Rheinische Post - Xanten and Moers
Isch over? Noch lange nicht!
Er ist ein politisches Denkmal: Wolfgang Schäuble. 50 Jahre ist er jetzt im Bundestag, so lange wie noch kein anderer vor ihm. Rückschläge und Erfolge lagen bei ihm nah beinander. Warum macht der 80-Jährige eigentlich immer weiter?
BERLIN Zuletzt war es etwas ruhiger um Wolfgang Schäuble geworden. Man sah ihn zwar noch im Parlament in den hinteren Reihen, ab und an vertieft im Gespräch mit anderen Abgeordneten. Es wirkte dann meist so, als ob sie seinen Rat suchten oder man über Vergangenes plaudern würde. Aber ansonsten hat er sich rar gemacht.
Wolfgang Schäuble, der CDUMann, der fast alles in der Politik erreicht hat, ist eben „nur“noch Abgeordneter ohne besondere Funktion. Die sitzen oft hinten. Wobei: Das „Nur“trifft es nicht ganz. Denn an diesem Dienstag ist Schäuble seit 50 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages. Niemand sonst hat so eine lange Zeitspanne geschafft, keiner sonst hätte dies vielleicht gewollt. Schäuble ist ein politisches Denkmal. In diesem Jahr feierte er auch seinen 80. Geburtstag.
Er war Bundestagspräsident, Minister in unterschiedlichen Ressorts, CDU-Partei- und Fraktionschef, galt als Kandidat für das Amt des Kanzlers und des Bundespräsidenten. Beide Positionen wurden ihm verwehrt, erst von Helmut Kohl, dann von Angela Merkel. Schäuble war aber auch einer der Architekten der Deutschen Einheit. Er sorgte maßgeblich dafür, dass das Parlament nach Berlin zog – durch seine Rede im Juni 1991 im Bonner Wasserwerk, die Historiker als ausschlaggebend ansehen. Schäuble, ein Mann des geschliffenen Wortes, einer für feinsinnige und nachdenkliche Reden.
Bewundert für dieses Talent und gefürchtet für seine beißende Ironie. „Isch over“, schmetterte er als Finanzminister 2015 den Griechen während der Schuldenkrise in nicht ganz lupenreinem Englisch entgegen; auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise sprach er vom „unvorsichtigen Skifahrer“, der eine Lawine auslösen könne. Das wurde als Angriff auf Angela Merkel interpretiert. Schäuble hat Differenzen nie gescheut, war am Ende aber immer loyal. Mit Merkel schaute er sich seinerzeit trotzdem im Kino die französische Komödie „Ziemlich beste Freunde“an. Mal mehr, mal weniger traf das auf die beiden zu.
Rückschläge und Erfolge liegen bei dem Mann aus Offenburg, der bei der Bundestagswahl 2021 zum 14. Mal das Direktmandat erobern konnte, eng beieinander. 1990 schoss ihn bei einer Wahlkampfveranstaltung ein psychisch kranker Mann in den Rollstuhl. Mit vollem Einsatz arbeitete er sich zurück ins Leben und in die Politik. Mit einem handgetriebenen Rad hielt er sich fit, am liebsten auf Sylt. Während der Turbulenzen um die Spendenaffäre Helmut Kohls stürzte Schäuble 2000 als Partei- und Fraktionschef über dubiose Vorgänge um eine 100.000-Mark-Zahlung; das Zerwürfnis mit Kohl blieb für die Ewigkeit. Merkel übernahm, wurde Kanzlerin und holte Schäuble in ihr Kabinett. In der Union galt er fortan als „graue Eminenz“, der im Hintergrund die Strippen zog. Legendär ist sein Einsatz für Armin Laschet (CDU) als Kanzlerkandidat, weil er Markus Söder (CSU) nicht wollte.
2017 wurde Schäuble Bundestagspräsident. Auch weil er mit seiner scharfen Zunge und seiner Autorität
der AfD Paroli bieten sollte. Ein Leben ohne Plenum und Politik? Für ihn nicht vorstellbar. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wird am Donnerstag ein Porträt von ihm enthüllen, das in der Galerie der Bundestagspräsidenten im Paul-Löbe-Haus hängen wird. Bas ließ wissen, Schäuble habe wie nur wenige die Geschichte des Landes in den vergangenen Jahrzehnten mitgeprägt.
Und was sagt Schäuble selbst zu seinem Jubiläum? Einige Interviews hat er dann doch in diesen Tagen gegeben. Der „Taz“sagte er: „Wenn du in der Bundesliga spielst, willst du nicht absteigen.“Er habe keinen Lobbyposten gewollt, „ich bin protestantisch und wertkonservativ“. Als der 7. Deutsche Bundestag am 13. Dezember 1972 zur konstituierenden Sitzung zusammentrat, saß Schäuble zum ersten Mal als Abgeordneter im Plenarsaal. Damals wurde erstmals auch eine Frau zur Bundestagspräsidentin gewählt – die 2008 gestorbene Sozialdemokratin Annemarie Renger. Bas wird Renger und Schäuble am Donnerstagmorgen im Plenum würdigen. „Vor Eintritt in die Tagesordnung“, wie es heißt. Parlamentarische Ordnung muss sein. Das dürfte ihrem Vorgänger Wolfgang Schäuble gefallen.