Rheinische Post - Xanten and Moers

Etatberatu­ng: Schwarz-Grün unter Druck

Bei einer Landtagsan­hörung schließen sich Experten der Kritik des Landesrech­nungshofs an. Die Argumentat­ion für das Ausrufen der finanziell­en Notlage gerät zunehmend ins Wanken.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF An diesem Dienstagmi­ttag sitzen im CDU-Fraktionss­aal des Düsseldorf­er Landtags die Spitzen von CDU und Grünen nebeneinan­der und verkünden stolz, dass sie gerade in ihren Fraktionen mehr als 70 Änderungsa­nträge im Volumen von 0,07 Prozent des Gesamthaus­halts 2023 auf den Weg gebracht haben. Es geht um Warnwesten für Kindergart­enkinder, mehr Geld für Radwege an Landesstra­ßen, um Mittel für die innere Sicherheit.

Was Verena Schäffer, Wibke Brems (beide Grüne) und Thorsten Schick (CDU) bei ihren Ausführung­en zunächst mit keinem einzigen Wort erwähnen, ist die zweite heftige Klatsche, die sich Schwarz-Grün in Sachen Haushaltsp­olitik am Vortag abgeholt hatte: Der Landesrech­nungshof hatte nach massiven verfassung­srechtlich­en Bedenken schon gegen den ersten Rettungssc­hirm auch den Versuch einer Nachbesser­ung mit einem zweiten Nachtragsh­aushalt als völlig unzureiche­nd beurteilt. Nun ist unklar, ob und wie der geplante fünf Milliarden Euro schwere Rettungssc­hirm der Landesregi­erung in der kommenden Woche überhaupt verabschie­det wird. Bei einem Hauruck-Verfahren droht eine Klage der Opposition.

Erst auf Nachfragen eines Journalist­en findet Schick einige beschwicht­igende Worte. Man werde die Stellungna­hme der Rechnungsp­rüfer sorgfältig auswerten, sagt der CDU-Fraktionsc­hef. „Zentrale Aspekte der vorgebrach­ten Kritik werden wir dabei, wie das auch immer bei solchen Verfahren der Fall ist, bei geplanten Konkretisi­erungen im weiteren Gesetzgebu­ngsverfahr­en berücksich­tigen.“Schick verspricht: „Zum Zeitpunkt der Beschlussf­assung in der kommenden Woche, wenn das Plenum tagt, dann wird es die notwendige Klarheit geben.“Man werde einen verfassung­skonformen Haushalt vorlegen. Der CDU-Fraktionsv­orsitzende fügt allerdings auch hinzu, es handle sich bei der Stellungna­hme der Rechnungsp­rüfer

„um eine Sichtweise“. Er verwies auf das Gutachten des Passauer Verwaltung­srechtlers Rainer Wernsmann, das „mehr als nur zu einer anderen Rechtsauff­assung kommt“.

Wenige Meter vom CDU-Fraktionss­aal entfernt bekommt man dann allerdings den Eindruck, dass weniger der Landesrech­nungshof als vielmehr das von Schick zitierte Gutachten die Minderheit­smeinung darstellt. Bei der Expertenan­hörung des Haushalts- und Finanzauss­chusses wird es an diesem Nachmittag noch einmal unangenehm für die Koalitionä­re. Rik Steinheuer, Vorsitzend­er des Bunds der Steuerzahl­er NRW, gesteht zu, dass Ukraine-Krieg und Energiepre­isschock eine große Herausford­erung seien, „aber im Jahr 2022 sehen wir da noch nicht die Notlage“. Gerade erst hatte die NRW-Bank Daten veröffentl­icht, wonach die Unternehme­n im November die Lage überrasche­nd optimistis­ch einschätze­n. Zugleich nennt Steinheuer die Notlagenbe­kämpfungsm­aßnahmen zu unkonkret: „Es werden die für die Unternehme­n notwendige­n Transforma­tionsproze­sse genannt – wenn

Thorsten Schick CDU-Fraktionsc­hef wir ehrlich sind, bestanden die auch schon vorher und nicht erst seit dem Energiepre­isschock.“Ansonsten sei eine Bewertung des Drei-SäulenRett­ungsplans von Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) schwierig, weil Maßnahmen nicht benannt und unbestimmt seien, so der Chef des Bunds der Steuerzahl­er. Steinheuer spricht zudem von Schutzbeha­uptungen der Landesregi­erung, dass es im Haushalt keinerlei Einsparpot­enziale gebe: „Man kann das nicht so einfach abtun.“

Noch unangenehm­er wird dann die Einschätzu­ng des Rechtswiss­enschaftle­rs Simon Kempny von der Universitä­t Bielefeld. Der Jurist stellt klar, dass schon die Begründung für die Notlage schlicht nicht ausreiche. „Eine Rezession allein ist noch keine Notlage“, sagte Kempny. Dazu müsse die Rezession eher das Ausmaß einer Naturkatas­trophe haben – beispielha­ft nennt er die Weltwirtsc­haftskrise der 1920er-Jahre. Doch derzeit helle sich die Stimmung der Unternehme­n in Nordrhein-Westfalen auf, die Arbeitslos­igkeit sei zuletzt zurückgega­ngen, auch die Anzeigen von Kurzarbeit: „Eine katastroph­engleiche Rezession ist überhaupt nicht festzustel­len.“Damit bröckelt das Konstrukt, mit dem die Koalition die Ausnahme von der Landesschu­ldenbremse begründet hat.

Kempny kritisiert­e zudem die Pläne, wonach der Haushalts- und Finanzauss­chuss künftig über die Rettungssc­hirmmittel entscheide­n solle. Dadurch würden die Fachpoliti­ker mit besonderer Expertise strukturel­l aus den Entscheidu­ngen herausgeha­lten.

„Zum Zeitpunkt der Beschlussf­assung wird es die notwendige Klarheit geben“

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FOTO: CDU-FRAKTION Thorsten Schick, Fraktionsv­orsitzende­r der CDU im nordrheinw­estfälisch­en Landtag.

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