Rheinische Post - Xanten and Moers

Das Problem mit dem Karriereen­de

- VON STEFAN DÖRING

Cristiano Ronaldo beschädigt in diesen Wochen sein eigenes sportliche­s Denkmal. Das WM-Aus mit Portugal ist nun der traurige Höhepunkt. Vielen Stars fällt es schwer, ihre Laufbahn zum richtigen Zeitpunkt auf die beste Art zu beenden. Experten erklären, warum.

Portugals Nationaltr­ainer Fernando Santos wurde deutlich. „Lasst ihn in Ruhe“, sagte er noch vor dem WM-Viertelfin­al-Aus der Portugiese­n gegen Marokko und meinte damit Superstar Cristiano Ronaldo. Den kritischen Umgang durch die Medien habe dieser „nicht verdient nach allem, was er für den portugiesi­schen Fußball getan hat“. Was vordergrün­dig dem Stürmer den Rücken stärken sollte, lässt sich aber auch anders interpreti­eren: Ronaldos Zeit neigt sich dem Ende entgegen, nur Spott muss es nun bitte wirklich nicht sein.

Die vergangene­n Wochen wirken wie eine Teilmontag­e des Denkmals, das sich Ronaldo in seiner langen Profi-Karriere selbst errichtet hatte – zumindest aus sportliche­r Sicht. Sagenhafte 701 Tore erzielte er in 949 Partien für seine Vereine Sporting Lissabon, Manchester United, Real Madrid und Juventus Turin. Für die Nationalma­nnschaft Portugals, mit der er 2016 überrasche­nd Europameis­ter wurde, waren es noch einmal 118 Treffer in 196 Spielen. Die WM in Katar war seine fünfte. Genauso häufig gewann er die Champions League, er wurde Meister in England, Spanien und Italien. Sein sportliche­s Vermächtni­s ist unbestritt­en, aber der Legendenst­atus bekommt langsam Risse.

Erst gab Ronaldo ein Eklat-Interview, auf das der Rauswurf bei seinem Herzensklu­b Manchester United folgte. Dann folgten Egomanen-Auftritte beim WM-Turnier in Katar bei immer schwächer werdenden Leistungen. Einst stand der Mann aus Madeira für Torgefahr. Diese kommt ihm immer mehr abhanden. Nur noch wenige Torschüsse pro Spiel gibt er überhaupt ab, längst hatte er seinen Stammplatz in Manchester verloren – und zum Schluss auch in der Nationalma­nnschaft. Es gibt einfach Bessere als ihn, Gefährlich­ere. Ronaldo wurde verzichtba­r, selbst im wichtigen Viertelfin­alspiel gegen Marokko saß er zunächst auf der Bank, bevor er später eingewechs­elt wurde.

Doch statt sich unterzuord­nen, sich mit der Situation abzufinden, legt der egozentris­che Ronaldo Auftritte hin, die auch Teamkolleg­en kopfschütt­elnd zurücklass­en. Während sich seine Mitspieler von den Fans nach dem Achtelfina­le feiern ließen, drehte er ab, verschwand in der Kabine. Er wusste, dass Millionen Menschen diese Szenen sehen, wie zuvor Tausende seinen Einsatz im Spiel forderten. Am Samstagabe­nd stapfte er mit Tränen in den Augen nach dem Aus gegen Marokko direkt in die Kabine, gratuliert­e dem Gegner nicht, tröstete seine Mitspieler nicht. Ronaldo ist Profi – auf und neben dem Platz. Doch mit der Karriere, die sich langsam, aber sicher gen Ende neigt, kann er sich nicht anfreunden. Ronaldo ist zerfressen vom Ehrgeiz. Passend dazu das Gerücht, er hätte abreisen wollen, nachdem ihn Santos auf die Bank verbannte. Majestätsb­eleidigung.

„Es ist das erste Mal in seiner Karriere, dass er infrage gestellt wird. Viele Dinge ändern sich gerade für ihn, er hat keine Erfahrungs­werte darin“, sagt Ex-Bundesliga-Profi Florian Kringe. Er spielte einst für Borussia Dortmund und den FC

St. Pauli, bevor eine schwere Hüftverlet­zung ihn zum Karriereen­de zwang. Inzwischen betreut er Spieler als Berater und führt regelmäßig Gespräche über die Zeit nach der Karriere. Er könne nachvollzi­ehen, dass sich Ronaldo derzeit schwertut, „Anspruchsd­enken mit den sportliche­n Möglichkei­ten in Einklang zu bringen“.

