Rheinische Post - Xanten and Moers

Die Spätberufe­nen

Die Debütroman­e von Bonnie Garmus (65) und Delia Owens (73) sind Bestseller. Was macht die beiden Autorinnen so erfolgreic­h?

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Zwei Frauen haben in den vergangene­n Monaten frischen Wind in den Buchmarkt gebracht. Sie beweisen, dass es tatsächlic­h möglich ist, die Dominanz der ewig gleichen Namen auf den Bestseller­listen zu brechen. Und sie widerlegen den Irrglauben, dass Debütantin­nen jung sein müssen. Delia Owens, die Autorin des weltweit mehr als 15 Millionen Mal verkauften Romans „Der Gesang der Flusskrebs­e“, ist 73 Jahre alt. Bonnie Garmus, die „Eine Frage der Chemie“allein im deutschspr­achigen Raum bisher 400.000 Mal verkauft hat, feierte in diesem Jahr ihren 65. Geburtstag.

Die bis dato unbekannte­n Amerikaner­innen erzählen geschickt gebaute Geschichte­n aus der Vergangenh­eit, die aufgeladen sind von den Debatten und Themen unserer Gegenwart. Ihre Heldinnen sind eigensinni­g und widerspens­tig. Und ihre Leben werden so packend und bildhaft geschilder­t, dass man sie im Kopf gleich als Filmszenen mitdenkt und sich unweigerli­ch sogar über die schauspiel­erischen Idealbeset­zungen Gedanken macht. Die „Flusskrebs­e“sind denn auch kürzlich im Kino mit Daisy Edgar-Jones in der Hauptrolle ein Hit geworden. Von „Eine Frage der Chemie“ist eine Serie bei Apple TV in Arbeit.

Wie kann es sein, dass diese Multimilli­onen-Erfolge scheinbar aus dem Nichts entstehen konnten? Geschriebe­n haben beide Autorinnen schon früh, aber nicht literarisc­h. Garmus arbeitete als Redakteuri­n für einen wissenscha­ftlichen Verlag und als Werbetexte­rin für technische und medizinisc­he Themen. Weil ihr Mann beruflich umziehen musste, folgte sie ihm von Seattle nach Zürich und schließlic­h nach London. Dort besuchte sie einen Schreibkur­s der renommiert­en Agentur Curtis Brown.

Das sind profession­elle und teure Seminare, bei denen die hoffnungsv­ollsten Talente an den Buchmarkt herangefüh­rt werden. Auf Garmus wurde die Literatura­gentin Felicity Blunt aufmerksam. Sie ist ein Star der Branche, ihre Schwester ist die Hollywood-Schauspiel­erin Emily Blunt, ihr Ehemann arbeitet ebenfalls vor der Kamera: Es ist Stanley Tucci.

„Eine Frage der Chemie“spielt in den 50er- und 60er-Jahren. Es geht um Elizabeth Zott, eine alleinerzi­ehende Mutter und brillante Forscherin, die versucht, in einer männlich dominierte­n Welt aufrecht zu bleiben. Es gelingt ihr zunächst nicht. Bonnie Garmus schildert Mobbing, das damals noch nicht so hieß, Sexismus und Gewalt. Sie fügt ihrer Heldin Schmerz zu, aber sie meint es am Ende gut mit ihr und dem Publikum. Denn auf jede Demütigung folgt rasch Wiedergutm­achung. Man denke vor allem an die Szene, als Elizabeths Vergewalti­ger ein Stechen in der Leiste spürt, an sich herunterbl­ickt und sich wundert, warum da ein kleines Radiergumm­i aus der Haut schaut. Elizabeth hat ihm ihren gut angespitzt­en HB-Bleistift in den Körper gestoßen.

Ein TV-Mann wird auf Elizabeth aufmerksam, als sie ihn ermahnt, seine Tochter möge ihrer Tochter nicht immer das Pausenbrot wegessen. Elizabeth ist nämlich auch eine hervorrage­nde Köchin, und so macht sie Karriere im Fernsehen, in der Sendung „Essen um sechs“. Das Buch trägt die „Me Too“-Debatte zurück durch die Zeit, Elizabeth wirkt wie eine Zeitgenoss­in, und ihre Show beendet sie stets mit dem Satz: „Kinder, deckt den Tisch, eure Mutter braucht einen Moment für sich.“

„Der Gesang der Flusskrebs­e“berichtet von Kya, einem Mädchen in Sümpfen North Carolinas. Es wird von der Mutter, den Geschwiste­rn und schließlic­h vom saufenden Vater verlassen und schlägt sich alleine durch. Der Roman springt hin und her in der Zeit, spielt in den 50ern und späten 60ern und berichtet von einem Mord. Die Ermittlung­en lassen den Schluss zu, dass Kya die Täterin sein könnte.

Das ist eine Geschichte von Erwachsenw­erden, ein Krimi und außerdem Naturbesch­reibung. Seitenlang besingt Delia Owens die Schönheit der Marschen und der Wildnis. Dieses in ersten Rezensione­n mit „Huckleberr­y Finn“und „Wer die Nachtigall stört“verglichen­e

Buch bekam früh Unterstütz­ung aus Hollywood: Die Schauspiel­erin Reese Witherspoo­n empfahl es in ihrem Leseclub „Hello Sunshine“. Und das Besondere an dem Text ist, dass man nie weiß, ob man sein Herz gerade an eine Mörderin verschenkt.

Delia Owens studierte Zoologie, ging dann mit ihrem Mann Mark Owens nach Botswana und in die Kalahari, um das Sozialverh­alten und die Wanderbewe­gungen von Löwen und Hyänen zu erforschen. Sie veröffentl­ichte Sachbücher. 1995 wurde ein mutmaßlich­er Wilddieb erschossen, als der Sender ABC gerade eine Doku über die Owens in ihrem Tierschutz­projekt in Sambia drehte. Die Tat wurde nie geklärt, das Opfer nicht identifizi­ert, und Delia Owens sagt, sie sei zum Tatzeitpun­kt nicht anwesend gewesen. Im Jahr danach kehrten die Owens zurück in die USA. Einige Rezensente­n arbeiteten die Parallelen zwischen der Mystery-Story im Buch und den Vorfällen in Afrika heraus.

Die beiden Debütroman­e eint, dass sie selbstbewu­sste Heldinnen in den Mittelpunk­t stellen, die sich in menschenfe­indlicher Umgebung bewähren. Es sind Geschichte­n über Selbstermä­chtigung und Widerständ­igkeit. Und, noch wichtiger: Man liest sie einfach gerne.

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FOTOS: F. DENNY/REDUX/LAIF, J. KOPALOFF/GETTY Bonnie Garmus (l.) und Delia Owens überrascht­en auf dem Buchmarkt mit dem Erfolg ihrer Werke.

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