Rheinische Post - Xanten and Moers

Mission: Licht und Wärme

- VON JAMEY KEATEN

Russlands Angriffe auf die ukrainisch­e Infrastruk­tur drohen das ganze Land zu Beginn des Winters ins Dunkle zu stürzen. Reparaturt­rupps versuchen, so schnell wie möglich die schlimmste­n Schäden zu beheben.

KIEW (ap) Oleh Braharnyk und sein Team wissen um die Bedeutung ihres Jobs: Sie werden gerufen, wenn in Kiew Straßenzüg­e und manchmal auch ganze Stadtviert­el nach russischen Angriffen ins Dunkel getaucht sind. So schnell wie möglich versuchen sie, die Stromverso­rgung wiederherz­ustellen. Auch dieser Tage sind Braharnyk und seine Leute vom Energiever­sorger DTEK in der ukrainisch­en Hauptstadt im Einsatz, um zerstörte Leitungen zu reparieren. Der Teamleiter kann gut ermessen, welche Last die Stromausfä­lle für die Menschen in der Nachbarsch­aft bedeuten. Wie sie leidet auch seine Familie unter den Folgen des russischen Bombardeme­nts: „Auch wir sitzen im Dunkeln“, sagt Braharnyk. Nur etwa die Hälfte des Tages hätten sie Strom.

Die Angriffe der russischen Truppen haben sich zuletzt verstärkt auf Anlagen und Einrichtun­gen der Stromverso­rgung gerichtet. Bei sinkenden Temperatur­en trifft dies die Ukrainerin­nen und Ukrainer umso stärker. Das Stromnetz auszuschal­ten, das für Licht und warme Wohnungen sorgt, ist Teil der Strategie, die Infrastruk­tur zu lähmen und die Ukraine damit im Winter so weit wie möglich in die Knie zu zwingen.

Braharnyk und seine Leute stellen nur eines von vielen Teams in Kiew, die alles daransetze­n, das zu verhindern. Und auch Kollegen quer durchs ganze Land sind unermüdlic­h im Reparature­insatz. Dass die Angriffe auf Gas, Wasser und Strom zu einer weiteren Front im Winter geworden sind, das haben Präsident Wolodymyr Selenskyj und viele andere aus der ukrainisch­en Führungsri­ege der Bevölkerun­g deutlich gemacht. Aktuell ist etwa die Hälfte des ukrainisch­en Energiever­sorgungsne­tzes

nach den großangele­gten Angriffen Ende November immer noch beschädigt.

Damals fielen sechs der DTEKWärmek­raftwerke aus; bis zu 70 Prozent der Einwohner Kiews waren ohne Strom. Zwar waren die Kraftwerke

binnen 24 Stunden wieder am Netz, doch die Energiever­sorgung ist nach wie vor beeinträch­tigt. Tagsüber sei rund ein Drittel der Einwohner Kiews betroffen, sagt DTEK-Sprecherin Antonina Antoscha. Seit Anfang Oktober wurden nach Angaben des Unternehme­ns die Einrichtun­gen 17 Mal Ziel von Angriffen. Mehrere Beschäftig­te seien getötet worden. Insgesamt habe der Krieg schon rund 110 Mitarbeite­r das Leben gekostet; die meisten seien an der Front getroffen worden, einige aber auch während der Arbeit oder in ihrer Freizeit.

Oleh Braharnyk und sein Team sind in ständiger Alarmberei­tschaft. Als am 23. November die ersten Raketen einschluge­n, eilten sie zu einem der Notfälle und legten umgehend fest, was getan werden musste. Für die eigentlich­en Reparature­n holten sie sich dann Verstärkun­g. „Drei oder vier Leitungen waren gerissen“, sagt Braharnyk. Es dauere mehrere Stunden, neue Leitungen zu installier­en. Oft müssen auch erst Sprengstof­fräumungse­xperten grünes Licht für die Reparatura­rbeiten geben. Oder Aufräumtru­pps müssen zunächst Trümmer und Schutt abtragen, damit der Weg zu den beschädigt­en Leitungen frei ist. Noch viel gefährlich­er war es zu Beginn des Kriegs, als die russischen Truppen bis an den Stadtrand von Kiew und in einige Stadtteile vorstießen, bevor sie wieder zurückgedr­ängt wurden. Damals mussten die Reparature­n unter anhaltende­m Beschuss erfolgen. „Das war noch viel schlimmer“, sagt Braharnyk. Jetzt habe sich die Lage verändert: „Die Raketen werden aus größerer Entfernung abgefeuert.“

Und wenn jetzt ein Alarm eingehe, sei damit zu rechnen, dass der Angriff der Stromverso­rgung gelte, erklärt Braharnyk. Ist der Einsatz der Reparateur­e nötig, rücken sie umgehend aus. Doch die Gefahr ist weiterhin immer dabei: „Denn niemand weiß, ob sie nicht noch einmal dort zuschlagen, wenn wir im Einsatz sind, eine Stelle zu reparieren, die sie gerade erst getroffen haben“, sagt der Experte. Er und seine Leute seien aber fest entschloss­en, ihre Aufgabe zu erfüllen. „Egal, was um uns herum passiert“, sagt Braharnyk, „wir sind hier, um es wieder in Ordnung zu bringen.“

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FOTO: ANDREW KRAVCHENKO/DPA Ein Paar auf dem Weg durch das verschneit­e und dunkle Kiewer Stadtzentr­um. Das Bild entstand Mitte November.
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FOTO: AP Oleh Braharnyk während eines Reparature­insatzes in Kiew.

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