Rheinische Post - Xanten and Moers
Soldaten als Streikbrecher
Die britische Regierung will gegenüber den Gewerkschaften hart bleiben, die höhere Löhne fordern. Nun will sie sogar die Armee einsetzen, um das Land am Laufen zu halten.
LONDON Jetzt soll die Armee aushelfen. Im Vorfeld der Weihnachtstage und über die Festtage hinweg bis ins neue Jahr hinein wird eine Streikwelle das Vereinigte Königreich überrollen. Um die Auswirkungen von Arbeitskämpfen im öffentlichen Dienst abzufedern, will die britische Regierung Angehörige der Streitkräfte einsetzen. Kabinettsminister Oliver Dowden leitete am Montag eine Sitzung des Krisenstabes Cobra, der über die Mobilisierung von Soldaten beriet, um weiter Rettungsfahrzeuge und Notfallambulanzen betreiben zu können. Da auch Beamte der Grenzkontrolle streiken werden, sollen zudem Soldaten an fünf Flughäfen des Landes eingesetzt werden.
Lord Dannatt, der ehemalige Chef des Generalstabes, hält nicht viel von der Idee, Soldaten als Streikbrecher zu verwenden. Im Falle von Naturkatastrophen, sagte der General a. D., verstünde jedermann, warum das Militär aushelfen muss. Aber ein Einsatz sei nicht sinnvoll „im Kontext von Arbeitskämpfen, von denen viele Leute denken, dass die Regierung sie lösen könnte, aber für politische Zwecke nicht tut“. Noch deutlicher wurde er gegenüber der „Mail on Sunday“und warnte, dass Soldaten den Dienst quittieren würden: „Sie könnten entscheiden, dass sie genug haben, einer Regierung aus der Patsche zu helfen, in die sie sich selbst gebracht haben“, sagte er in einem Interview. „Sie könnten denken: ‚Ich bin beigetreten, um Soldat zu sein, nicht ein Streikbrecher‘.“
Dabei wird der Einsatz des Militärs kaum einen großen Unterschied machen. Rund 10.000 Fahrer von Rettungsfahrzeugen treten am 21. Dezember in den Ausstand, aber nur etwa 1000 Soldaten stünden für einen Ersatz bereit. Die Regierung schiebt die Schuld für die durch die Streiks verursachten Störungen auf die Gewerkschaften. „Die Regierung wird alles tun, um die Auswirkungen abzumildern“, sagte Dowden am Montag, „aber der einzige Weg, um sie zu stoppen, ist, dass Gewerkschaftsbosse diese schädlichen
Streiks abblasen.“Vonseiten der Regierung hat man sich auf eine harte Linie festgelegt, lehnt Verhandlungen mit den Gewerkschaften ab und verweist darauf, dass Lohnanhebungen in Höhe der Inflation, die zurzeit bei 11,1 Prozent liegt, „unbezahlbar“sind. Man will möglichst eine durch Lohnsteigerungen verstärkte Inflationsspirale verhindern. Zurzeit liegt die Rate der Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst bei 2,3 Prozent und im privaten Sektor bei 6,8 Prozent.
Für Großzügigkeit fehlt zudem das nötige Geld im Staatssäckel.
„Würden sämtliche Gehälter im öffentlichen Dienst in der Höhe der Inflation angehoben“, argumentierte der Publizist James Forsyth in der „Times“, „kostet das zusätzliche 18 Milliarden Pfund.“Die Regierung kalkuliert, dass während eines Arbeitskampfes, wenn die Streikfolgen zu unangenehm werden, die Öffentlichkeit sich schließlich gegen die Arbeiter – und nicht gegen Minister – wenden wird.
Der große Test für diese Strategie wird am Donnerstag beginnen. Zum ersten Mal in seiner mehr als 100jährigen Geschichte ruft das Royal College of Nurses (RCN) seine Mitglieder zum Arbeitskampf auf und will am 15. und 20. Dezember rund 100.000 Krankenschwestern in den Ausstand schicken. Das RCN verweist darauf, dass ihr Reallohn seit dem Antritt der konservativen Regierung vor zwölf Jahren kontinuierlich gesunken ist, und verlangt daher eine Anhebung der Gehälter von fünf Prozent über der Inflationsrate beim Einzelhandelskostenindex – zurzeit sind das rund 19 Prozent mehr Lohn. RCNChefin Pat Cullen hat signalisiert, dass sie „die Pausetaste“für den Streikbeginn drücken könnte und flexibel bei ihrer Lohnforderung wäre, wenn sich Gesundheitsminister Steve Barclay zu ernsthaften Verhandlungen bereitfände. „Komm zum Verhandlungstisch“, sagte sie, „und lass uns diese Diskussion führen.“Doch Barclay hat Gespräche über eine Lohnerhöhung abgelehnt, die über die 4,75 Prozent hinausgehen, die die Regierung anbietet.