Rheinische Post - Xanten and Moers
Freude – trotz allem
Kriege und Krisen machen das Herz schwer. Dem setzt der Advent etwas entgegen.
Der gestrige Sonntag, der traditionell den Namen „Gaudete“– „Freut euch (im Herrn)“– trägt, markiert genau die Mitte des Advents. Nicht nur bei den Kindern wächst nun von Tag zu Tag die Vorfreude auf Weihnachten, das Fest der Liebe und des Friedens, der Familie und des Miteinanders, des Schenkens und Beschenktwerdens. Und dennoch will die Weisung des Apostels Paulus „Freut euch“, die er in seinen Briefen wie eine Art roten Faden so oft wiederholt, nicht so recht auf Widerhall stoßen. Können wir uns denn überhaupt freuen im Angesicht so vieler Krisen und Katastrophen, Kriege und Konflikte – in der Welt, in Europa, in unserem Land, in unseren Kirchen und nicht zuletzt auch in uns selbst? Dass Freude und Schmerz einander nicht ausschließen, war für Paulus in seinem so mühseligen Leben mit Verfolgungen, Hunger, Folter und Leiden aller Art offenbar eine existenzielle Erfahrung. Welche Art Freude meint er dann aber? Wohl die, die wir nicht selbst machen und verdienen können, sondern eine, die uns geschenkt und für immer verheißen ist: Geschenkt in dem Glauben, dass es einen Gott gibt, der die Welt und seine Schöpfung trotz allem hält; dass er, Gott selbst, Mensch geworden ist, einer von uns, der uns bedingungslos liebt und alle Wege mit uns geht.
Geschenkt auch in dem unerschütterlichen Vertrauen und in der nie versiegenden Hoffnung, dass das Gute im Menschen am Ende siegt – trotz allem Schrecken, aller Bosheit und allem Egoismus. Wenn wir in diesen Wochen
Augen und Ohren offenhalten für die vielen kleinen und großen Wunder an Menschlichkeit und Solidarität, an Opferbereitschaft und Liebe, die uns umgeben, die uns tragen und die uns halten, dann wird die Freude, die Paulus meint, Einzug halten in unsere Herzen. Und mit einem Mal könnten wir dann auch dessen gewahr werden und einlösen, was Paul Claudel einst so formuliert hat: „Herr, lehre die Christen, dass sie keine andere Aufgabe haben als die Freude.“
Unsere Autorin ist Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen und stammt aus Ratingen. Sie wechselt sich hier mit der evangelischen Pfarrerin Friederike Lambrich, Rabbi Jehoschua Ahrens und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ab.