Rheinische Post - Xanten and Moers
Korruptionsskandal im EU-Parlament
Wohlmeinende Worte von Politikern über Katar erscheinen nun in anderem Licht: Sie waren offenbar gekauft. Vier Haftbefehle und 16 Durchsuchungen markieren einen Skandal, der bis in die Spitze des Hauses reicht.
BRÜSSEL Sie kamen am Freitag, als die Abgeordneten und ihre Büroangestellten in Brüssel ihre Koffer für eine weitere Plenarwoche in Straßburg packten: Die Fahnder der belgischen Polizei durchsuchten zahlreiche Büros und Privatwohnungen von EU-Politikern wegen „bandenmäßiger Korruption und Geldwäsche“, stellten dabei allein 600.000 Euro Bargeld sicher. Noch am selben Abend berichteten die Behörden von fünf Festnahmen. Die prominenteste Verdächtige: Vize-Parlamentspräsidentin Eva Kaili, eine der einflussreichsten griechischen Politikerinnen auf Ebene der Europäischen Union. Am Sonntag erging gegen vier Beschuldigte Haftbefehl.
Die belgische Generalstaatsanwaltschaft bestätigte, dass es sich um einen „Golfstaat“gehandelt habe, der mit beträchtlichen Geldsummen und teuren Geschenken „wirtschaftliche und politische Entscheidungen des Europäischen Parlaments“habe beeinflussen wollen. Die Recherchen wurden bald auf Katar gelenkt, das Ausrichterland der Fußball-Weltmeisterschaft.
Auffällig ist daher nun eine katarfreundliche Intervention von Kaili, als sich das Parlament zu Beginn der letzten Sitzungswoche in Straßburg spontan zu einer Katar-Resolution entschlossen hatte. In der Debatte lobte Kaili das Golfemirat als einen Vorreiter im Bereich der Arbeitsrechte, der Staat sei ein „Friedensverhandler, guter Nachbar, Partner“. Besonders brisant erscheint im Licht ihrer Festnahme drei Wochen später ihr Bedauern darüber, dass ihre Kolleginnen und Kollegen gerade versuchten, die Katarer zu diskriminieren. „Sie schikanieren sie und beschuldigen jeden, der mit ihnen spricht, der Korruption“, sagte Kaili, die just selbst eine Reise nach Katar unternommen und dabei den katarischen Arbeitsminister getroffen hatte.
Der Chef der deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament, Jens Geier, rief Kaili auf, ihr Amt mit sofortiger Wirkung niederzulegen. Keinen Tag länger könne sie das Parlament weiter repräsentieren. Der Vorwurf, dass ein Land des Mittleren Ostens über Bestechung versuche, Entscheidungen des Parlamentes zu beeinflussen, wiege schwer, der Verdacht, dass Abgeordnete sich so hätten korrumpieren lassen, noch schwerer. „Wir haben daher Frau Kaili sofort aus der sozialdemokratischen Fraktion ausgeschlossen“, sagte Geier unserer Redaktion. „Sie kann auch nicht Vizepräsidentin des
Parlamentes bleiben“, fügte er hinzu. Am Wochenende entzog Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ihr bereits alle Rechte und Pflichten einer Vizepräsidentin. Ihre eigene Partei, die Pasok, beschloss umgehend ihren Ausschluss.
Der Skandal schlug besonders heftig in Geiers Fraktion ein. So gehörte zu den Festgenommenen auch der Lebensgefährte Kailis, der italienische Fraktionsmitarbeiter Francesco Giorgi. Zu den Festgenommenen zählten zudem der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Luca Visentini, der die Verbesserungen
der Arbeitsbedingungen in Katar gelobt hatte, sowie der ehemalige sozialdemokratische Abgeordnete Pier Antonio Panzeri, der inzwischen eine Nichtregierungsorganisation leitet.
Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund, Chef der interfraktionellen Arbeitsgruppe gegen Korruption in Brüssel, nannte den Verdacht gegen die Kolleginnen und Kollegen „unerträglich“Der aktuelle Vorfall zeige, wie offensiv Drittstaaten versuchten, Einfluss auf die europäische Gesetzgebung zu nehmen. „Wer mit illegalen Mitteln europäische Politik beeinflusst, macht sich strafbar“, unterstrich Freund. Es gebe in Brüssel eigentlich relativ starke Lobbyregeln. Drittstaaten seien hiervon aber bisher vollkommen ausgenommen. „Hier muss die EU umgehend reagieren“, forderte Freund. Zugleich verlangte er, dass nun alle Abgeordneten und Kommissare Treffen mit Vertretern aus Drittstaaten offenlegen müssten.
Der Vorsitzende der Unions-Europaabgeordneten, Daniel Caspary, zeigte sich „fassungslos“. Was sich im Umfeld der sozialdemokratischen Fraktion abgespielt haben solle, bedeute einen „riesigen Imageschaden für die sozialistische Fraktion, aber leider auch das gesamte Europäische Parlament“. Eine neue Debatte über die Transparenzregeln „brauchen wir nicht“, meinte Caspary. Die jüngst erhobenen Vorwürfe widersprächen dem Anstand, den Gesetzen und auch schon jetzt den bestehenden Regeln, die sich das Parlament gegeben habe.