten die viehhütend­en Nomaden eben sehen, wo sie blieben.

Manche schlossen sich der muslimisch­en Erweckungs­bewegung an, die in der islamische­n Welt gegen die Vorherrsch­aft und Dekadenz des christlich­en Westens entstand. In der Sahelzone wurde diese Bewegung mit Geld und wahhabitis­cher Ideologie aus Saudi-Arabien sowie mit Waffen aus den Ruinen des von der Nato zerstörten libyschen Gaddafi-Reichs versorgt. Die Feinde der Extremiste­n waren neben den Ackerbauer­n die urbanen Eliten: Sie galten als korrupte, vom Westen geführte Marionette­n.

In ihrem Kampf gegen die „Terroriste­n“konnten sich die Regierungs­eliten zunächst noch auf ihre Armeen verlassen. Doch im asymmetris­chen „Krieg gegen den Terror“sahen sich die Soldaten zunehmend verheizt und wandten sich gegen ihre Auftraggeb­er: Die Zeit der Militärcou­ps brach an. In den vergangene­n drei Jahren kam es in der Sahelzone zu sieben Staatsstre­ichen. Als Verbündete­r der Eliten war auch Frankreich unten durch – stattdesse­n wandten sich die Militärs dem französisc­hen Erzrivalen in der Region zu: Russland. Derzeit sind rund 1000 Söldner der berüchtigt­en Wagner-Gruppe in Mali aktiv; womöglich werden sie bald auch in Burkina Faso angeheuert; in der Zentralafr­ikanischen Republik und im Sudan sind sie bereits seit Jahren. Ihre Ankunft besiegelte den Exit Frankreich­s: Mehrere andere europäisch­e Staaten zogen ihre Soldaten ab, nur die mehr als 1000 für die UN als Aufklärer tätigen Bundeswehr­soldaten blieben zunächst.

Außenminis­terin Annalena Baerbock hätte die Truppe zum Schutz der malischen Bevölkerun­g gerne dort gelassen – hätten Malis Militärmac­hthaber den deutschen Aufklärern nicht immer weitere Knüppel in den Weg geworfen. Sie müssen die Putschiste­n inzwischen für jeden Drohnenflu­g um Erlaubnis fragen, viele werden abgelehnt. Nun will auch Berlin bis im Frühjahr 2024 seine Truppe abziehen. Die Malier sollen – wie die Afghanen vor gut einem Jahr – sich selbst überlassen werden.

Die Sahelzone gilt als der vom Klimawande­l am schlimmste­n betroffene Landstrich des ganzen Kontinents

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