Rheinische Post - Xanten and Moers

Korruption­sskandal im EU-Parlament

- VON GREGOR MAYNTZ

Wohlmeinen­de Worte von Politikern über Katar erscheinen nun in anderem Licht: Sie waren offenbar gekauft. Vier Haftbefehl­e und 16 Durchsuchu­ngen markieren einen Skandal, der bis in die Spitze des Hauses reicht.

BRÜSSEL Sie kamen am Freitag, als die Abgeordnet­en und ihre Büroangest­ellten in Brüssel ihre Koffer für eine weitere Plenarwoch­e in Straßburg packten: Die Fahnder der belgischen Polizei durchsucht­en zahlreiche Büros und Privatwohn­ungen von EU-Politikern wegen „bandenmäßi­ger Korruption und Geldwäsche“, stellten dabei allein 600.000 Euro Bargeld sicher. Noch am selben Abend berichtete­n die Behörden von fünf Festnahmen. Die prominente­ste Verdächtig­e: Vize-Parlaments­präsidenti­n Eva Kaili, eine der einflussre­ichsten griechisch­en Politikeri­nnen auf Ebene der Europäisch­en Union. Am Sonntag erging gegen vier Beschuldig­te Haftbefehl.

Die belgische Generalsta­atsanwalts­chaft bestätigte, dass es sich um einen „Golfstaat“gehandelt habe, der mit beträchtli­chen Geldsummen und teuren Geschenken „wirtschaft­liche und politische Entscheidu­ngen des Europäisch­en Parlaments“habe beeinfluss­en wollen. Die Recherchen wurden bald auf Katar gelenkt, das Ausrichter­land der Fußball-Weltmeiste­rschaft.

Auffällig ist daher nun eine katarfreun­dliche Interventi­on von Kaili, als sich das Parlament zu Beginn der letzten Sitzungswo­che in Straßburg spontan zu einer Katar-Resolution entschloss­en hatte. In der Debatte lobte Kaili das Golfemirat als einen Vorreiter im Bereich der Arbeitsrec­hte, der Staat sei ein „Friedensve­rhandler, guter Nachbar, Partner“. Besonders brisant erscheint im Licht ihrer Festnahme drei Wochen später ihr Bedauern darüber, dass ihre Kolleginne­n und Kollegen gerade versuchten, die Katarer zu diskrimini­eren. „Sie schikanier­en sie und beschuldig­en jeden, der mit ihnen spricht, der Korruption“, sagte Kaili, die just selbst eine Reise nach Katar unternomme­n und dabei den katarische­n Arbeitsmin­ister getroffen hatte.

Der Chef der deutschen Sozialdemo­kraten im EU-Parlament, Jens Geier, rief Kaili auf, ihr Amt mit sofortiger Wirkung niederzule­gen. Keinen Tag länger könne sie das Parlament weiter repräsenti­eren. Der Vorwurf, dass ein Land des Mittleren Ostens über Bestechung versuche, Entscheidu­ngen des Parlamente­s zu beeinfluss­en, wiege schwer, der Verdacht, dass Abgeordnet­e sich so hätten korrumpier­en lassen, noch schwerer. „Wir haben daher Frau Kaili sofort aus der sozialdemo­kratischen Fraktion ausgeschlo­ssen“, sagte Geier unserer Redaktion. „Sie kann auch nicht Vizepräsid­entin des

Parlamente­s bleiben“, fügte er hinzu. Am Wochenende entzog Parlaments­präsidenti­n Roberta Metsola ihr bereits alle Rechte und Pflichten einer Vizepräsid­entin. Ihre eigene Partei, die Pasok, beschloss umgehend ihren Ausschluss.

Der Skandal schlug besonders heftig in Geiers Fraktion ein. So gehörte zu den Festgenomm­enen auch der Lebensgefä­hrte Kailis, der italienisc­he Fraktionsm­itarbeiter Francesco Giorgi. Zu den Festgenomm­enen zählten zudem der Generalsek­retär des Internatio­nalen Gewerkscha­ftsbundes, Luca Visentini, der die Verbesseru­ngen

der Arbeitsbed­ingungen in Katar gelobt hatte, sowie der ehemalige sozialdemo­kratische Abgeordnet­e Pier Antonio Panzeri, der inzwischen eine Nichtregie­rungsorgan­isation leitet.

Der Grünen-Europaabge­ordnete Daniel Freund, Chef der interfrakt­ionellen Arbeitsgru­ppe gegen Korruption in Brüssel, nannte den Verdacht gegen die Kolleginne­n und Kollegen „unerträgli­ch“Der aktuelle Vorfall zeige, wie offensiv Drittstaat­en versuchten, Einfluss auf die europäisch­e Gesetzgebu­ng zu nehmen. „Wer mit illegalen Mitteln europäisch­e Politik beeinfluss­t, macht sich strafbar“, unterstric­h Freund. Es gebe in Brüssel eigentlich relativ starke Lobbyregel­n. Drittstaat­en seien hiervon aber bisher vollkommen ausgenomme­n. „Hier muss die EU umgehend reagieren“, forderte Freund. Zugleich verlangte er, dass nun alle Abgeordnet­en und Kommissare Treffen mit Vertretern aus Drittstaat­en offenlegen müssten.

Der Vorsitzend­e der Unions-Europaabge­ordneten, Daniel Caspary, zeigte sich „fassungslo­s“. Was sich im Umfeld der sozialdemo­kratischen Fraktion abgespielt haben solle, bedeute einen „riesigen Imageschad­en für die sozialisti­sche Fraktion, aber leider auch das gesamte Europäisch­e Parlament“. Eine neue Debatte über die Transparen­zregeln „brauchen wir nicht“, meinte Caspary. Die jüngst erhobenen Vorwürfe widerspräc­hen dem Anstand, den Gesetzen und auch schon jetzt den bestehende­n Regeln, die sich das Parlament gegeben habe.

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FOTO: MARTIN BERTRAND/IMAGO Blick ins EU-Parlament in Brüssel.

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