Rheinische Post - Xanten and Moers
Torhüter Livakovic wird zu Kroatiens WM-Held
Der 27-Jährige trumpft nicht nur mit seinen Elfmeterparaden auf. Noch vor einigen Monaten galt er eher als Schwachstelle im Team.
DÜSSELDORF Dominik Livakovic lag auf dem Boden und breitete gerade die Arme aus, ballte die Hände zur Faust. Dann sah er die Gefahr kommen, sprang auf und rannte los. Der Torhüter war auf der Flucht vor seinen Teamkollegen, die ihn jagten wie ein Rudel Löwen ihre Nahrung in der afrikanischen Savanne. Anders als Gnus in freier Wildbahn gab Livakovic seine Flucht aber schnell auf. Schließlich wollte er ja gar nicht davon laufen, er wollte mitfeiern, sich feiern lassen. Wieder einmal wurde der 27-Jährige in Katar zum kroatischen Volkshelden. Im Viertelfinale gegen Brasilien brillierte der Torhüter erneut, hielt im Elfmeterschießen den Strafstoß von Real-Madrid-Star Rodrygo und war somit maßgeblich daran beteiligt, dass Kroatien es wie schon 2018 ins Halbfinale einer WM schaffte.
Damals saß Livakovic noch auf der Bank, schaute von außen zu, wie ihn seine Kollegen mit Minimalismus zum Vizeweltmeister machten. Mehrfach erst im Elfmeterschießen kamen die Kroaten vor vier Jahren in Russland weiter. Als hätten sie es sich als Blaupause für dieses Jahr genommen, war das Viertelfinale das zweite Spiel in Serie, dass sie erst im Elfmeterschießen für sich entscheiden konnten – und wieder war es ein Torhüter, dem sie es zu verdanken hatten.
Livakovic ist erst der dritte Torhüter der Geschichte, der vier Elfmeter in WM-Elfmeterschießen hält. Denn schon im Achtelfinale parierte der Mann von Dinamo Zagreb drei Strafstöße gegen Deutschland-Bezwinger Japan. „Alle unsere Probleme hat Livakovic gelöst“, sagte Kroaties Nationalcoach Zlatko Dalic schon nach dem Achtelfinale. „Wir hatten einen fantastischen Torwart. Er war großartig, er hat die Elfmeter auf beeindruckende Art und
Weise gehalten.“Die Worte nach der Überraschung gegen Brasilien klangen ähnlich.
Livakovic selbst hielt sich nach beiden Spielen eher zurück mit großen Worten. Er lässt lieber Taten sprechen. Und wie. Denn nicht nur die parierten Elfmeter sprechen für ihn, auch die Leistungen in den bisherigen WM-Spielen sind absolut überzeugend. Allein gegen Brasilien wehrte er elf Schüsse ab, nur einmal hatte er gegen Superstar Neymar das Nachsehen. Es war eine herausragende Leistung des Keepers, der generell erst drei Gegentreffer in fünf WM-Spielen hinnehmen musste. Immer wieder eröffnete er zudem mit seinen langen Bällen Räume für die eigene Mannschaft und sorgte so für Entlastung, während der Druck der Brasilianer in der zweiten Halbzeit
immer mehr zu nahm.
Dass Livakovic als Stammkeeper in das WM-Turnier gehen würde, war noch vor gut einem Jahr nicht absehbar. In der Qualifikation spielte noch Ivo Grbic von Atletico Madrid. Livakovic aber ließ sich nicht entmutigen, spielte stark bei Dinamo Zagreb, wo er inzwischen fünf kroatische Meistertitel feiern durfte und sich auch in der Champions League immer wieder auszeichnen kann. Im Schnitt 4,17 Paraden zeigte er in den sechs Gruppenspielen – kassierte gegen den FC Chelsea, AC Mailand und RB Salzburg allerdings auch elf Gegentore. Die fünf Niederlagen konnte auch er nicht verhindern.
Anders sieht es nun bei der WM mit dem kroatischen Nationalteam aus. Dort ist er inzwischen zum Helden avanciert. Vielleicht trug Superstar Luka Modric einen Teil dazu bei. Denn in einem von der Fifa produzierten Video aus der WM-Qualifikationsphase
ist zu sehen, wie er Livakovic zum Einzelgespräch bat und ihn aufbaute. „Leider sehe ich bei dir keinen Fortschritt im Nationalteam. Vielleicht ist es der Druck? Du strahlst Unsicherheit aus, das färbt auf das Team ab. Verstehst du?“, sagte er damals in einer Hotellobby vor dem Spiel gegen Russland zu Livakovic. „Jeder macht Fehler! Ich habe das Gefühl, dass du Angst hast, Fehler zu machen. Wer macht denn keine Fehler? [...] Das verschlimmert nur alles. Hör zu: Du bist ein großartiger Torwart! Das ist dir bewusst, okay.“
Diese ehrlichen Worte könnten dazu beigetragen haben, dass der mit 1,87 Meter nicht überragend große Keeper eine so wichtige Rolle für Kroatien bei der WM spielt. Und das könnte sich auch bald schon anderweitig widerspiegeln. Denn die Leistungen beim Turnier in Katar dürfte auch den vielen Scouts der Topklubs nicht entgangen sein.