Rheinische Post - Xanten and Moers

Weihnachte­n unter einem Dach

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Altersdurc­hschnitt Anfang 30, modisch gekleidet, manche mit Kindern auf dem Schoß, unterhalte­n sie sich angeregt bei Cocktails und Meeresfrüc­hten. Auf 80 Prozent ortsansäss­ige Ausländer schätzt Besitzer Oktay sein Publikum, die meisten davon Ukrainer und Russen. Zwist zwischen ihnen habe er noch nie gesehen, sagt er: „Die sind doch alle vor dem Krieg geflohen – das verbindet.“Türken sind dagegen kaum unter den Gästen. Die könnten sich das nicht mehr leisten, sagt Oktay. Von der Wirtschaft­skrise in der Türkei schon angezählt, müssen die türkischen Einwohner von Alanya nun mit den relativ wohlhabend­en Emigranten um Wohnraum konkurrier­en – und viele müssen den Kampf aufgeben. Lehrer und Beamte ersuchen reihenweis­e um Versetzung aus Alanya, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können, wie die örtliche Handelskam­mer berichtet. Auch im Tourismuss­ektor wandern die Beschäftig­ten aus Alanya ab in günstigere Gefilde, Hoteliers und Reiseanbie­ter ringen die Hände.

Auch die alteingese­ssene deutsche Rentnergem­einde von Alanya blickt scheel auf die Neuankömml­inge, die längst in der übergroßen Mehrheit sind, die Strände bevölkern und die Immobilien­preise hochtreibe­n. Eine Penthouse-Wohnung mit Meerblick sei neulich für zwei Millionen Dollar an einen russischen Interessen­ten verkauft worden, erzählt eine Maklerin. Die Behörden haben einige Ortsteile von Alanya inzwischen für den Zuzug weiterer Ausländer geschlosse­n, um den Anstieg der Immobilien­preise zu bremsen.

Freilich sind nicht alle Emigranten so betucht, dass sie sich Penthouse-Wohnungen leisten oder im „Lost“speisen können. Der 28-jährige Artom, der erst vor einem Monat in Alanya angekommen ist, hat seine Wohnung in Sankt Petersburg vermietet und verkauft jetzt über das Internet türkische Playstatio­n-Spiele nach Russland, um seinen Aufenthalt zu finanziere­n. Pawel, der in Russland früher in der Raketenfor­schung arbeitete, hat mit Fernkursen umgeschult auf Programmie­rer und sucht nun Fern-Arbeit bei internatio­nalen Firmen.

Weit weg vom Gerenne um Aufenthalt­sgenehmigu­ngen und bezahlbare Wohnungen unten in der Stadt atmen die Emigranten in der Muttergott­eskirche auf dem Berg auf, wenn sie sonntags von Pater Sotirius die Kommunion empfangen. Der Ökumenisch­e Patriarch von Konstantin­opel hat den belarussis­chen Priester vor einem halben Jahr aus dem Seminar von Sankt Petersburg in die Bergkirche geholt, um die wachsende orthodoxe Gemeinde von Alanya zu betreuen. Der Gottesdien­st wird auf Kirchensla­wisch gehalten, der traditione­llen Liturgiesp­rache orthodoxer Kirchen in allen slawischen Ländern, sodass sich alle Emigranten darin finden können; mit einem privaten Bus der Kirche können Besucher, die kein Auto haben, auf Anfrage sonntags auf den Berg gebracht werden. So werde es auch zu Weihnachte­n sein, das in der orthodoxen Kirche am 7. Januar gefeiert wird, sagt Pater Sotirius. Für ihn wird es ebenso wie für seine Emigranten­gemeinde das erste Weihnachte­n in der Türkei.

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Der belarussis­che Pater Sotirius in der Muttergott­eskirche von Pisidien.

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