Rheinische Post - Xanten and Moers

Zwischen Kanzleramt und Debatten-Camp

Seit einem Jahr ist das Duo Esken und Klingbeil an der Spitze der SPD im Amt. Zeit für eine erste Bilanz.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Bei dieser Frage kommen die beiden SPD-Vorsitzend­en kurz ins Nachdenken: Ob sie im ersten Jahr an der Parteispit­ze etwas voneinande­r gelernt haben, das sie vorher nicht wussten? Saskia Esken und Lars Klingbeil schauen einander kurz etwas fragend an. Das Duo ist genau seit einem Jahr im Amt, harmoniert erstaunlic­h gut. Und so fällt beiden auch nichts Neues ein. Als man sich entschloss­en habe, gemeinsam anzutreten, habe man sich quasi streng gegenseiti­g unter die Lupe genommen. Seitdem laufe es, so der Tenor. Die beiden verkörpern unterschie­dliche Flügel der Partei, setzen inhaltlich andere Schwerpunk­te. Und schaffen es doch, mögliche Konflikte zumindest aus der öffentlich­en Diskussion herauszuha­lten – und somit Kanzler Olaf Scholz den Rücken zu stärken.

Dennoch fällt die Bilanz der Sozialdemo­kraten im ersten Jahr als Kanzlerpar­tei gemischt aus. Die Erhöhung des Mindestloh­ns war ein zentrales Wahlverspr­echen der Sozialdemo­kraten, das eingelöst wurde. Auch die ungeliebte Hartz-IVDebatte konnte die Partei mit der

Verabschie­dung des Bürgergeld­s hinter sich lassen. Allerdings liegt man am Ende des ersten Jahres in Umfragen deutlich hinter der Union, häufig auch hinter den Grünen.

Auch mit Blick auf die Landtagswa­hlen 2022 ist die Bilanz nicht ungetrübt. Der Rückerober­ung der saarländis­chen Staatskanz­lei und der erneuten Regierungs­verantwort­ung in Hannover stehen schmerzhaf­te Stimmverlu­ste bei den Landtagswa­hlen in NRW und Schleswig-Holstein gegenüber. Das

Jahr 2023 bringt erneut vier Landtagswa­hlen. In Berlin wird sich die Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey einer vorgezogen­en Wahl stellen müssen, nachdem die Ausrichtun­g der Wahl 2021 unter einer SPD-Regierung im Chaos endete. In Bremen verlor die SPD bei der letzten Landtagswa­hl den Status als stärkste Partei, konnte aber mit einer Koalition weiterregi­eren. Bayern wiederum ist für die SPD ein schweres Pflaster. Bleibt die Wahl in Hessen, die möglicherw­eise Rückwirkun­gen auch auf das Willy-Brandt-Haus hat. Gibt es doch begründete Spekulatio­nen, dass Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser als Spitzenkan­didatin versuchen könnte, Wiesbaden zu erobern. Sollte sie dafür aus dem Kabinett ausscheide­n, könnte das eine Personalro­chade auslösen.

Was kommt im nächsten Jahr auf die Partei zu? Im Dezember 2023 wird die Partei sowohl über eine neue Parteiführ­ung entscheide­n als auch, so kündigte Klingbeil es nun an, einen Grundsatzb­eschluss zur Außen- und Sicherheit­spolitik verabschie­den. Und dann kommt noch ein Kapitel zur Sprache, das vor allem Klingbeil schmerzen dürfte. Für ihn hat es in diesem Jahr den Bruch mit seinem Mentor, Altkanzler Gerhard Schröder, gegeben. Schröders Nähe zum russischen Präsidente­n Wladimir Putin ist für die Partei ein Problem, ausgeschlo­ssen wurde Schröder jedoch nicht. Über den Kurs der Partei entschiede­n die beiden Parteivors­itzenden, der Fraktionsc­hef und der Kanzler, sagt Klingbeil, angesproch­en auf Schröder, deutlich: „Und jeder andere ist gut beraten, sich dem Kurs der Parteiführ­ung anzuschlie­ßen.“

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Die SPD-Vorsitzend­en Lars Klingbeil und Saskia Esken am Montag bei ihrer Jahresabsc­hluss-Pressekonf­erenz.

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