Rheinische Post - Xanten and Moers
Zwischen Freude und Chaos
Nach dem WM-Überraschungssieg der Marokkaner haben Tausende in NRW-Städten überwiegend friedlich gefeiert. In Köln und Düsseldorf gab es aber Zwischenfälle mit der Polizei. Eskaliert sind die Feiern in den Niederlanden.
DÜSSELDORF Als der Schiedsrichter am frühen Samstagabend das Viertelfinalspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar zwischen Marokko und Portugal abpfeift, kennt der Jubel im sogenannten Maghrebviertel im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk keine Grenzen mehr. Die marokkanische Gemeinde feiert auf den Straßen den Sieg ihrer Mannschaft und den historischen Einzug des Lands ins Halbfinale – mit Autokorso, Hupkonzerten und Bengalos.
Der überraschende Einzug der Mannschaft Marokkos hat auch in einigen anderen Städten NordrheinWestfalens zu spontanen Straßenfeiern geführt. Vor allem in Aachen, Bonn, Dortmund, Köln, Krefeld und Wuppertal wurde ausgelassen gefeiert – und das größtenteils friedlich. In Düsseldorf musste die Rheinbahn Straßenbahnen und Busse rund um den Hauptbahnhof umlenken. „Achtung Störung“hieß es nach dem Spiel auf der Facebookseite der Rheinbahn. „Die Marokkaner feiern dort den Sieg über Portugal, daher werden unsere Busse und Bahnen großräumig umgeleitet“, hieß es zur Begründung. Auch in Aachen behinderten die Fans den öffentlichen Nahverkehr; Buslinien mussten unterbrochen werden.
Viele Düsseldorfer gratulierten ihren marokkanischen Mitbürgern und zeigten auch Verständnis für die Umleitungen der Rheinbahn. „Es sei ihnen gegönnt. Glückwunsch zum Sieg“, schrieb ein Mann bei Facebook. „Sauber, lass es krachen“und „Coole Sache“schrieben andere unter den Beitrag der Rheinbahn. Es gab aber auch kritische Stimmen: „Kann man nicht feiern, ohne direkt den ÖPNV lahmzulegen?“, fragte beispielsweise ein User.
Die Polizei war bei den Feiern mit Großaufgeboten im Einsatz. In Köln wurden Einsatzkräfte aus dem ganzen Stadtgebiet zusammengezogen – unter anderem musste der Hohenzollernring für mehrere Stunden gesperrt werden. Während der Siegesfeier wurden in Köln Polizisten aus der Menge heraus mit Flaschen beworfen. Eine Flasche traf einen Polizisten am Helm; er blieb unverletzt. Darüber hinaus wurde die Heckscheibe eines Streifenwagens mit Steinen eingeworfen. Die Beamten im Auto blieben unverletzt. Die Polizei kündigte an, auf der Suche nach den Werfern die polizeiliche Videoüberwachung auszuwerten.
Auch in Düsseldorf sprach die Polizei von einem intensiven und langen Einsatz; Kräfte der Hundertschaften der Bereitschaftspolizei waren rund um das Maghrebviertel im Einsatz. Vereinzelt kam es laut Polizei zu Böller- und Flaschenwürfen auf die Polizei. Ein Polizist wurde dabei verletzt. Zudem gab es Sachbeschädigungen, ein Böller detonierte in einem Imbiss. Vereinzelte
Feiernde sollen auf einen Polizeiwagen geklettert sein. Auf der Kö wurde zudem Pyrotechnik gezündet. Erst rund fünf Stunden nach Abpfiff beruhigte sich die Lage in der Landeshauptstadt wieder. Die Polizei schrieb mehrere Anzeigen.
In Dortmund und Essen ging es ruhiger zu. In der Innenstadt von
Essen feierten nach Angaben eines Polizeisprechers etwa 300 Fußballfans. „Es wurde auch Pyrotechnik gezündet, aber insgesamt blieb alles friedlich“, sagte der Sprecher. In Dortmund zog ein Autokorso mit einem Hupkonzert durch Stadt. Es wurden Bengalos und Böller gezündet und marokkanische Fahnen geschwenkt. In Hamm feierten nach Angaben der Polizei bis zu 500 Menschen in bester Laune. „Es herrschte durchgehend eine ausgelassene Feierstimmung. Es wurde musiziert, getanzt und friedlich gefeiert. Es kam zu keinen Straftaten“, lautete die Bilanz der Polizei. Auch in Bonn feierten Hunderte Fans friedlich mit Trommeln und Pfeifen.
In den Niederlanden hingegen eskalierten die Fanfeiern in vielen Großstädten. In Amsterdam, Rotterdam und Utrecht rückte die Bereitschaftspolizei am Samstagabend an, um auf den Straßen für Ordnung zu sorgen. In Amsterdam berichtete die Polizei von mehreren Festnahmen, nachdem Fans schwere Böller gezündet hatten. Die Menge wurde zum Räumen eines Bereichs aufgefordert. In Rotterdam gab es nach Polizeiangaben ebenfalls Festnahmen, ein zentraler Platz wurde von der Bereitschaftspolizei geräumt. Von Sachbeschädigungen berichtete die Polizei in Utrecht. Eskaliert sind die Feierlichkeiten auch in Mailand, Brüssel und Paris, wo es zu Ausschreitungen kam. Die marokkanische Nationalelf erreichte als erstes Team Afrikas das Halbfinale einer Weltmeisterschaft.
Am Mittwoch findet das Halbfinale der Fußball-WM zwischen Frankreich und Marokko statt. Kommunen und Sicherheitsbehörden rechnen damit, dass es im Fall eines Sieges der Marokkaner dann noch zu größeren Feierlichkeiten auf den Straßen kommen wird.
Dass in Nordrhein-Westfalen so viele Marokkaner leben, ist vor allem auf die 60er-Jahre zurückzuführen. Damals kamen viele marokkanische Arbeiter in die Bundesrepublik. Ursprünglich war das nur auf zwei Jahre angelegt, aber viele „Gastarbeiter“blieben in Deutschland. In NRW ließen sie sich besonders in Oberbilk nieder, im „Maghrebviertel“.