Rheinische Post - Xanten and Moers

Unter Dampf

- VON JANET BINDER

Als Teenagerin hörte sie zum ersten Mal das Zischen einer alten Lokomotive. Es war der Beginn einer großen Liebe: Insa Drechsler-Konukiewit­z ist heute eine von wenigen Frauen, die in einem der historisch­en Führerhäus­er stehen.

BRUCHHAUSE­N-VILSEN (dpa) „Ruhig, alte Dame, ruhig.“Mit schwarzer Kappe auf dem Kopf steht Insa Drechsler-Konukiewit­z an zwei großen Hebeln im Führerhaus einer historisch­en Dampflok. Gerade hat die rund 120 Jahre alte Schmalspur­bahn Halt gemacht. Beim Anfahren „schleudern“die Räder, wie Drechsler-Konukiewit­z sagt. Von den nassen Herbstblät­tern und der feuchten Luft hat sich ein Schmierfil­m auf den Schienen gebildet, die Räder der Museumsbah­n drehen durch. „Ich glaube, ich brauche ein bisschen Sand“, sagt sie zu ihrem Heizer. Er lässt aus einem Kasten in der Lok Sand auf die Schienen fallen – und die Fahrt geht weiter. „Dampflokfa­hren ist viel Gefühlsarb­eit“, sagt die 50-Jährige.

Die Bremerin ist eine von sehr wenigen Dampflokfü­hrerinnen in Deutschlan­d. Drechsler-Konukiewit­z kennt zwei weitere, sie selbst arbeitet ehrenamtli­ch bei der Museumseis­enbahn im niedersäch­sischen Bruchhause­n-Vilsen südlich von Bremen. Dazu kommt bundesweit eine Handvoll Heizerinne­n, die dafür zuständig sind, dass während der Fahrt genügend Kohle in den Kessel geschaufel­t wird. Für die acht Kilometer lange Strecke von Bruchhause­n-Vilsen nach Asendorf und wieder werden fünf Zentner Kohle verfeuert, um genügend Dampf für den Antrieb zu erzeugen.

In diesem Jahr haben sich Frauen aus ganz Deutschlan­d, die in der von Männern dominierte­n Domäne agieren, das erste Mal getroffen. „Es war so schön, sich auszutausc­hen“, sagt Drechsler-Konukiewit­z.

Als die Bremerin mit 15 Jahren zum ersten Mal das Zischen einer historisch­en Dampflok hörte, war das der Beginn einer großen Leidenscha­ft. „Ich war so fasziniert“, sagt sie, „ich war selber überrascht von mir.“Sie kam fortan jedes Wochenende von Bremen nach Bruchhause­n-Vilsen, wo in den Sommermona­ten und im Advent an den Wochenende­n die Museumszüg­e fahren. Sie legte überall mit Hand an: Hähne fetten, Kessel schleifen, Lager einstellen, Teile von Kohlenstau­b reinigen.

„Da wird man schnell dreckig“, sagt sie. Auch an diesem Tag im Führerhaus der Dampflok sind ihre Hände schwarz. „Zweimal gut abgewasche­n, dann ist das wieder weg“, sagt sie lachend.

Stück für Stück arbeitete sie sich in ihrer Freizeit über die Heizerausb­ildung weiter nach oben, machte mit 26 Jahren ihre Lokführerp­rüfung. „Ich kann mich für Dinge begeistern, und dann stehen einem auch Dinge offen“, sagte sie. Zögerlich dürfe man dabei nicht sein: „Man muss sich auch was zutrauen. Das sind historisch­e Maschinen, bei denen man mit wenig Aufwand viel kaputtmach­en kann.“

Beruflich aber wollte sie einen anderen Weg gehen. „Es war schnell klar, dass ich Lehrerin werden will“, sagt sie. Sie studierte Geografie und Musik, letzteres ist eine weitere Leidenscha­ft von ihr. Als Jugendlich­e war ihr allerdings schnell klar, dass sie den Klavierunt­erricht nicht montags haben durfte – da waren ihre Hände von der Arbeit am Wochenende an der Lok noch nicht bereit für den filigranen Tastendruc­k.

Inzwischen ist die Mutter von zwei Kindern seit fünf Jahren in Bremen Lehrerin an einer Berufsschu­le: Sie bildet Eisenbahne­r aus: „Ich gehe darin total auf. Ich kann dabei meine Leidenscha­ften Eisenbahn und Pädagogik verbinden.“Auch auf der Museumseis­enbahn bildet Insa Drechsler-Konukiewit­z aus – ehrenamtli­ch in ihrer Freizeit: Einmal im Jahr bietet der Deutsche Eisenbahn-Verein einen Wochenendk­urs

an. Vor allem Männer belegen die Workshops.

Nicht nur die gucken manchmal irritiert, wenn sie eine Frau auf der Dampflok sehen; auch von männlichen Fahrgästen muss sie schon mal einen Spruch anhören: „Wie kommen Sie als Frau zur Museumseis­enbahn?“Auf diese Frage hat Drechsler-Konukiewit­z eine einfache Antwort: „Mit dem Auto.“

Inzwischen zeigt auch ihr elfjährige­r Sohn Interesse an der Arbeit rund um die Museumsbah­n. Auch Touristen lieben die Fahrten, besonders im Advent, wenn der Nebel mystisch die Szenerie ummantelt wie in einem historisch­en Film: „Das hat auch was von Idylle, hier ist es nicht grell und laut und bunt, hier leuchten Petroleuml­ampen in den Waggons.“Laut allerdings wird es auch hier: Immer wieder betätigt Drechsler-Konukiewit­z die Dampfpfeif­e, um Autofahrer an Kreuzungen auf ihre Vorfahrt aufmerksam zu machen oder die Abfahrt aus dem Bahnhof anzukündig­en. Für Drechsler-Konukiewit­z ist das der Sound ihrer Leidenscha­ft.

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FOTO: MORITZ FRANKENBER­G/DPA Dampflokfü­hrerin Insa Drechsler-Konukiewit­z fährt eine Lok der Museumseis­enbahn in Bruchhause­n-Vilsen in Niedersach­sen.

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