Rheinische Post - Xanten and Moers
Bereit für die nächste WM-Sensation
Heute Abend fordert Marokko bei der Fußball-WM Titelverteidiger Frankreich heraus. Rachid Riad, Ex-Trainer des TuS Xanten, und El Houcine Bougjdi vom SV Scherpenberg trauen dem Außenseiter den ganz großen Wurf zu.
MOERS/XANTEN Für gewöhnlich spielt der SV Scherpenberg in Blau und Weiß, den traditionellen Vereinsfarben. Oder in Schwarz oder auch mal Gelb. In diesen Tagen allerdings dominieren bei El Houcine Bougjdi, Spielmacher in Reihen des Fußball-Landesliga-Spitzenreiters, die Farben Rot und Grün. Der 37-jährige Mittelfeldspieler mit Regionalliga-Erfahrung ist zwar in Moers geboren und aufgewachsen, besitzt aber marokkanische Wurzeln. Die Familie stammt aus Agadir. Versteht sich also von selbst, dass im Hause Bougjdi seit einigen Tagen Fußball-Ausnahmezustand herrscht. Grund ist der sensationelle Marsch Marokkos bis ins Halbfinale der Weltmeisterschaft.
Und auch am heute Abend (Anstoß: 20 Uhr) gegen Weltmeister Frankreich traut El Houcine Bougjdi seinem zweiten Heimatland in Rot und Grün den ganz großen Wurf zu. „Nach Verlängerung steht es 1:1, dann gewinnt Marokko im Elfmeterschießen“, prophezeit der technisch versierte Spielmacher, der sechs Jahre für den VfB Homberg, drei Spielzeiten in der Regionalliga für den KFC Uerdingen und eine Oberliga-Saison für den 1. FC Bocholt bestritten hat. Am Ende seiner sechsten Saison beim SV Scherpenberg im nächsten Frühjahr soll Platz eins und der Aufstieg in die Oberliga stehen.
In dieser Woche richtet sich der Fokus weiter auf den marokkanischen Erfolgsweg durch die WM am Golf. Bougjdis Sohnemann Yanis (4) wird sein rotes Nationaldress von Achraf Hakimi tragen – „weil der so schön schnell ist“, wie Yanis über den 65-Millionen-Euro-Außenverteidiger von Paris St. Germain schon weiß. Auch Töchterlein Sofia (2) ist vor dem Fernseher in den Landesfarben gekleidet, um die größten Fußballmomente des Landes, natürlich noch unbewusst, live mitzuerleben.
„Belgien, Kanada, Kroatien, Spanien, Portugal – es ist kein Zufall, dass Marokko im Halbfinale steht bei nur einem Gegentor bisher“, zählt der in Asberg zwei Minuten mit dem Fahrrad von der Platzanlage entfernt wohnende El Houcine Bougjdi auf: „Wir haben ein vor allem in der Defensive starkes Team ohne Topspieler. Frankreich hat die besseren Einzelkönner, das ist klar.
Ich denke, wir werden wieder mörteln und einen wilden Fight liefern.“
In der Heimat sorgt die FußballSensation der Nationalmannschaft um Trainer Walid Regragui und Torwartheld Bono vom FC Sevilla für Euphorie. „Ob Familie, Freunde, Verwandte – alle schicken sich andauernd gegenseitig Fotos oder Videos. Der Auftritt der Mannschaft mit so viel Herz und Leidenschaft macht stolz“, berichtet Bougjdi.
Anfang Januar wird er wieder mit
der Familie seinen Winterurlaub im warmen Agadir verbringen. Auch dann dürfte Fußball in der 700.000 Einwohner zählenden Küstenstadt in der Südhälfte Marokkos ein Thema sein. Egal, wie die WM nun ausgehen mag. Den heimischen Erstligisten Hassania Agadir verfolgt Bougjdi ebenso: „Ich war auch schon bei einem Spiel im Stadion. Da ist die Stimmung meist ähnlich euphorisch wie bei der WM jetzt.“
Ein fußballerisch persönlicher
Höhepunkt könnte das Jahr 2023 für El Houcine Bougjdi noch bereithalten. Mit dem SV Scherpenberg fährt der 37-jährige Routinier aktuell auf Kurs Oberliga. Das Team von Trainer Ralf Gemmer hat am vergangenen Sonntag mit dem 5:4-Heimkrimi gegen den PSV Wesel die Wintermeisterschaft perfekt gemacht.
„Sicher sollten wir uns im Defensivverhalten noch verbessern. Marokko kann da ein Beispiel sein“, merkt Spielmacher Bougjdi schmunzelnd an, „offensiv sind wir natürlich sehr stark. Wir haben das Zeug dazu, in die Oberliga aufzusteigen.“Auch mit 37 will Bougjdi diese Herausforderung annehmen: „Ich fühle mich fit und bin mit Fußball noch nicht am Ende.“
Rachid Riad wird ebenfalls heute Abend voller Stolz im Nationaltrikot vor dem Fernseher sitzen, und der Fußball-Mannschaft aus seinem Heimatland die Daumen drücken. „Bei diesem WM-Turnier ist für sie jetzt alles möglich“, sagt der 51-Jährige, der als Trainer 2019 den TuS Xanten zurück in die Kreisliga A geführt hat. Auch für den Moerser, der seit 28 Jahren in Deutschland lebt, kam der Höhenflug überraschend: „Damit konnte niemand rechnen, aber wer so sehr mit Herz spielt und immer mehr als 100 Prozent gibt, wird belohnt.“Für Riad, der in Agadir aufwuchs, ist der Trainer der Star. Die Mannschaft trage die Handschrift von Walid Regragui. Und wie wird das Halbfinale gegen Frankreich ausgehen? „Marokko kommt im Elfmeterschießen weiter“, meint Riad.