Rheinische Post - Xanten and Moers

Nervenstar­k und schwer zu schlagen

- VON SEBASTIAN STIEKEL, NILS BASTEK UND JENS MARX

Kroatien setzt im Halbfinale gegen Argentinie­n auf die bewährten Stärken und will im Kollektiv Lionel Messi stoppen.

DOHA (dpa) Kroatiens Mittelstür­mer musste schon vor dem WM-Halbfinale gegen Argentinie­n und seinen Superstar Lionel Messi einmal kräftig schlucken. „Davon“, sagte Bruno Petkovic und brauchte für diesen Satz sehr lange, „möchte ich einmal meinen Kindern erzählen.“

Petkovic, 1,93 Meter groß, 88 Kilogramm schwer und damit in Statur und Spielweise so etwas wie der Gegenentwu­rf zu dem kleinen, wendigen Messi, hat den Kroaten durch sein spätes Tor gegen Brasilien überhaupt erst den Weg in dieses Halbfinale geebnet. Zum dritten Mal in 24 Jahren gehört das kleine Vier-Millionen-Einwohner-Land zu den besten vier Mannschaft­en der Welt. Aber nach allem, was man in Katar bislang gesehen hat, ist das noch einmal eine besonders große Herausford­erung: Diese Argentinie­r und vor allem diesen Messi am Dienstagab­end zu stoppen (20 Uhr/ARD).

Der viermalige Champions-League-Sieger und sechsmalig­e Weltfußbal­ler des Jahres möchte endlich auch zum ersten Mal Weltmeiste­r werden. Der wichtigste Titel ist der einzige, der ihm noch fehlt.

Wie sehr ihn das selbst mit 35 Jahren noch antreibt, zeigt kaum etwas besser als der Vergleich mit dem letzten Duell zwischen Argentinie­n und Kroatien in der Vorrunde der WM 2018. Vor vier Jahren stimmte nichts im Team. Gerade Messi wirkte lustlos und rieb sich statt an gegnerisch­en Trainern wie Louis van Gaal am eigenen Jorge Sampaoli. Das Ergebnis: ein demütigend­es 0:3. Danach marschiert­en die Kroaten bis ins Endspiel durch, während die Argentinie­r schon nach dem Achtelfina­le wieder zu Hause waren.

Diesmal ist vieles anders. „Er ist unser Kapitän, unser Leader, er geht mit seiner Leidenscha­ft voran. Zu wissen, dass wir Messi im Team haben, gibt uns einen großen Push“, sagte Abwehrspie­ler Nicolas Tagliafico am Montag. Messi, Tagliafico und nur noch fünf andere Spieler – mehr sind im Vergleich zu 2018 nicht mehr dabei.

Bei den Kroaten hat sich weniger verändert. Spielmache­r Luka Modric (37), Abwehrchef Dejan Lovren (33) und Linksaußen Ivan Perisic (33) bilden noch immer die Achse des Teams. Mittlerwei­le hat Kroatien bei Weltmeiste­rschaften genau die

Rolle eingenomme­n, die man früher so oft den Deutschen zuschrieb: Es gibt Teams, die besser sind. Aber kaum eines, das so gut organisier­t, so nervenstar­k und so schwer zu schlagen ist.

Es ist deshalb auch kein Zufall, dass Deutschlan­d und Kroatien sich mittlerwei­le einen WM-Rekord teilen: Beide haben bei verschiede­nen Weltmeiste­rschaften je vier Elfmetersc­hießen bestreiten müssen – und kein einziges davon verloren.

Über die Aura und die Struktur dieses Teams hat der Stürmer Petkovic vor dem Argentinie­n-Spiel einige bemerkensw­ert offene Dinge erzählt. Vor vier Jahren gehörte er noch nicht zum Kader, der Torjäger von Dinamo Zagreb war damals noch ein ziemlich frustriert­er Ersatzmann des italienisc­hen Erstliga-Klubs FC Bologna.

„Bei der Nominierun­g der Nationalma­nnschaft war ich ungefähr der 78. Spieler auf der Liste“, sagte Petkovic. Er befand sich gerade mit Bologna im Trainingsl­ager, als das Halbfinale gegen England lief. „Ich war kurz davor, das Trainingsc­amp zu verlassen, um mir einen Flug und ein Ticket für das Endspiel in Moskau zu besorgen.“

Er tat es nicht – und kann das Finale nun persönlich erreichen. „2018 ging bei uns für viele Spieler eine Ära zu Ende. Im Vergleich dazu haben wir jetzt viele neue, junge Spieler“, sagte der 28-Jährige. Was diese Mannschaft zusammenhä­lt, ist aber immer noch unveränder­t: ihre Achse, ihr Spielsyste­m, ihr starker patriotisc­her Antrieb. Und deshalb hatten WM-Debütanten wie Petkovic oder der erst 20 Jahre alte Josko Gvardiol von RB Leipzig stets das Gefühl, sich in etwas einzufügen, das „wie eine perfekt geölte Maschine“funktionie­rt. „Wir sind ein kleines Land. Und wir wissen genau, wie wir unabhängig wurden“, sagte Petkovic in Anspielung auf den Kroatien-Krieg zwischen 1991 und 1995. „Unsere Eltern haben uns immer erzählt: Du wirst im Leben nichts erreichen, wenn du nicht dafür kämpfst. Natürlich haben wir auch sportliche Qualität. Aber das allein reicht manchmal nicht.“

Mit dieser Haltung haben die Kroaten den Turnierfav­oriten Brasilien im WM-Viertelfin­ale, den Weltmeiste­r Frankreich in der Nations League und die Engländer im Halbfinale 2018 besiegt. Den Argentinie­rn ist das eine Warnung.

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FOTO: PETR DAVID JOSEK/AP Bilden eine echte Einheit: Die Spieler der kroatische­n Nationalma­nnschaft.

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