Rheinische Post - Xanten and Moers
Etatberatung: Schwarz-Grün unter Druck
Bei einer Landtagsanhörung schließen sich Experten der Kritik des Landesrechnungshofs an. Die Argumentation für das Ausrufen der finanziellen Notlage gerät zunehmend ins Wanken.
DÜSSELDORF An diesem Dienstagmittag sitzen im CDU-Fraktionssaal des Düsseldorfer Landtags die Spitzen von CDU und Grünen nebeneinander und verkünden stolz, dass sie gerade in ihren Fraktionen mehr als 70 Änderungsanträge im Volumen von 0,07 Prozent des Gesamthaushalts 2023 auf den Weg gebracht haben. Es geht um Warnwesten für Kindergartenkinder, mehr Geld für Radwege an Landesstraßen, um Mittel für die innere Sicherheit.
Was Verena Schäffer, Wibke Brems (beide Grüne) und Thorsten Schick (CDU) bei ihren Ausführungen zunächst mit keinem einzigen Wort erwähnen, ist die zweite heftige Klatsche, die sich Schwarz-Grün in Sachen Haushaltspolitik am Vortag abgeholt hatte: Der Landesrechnungshof hatte nach massiven verfassungsrechtlichen Bedenken schon gegen den ersten Rettungsschirm auch den Versuch einer Nachbesserung mit einem zweiten Nachtragshaushalt als völlig unzureichend beurteilt. Nun ist unklar, ob und wie der geplante fünf Milliarden Euro schwere Rettungsschirm der Landesregierung in der kommenden Woche überhaupt verabschiedet wird. Bei einem Hauruck-Verfahren droht eine Klage der Opposition.
Erst auf Nachfragen eines Journalisten findet Schick einige beschwichtigende Worte. Man werde die Stellungnahme der Rechnungsprüfer sorgfältig auswerten, sagt der CDU-Fraktionschef. „Zentrale Aspekte der vorgebrachten Kritik werden wir dabei, wie das auch immer bei solchen Verfahren der Fall ist, bei geplanten Konkretisierungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen.“Schick verspricht: „Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung in der kommenden Woche, wenn das Plenum tagt, dann wird es die notwendige Klarheit geben.“Man werde einen verfassungskonformen Haushalt vorlegen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende fügt allerdings auch hinzu, es handle sich bei der Stellungnahme der Rechnungsprüfer
„um eine Sichtweise“. Er verwies auf das Gutachten des Passauer Verwaltungsrechtlers Rainer Wernsmann, das „mehr als nur zu einer anderen Rechtsauffassung kommt“.
Wenige Meter vom CDU-Fraktionssaal entfernt bekommt man dann allerdings den Eindruck, dass weniger der Landesrechnungshof als vielmehr das von Schick zitierte Gutachten die Minderheitsmeinung darstellt. Bei der Expertenanhörung des Haushalts- und Finanzausschusses wird es an diesem Nachmittag noch einmal unangenehm für die Koalitionäre. Rik Steinheuer, Vorsitzender des Bunds der Steuerzahler NRW, gesteht zu, dass Ukraine-Krieg und Energiepreisschock eine große Herausforderung seien, „aber im Jahr 2022 sehen wir da noch nicht die Notlage“. Gerade erst hatte die NRW-Bank Daten veröffentlicht, wonach die Unternehmen im November die Lage überraschend optimistisch einschätzen. Zugleich nennt Steinheuer die Notlagenbekämpfungsmaßnahmen zu unkonkret: „Es werden die für die Unternehmen notwendigen Transformationsprozesse genannt – wenn
Thorsten Schick CDU-Fraktionschef wir ehrlich sind, bestanden die auch schon vorher und nicht erst seit dem Energiepreisschock.“Ansonsten sei eine Bewertung des Drei-SäulenRettungsplans von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) schwierig, weil Maßnahmen nicht benannt und unbestimmt seien, so der Chef des Bunds der Steuerzahler. Steinheuer spricht zudem von Schutzbehauptungen der Landesregierung, dass es im Haushalt keinerlei Einsparpotenziale gebe: „Man kann das nicht so einfach abtun.“
Noch unangenehmer wird dann die Einschätzung des Rechtswissenschaftlers Simon Kempny von der Universität Bielefeld. Der Jurist stellt klar, dass schon die Begründung für die Notlage schlicht nicht ausreiche. „Eine Rezession allein ist noch keine Notlage“, sagte Kempny. Dazu müsse die Rezession eher das Ausmaß einer Naturkatastrophe haben – beispielhaft nennt er die Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre. Doch derzeit helle sich die Stimmung der Unternehmen in Nordrhein-Westfalen auf, die Arbeitslosigkeit sei zuletzt zurückgegangen, auch die Anzeigen von Kurzarbeit: „Eine katastrophengleiche Rezession ist überhaupt nicht festzustellen.“Damit bröckelt das Konstrukt, mit dem die Koalition die Ausnahme von der Landesschuldenbremse begründet hat.
Kempny kritisierte zudem die Pläne, wonach der Haushalts- und Finanzausschuss künftig über die Rettungsschirmmittel entscheiden solle. Dadurch würden die Fachpolitiker mit besonderer Expertise strukturell aus den Entscheidungen herausgehalten.
„Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung wird es die notwendige Klarheit geben“