Dass sich Sportler schwer damit tun, zum richtigen Zeitpunkt ihre Karriere zu beenden – oder diese zumindest in Würde ausklingen zu lassen – ist kein neues Phänomen. Und es betrifft auch nicht nur Fußballer. Die Skispringe­r Simon Ammann (Schweiz) und Noriaki Kasai ( Japan) etwa hätten nach ihren großen Erfolgen in der Vergangenh­eit mehrfach die Möglichkei­t gehabt, zum richtigen Zeitpunkt abzutreten. Doch sie schafften es nicht. Ähnlich erging es dem deutschen Tennis-Profi Thomas Haas, der sich lange weigerte, das Unvermeidl­iche einzusehen.

Der Sportpsych­ologe René Paasch nennt das „Angst vor der Zukunft“. Paasch arbeitet mit vielen Sportlern, spricht oft mit ihnen genau über solche Situatione­n. „Ronaldo hat ein Leben lang alles für diesen Sport investiert und definiert sich darüber. Wenn man sich nicht vorstellen kann aufzuhören, tut man alles dafür, um weiterhin in der Situation zu verbleiben“, so der Sportpsych­ologe.

Man müsse bei Ronaldo anerkennen, dass er mit 37 Jahren noch immer auf diesem Niveau Fußball spiele, meint Kringe, der mit dem BVB Deutscher Meister wurde. „Er ist fitter als andere und kann sicherlich noch den Unterschie­d machen“, so Kringe. „Auch wenn das vielleicht nicht mehr in der gewohnten Regelmäßig­keit der Fall ist“. Das müsse sich Ronaldo nun eingestehe­n. Mental sei diese Phase außergewöh­nlich. Das weiß auch Sportpsych­ologe

Paasch. „Profisport­ler sind oftmals so sehr mit ihrer Sportart verbunden, dass sie Sorge davor haben, nicht mehr damit in Verbindung zu stehen“, sagt er.

Dieser Narzissmus scheint bei Ronaldo besonders ausgeprägt. Er war der erste Fußballer, der sich wichtiger nahm als den Verein selbst, der kaum jemanden anderen neben sich duldete. Er war stets die Nummer eins, auf ihn war alles ausgericht­et. Doch in den gut 20 Jahren seiner Karriere hat sich der Fußball verändert. Es sind nicht mehr nur die Einzelspie­ler, die das Spiel bestimmen. Die Mannschaft ist wichtiger geworden, die taktischen Vorgaben der Trainer sind es ebenfalls.

„Menschen blicken häufig ängstlich in die Zukunft“, sagt Paasch. Vielleicht gibt sich Ronaldo auch deshalb so, wie er das aktuell tut. Und der Sportpsych­ologe verweist zudem auf einen persönlich­en Schicksals­schlag des portugiesi­schen Superstars. „Bei Ronaldo sehen wir aber immer nur seine Außenwirku­ng. Wir sollten auch in Betracht ziehen, dass er und seine Ehefrau in diesem Jahr ein Kind verloren haben. Solche Erfahrunge­n ziehen oft außergewöh­nliches Verhalten nach sich. Man wird seinen eigenen Bedürfniss­en und fremden Erwartunge­n dann nur geringfügi­g gerecht“, so Paasch.

Bei Ronaldo kommt derzeit also eine Menge zusammen, womit ein Mensch erst einmal klarkommen muss. Seine Situation ist kaum mit der von „normalen“Profi-Sportlern zu vergleiche­n, dennoch sehen sowohl Paasch als auch Ex-Profi Kringe darin einen guten Beweis, dass man sich frühzeitig mit dem beschäftig­en muss, was nach der aktiven Karriere kommt. „Sportlern empfehle ich, sich mit kleinen Schritten Themen außerhalb des Berufsfeld­es Leistungss­port zu nähern. Wir verändern uns ein Leben lang und das bedingt eine stetige Entwicklun­g und Anpassung. In diesem Zusammenha­ng, erwähne ich auch gern Folgendes: Wir sollten weniger wollen und mehr geschehen lassen.“Ob Ronaldo das nach dem WM-Aus auch tut, wird sich zeigen.

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FOTO: PETR DAVID JOSEK/AP Cristiano Ronaldo hat bei der WM seinen Stammplatz im portugiesi­schen Nationalte­am verloren und saß zunächst auch gegen Marokko auf der Bank.

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