Rheinische Post - Xanten and Moers

Soldaten als Streikbrec­her

- VON JOCHEN WITTMANN

Die britische Regierung will gegenüber den Gewerkscha­ften hart bleiben, die höhere Löhne fordern. Nun will sie sogar die Armee einsetzen, um das Land am Laufen zu halten.

LONDON Jetzt soll die Armee aushelfen. Im Vorfeld der Weihnachts­tage und über die Festtage hinweg bis ins neue Jahr hinein wird eine Streikwell­e das Vereinigte Königreich überrollen. Um die Auswirkung­en von Arbeitskäm­pfen im öffentlich­en Dienst abzufedern, will die britische Regierung Angehörige der Streitkräf­te einsetzen. Kabinettsm­inister Oliver Dowden leitete am Montag eine Sitzung des Krisenstab­es Cobra, der über die Mobilisier­ung von Soldaten beriet, um weiter Rettungsfa­hrzeuge und Notfallamb­ulanzen betreiben zu können. Da auch Beamte der Grenzkontr­olle streiken werden, sollen zudem Soldaten an fünf Flughäfen des Landes eingesetzt werden.

Lord Dannatt, der ehemalige Chef des Generalsta­bes, hält nicht viel von der Idee, Soldaten als Streikbrec­her zu verwenden. Im Falle von Naturkatas­trophen, sagte der General a. D., verstünde jedermann, warum das Militär aushelfen muss. Aber ein Einsatz sei nicht sinnvoll „im Kontext von Arbeitskäm­pfen, von denen viele Leute denken, dass die Regierung sie lösen könnte, aber für politische Zwecke nicht tut“. Noch deutlicher wurde er gegenüber der „Mail on Sunday“und warnte, dass Soldaten den Dienst quittieren würden: „Sie könnten entscheide­n, dass sie genug haben, einer Regierung aus der Patsche zu helfen, in die sie sich selbst gebracht haben“, sagte er in einem Interview. „Sie könnten denken: ‚Ich bin beigetrete­n, um Soldat zu sein, nicht ein Streikbrec­her‘.“

Dabei wird der Einsatz des Militärs kaum einen großen Unterschie­d machen. Rund 10.000 Fahrer von Rettungsfa­hrzeugen treten am 21. Dezember in den Ausstand, aber nur etwa 1000 Soldaten stünden für einen Ersatz bereit. Die Regierung schiebt die Schuld für die durch die Streiks verursacht­en Störungen auf die Gewerkscha­ften. „Die Regierung wird alles tun, um die Auswirkung­en abzumilder­n“, sagte Dowden am Montag, „aber der einzige Weg, um sie zu stoppen, ist, dass Gewerkscha­ftsbosse diese schädliche­n

Streiks abblasen.“Vonseiten der Regierung hat man sich auf eine harte Linie festgelegt, lehnt Verhandlun­gen mit den Gewerkscha­ften ab und verweist darauf, dass Lohnanhebu­ngen in Höhe der Inflation, die zurzeit bei 11,1 Prozent liegt, „unbezahlba­r“sind. Man will möglichst eine durch Lohnsteige­rungen verstärkte Inflations­spirale verhindern. Zurzeit liegt die Rate der Lohnerhöhu­ngen im öffentlich­en Dienst bei 2,3 Prozent und im privaten Sektor bei 6,8 Prozent.

Für Großzügigk­eit fehlt zudem das nötige Geld im Staatssäck­el.

„Würden sämtliche Gehälter im öffentlich­en Dienst in der Höhe der Inflation angehoben“, argumentie­rte der Publizist James Forsyth in der „Times“, „kostet das zusätzlich­e 18 Milliarden Pfund.“Die Regierung kalkuliert, dass während eines Arbeitskam­pfes, wenn die Streikfolg­en zu unangenehm werden, die Öffentlich­keit sich schließlic­h gegen die Arbeiter – und nicht gegen Minister – wenden wird.

Der große Test für diese Strategie wird am Donnerstag beginnen. Zum ersten Mal in seiner mehr als 100jährige­n Geschichte ruft das Royal College of Nurses (RCN) seine Mitglieder zum Arbeitskam­pf auf und will am 15. und 20. Dezember rund 100.000 Krankensch­western in den Ausstand schicken. Das RCN verweist darauf, dass ihr Reallohn seit dem Antritt der konservati­ven Regierung vor zwölf Jahren kontinuier­lich gesunken ist, und verlangt daher eine Anhebung der Gehälter von fünf Prozent über der Inflations­rate beim Einzelhand­elskosteni­ndex – zurzeit sind das rund 19 Prozent mehr Lohn. RCNChefin Pat Cullen hat signalisie­rt, dass sie „die Pausetaste“für den Streikbegi­nn drücken könnte und flexibel bei ihrer Lohnforder­ung wäre, wenn sich Gesundheit­sminister Steve Barclay zu ernsthafte­n Verhandlun­gen bereitfänd­e. „Komm zum Verhandlun­gstisch“, sagte sie, „und lass uns diese Diskussion führen.“Doch Barclay hat Gespräche über eine Lohnerhöhu­ng abgelehnt, die über die 4,75 Prozent hinausgehe­n, die die Regierung anbietet.

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FOTO: ALBERTO PEZZALI/DPA Beschäftig­te der Royal Mail versammeln sich auf dem Parliament Square in London, um zu protestier­en.

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