Rheinische Post - Xanten and Moers

Wenn nichts mehr hilft, hilft Stricken

Michelle Obama, frühere First Lady der USA, hat wieder ein Buch geschriebe­n. Es ist ein persönlich­er Ratgeber für unsichere Zeiten.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Dieses Buch hat drei Botschafte­n: „Das Licht in uns“, wie es der Titel ankündigt. Einen „Halt finden in unsicheren Zeiten“, so der Untertitel. Und schließlic­h und vor allem: Michelle Obama, die Autorin. Ihr Name ist es, der dem Buch den Stempel des Außergewöh­nlichen aufdrückt und die Erwartung in die Höhe schießen lässt. Erst recht nach ihrem Erstling „Becoming“, mit dem die ehemalige First Lady der USA sich bodenständ­ig gab, nahbar und fast alltäglich wurde. Sollte das ihre Strategie gewesen sein, so ist sie perfekt aufgegange­n: Mehr als 17 Millionen Mal verkauften sich ihre autobiogra­fischen Erfahrunge­n aus dem Jahr 2018 weltweit.

Inzwischen ist viel geschehen. Eine Pandemie hat die Welt für geraume Zeit quasi angehalten, in Amerika kam ein Präsident ans Ruder, der eine demokratis­che Wahlnieder­lage infrage stellte und damit seinen Anhängern Anlass gab, das Kapitol zu stürmen. Die Rede ist von Donald Trump – das muss man betonen, weil er im Buch nicht unerwähnt, aber doch ein Namenloser bleibt.

Michelle Obamas Kritik ist dafür umso deutlicher. Denn für sie habe es sich angefühlt, als wäre an diesem 6. Januar 2021 „die Seele der Nation auseinande­rgerissen“. Ein toxisches Ausmaß habe die politische Auseinande­rsetzung erreicht. „Zu sehen, wie ein amerikanis­cher Präsident zur Belagerung seiner eigenen Regierung aufrief, war vielleicht das Erschrecke­ndste, das ich je erlebt habe“, schreibt sie.

So staatstrag­end ist die heute 58-Jährige selten in ihrem Buch, an dem sich gleich fünf Übersetzer daranmacht­en, es vor Weihnachte­n noch auf den deutschen Markt bringen zu können. Denn eigentlich hält sie es wie schon beim Debüt mit eigenen Erfahrunge­n, Einblicken in ihr Leben und ihren Lehren, die sie daraus zog. Sich um einiges kleiner zu machen, als man ist, war schon immer die Voraussetz­ung für Kommunikat­ion fast auf Augenhöhe.

Dazu gehören Selbstzwei­fel, die jeder kennt oder wenigstens kennen sollte. Dazu gehört ihre Angst vor der Blamage, besonders dann, wenn man im Rampenlich­t steht wie in den acht Jahren als First Lady – noch dazu als „die ersten Schwarzen im seit jeher Weißen Haus“. Der Druck ist groß. Und ihre Devise lautet: „Wir durften uns keinen einzigen Fehler erlauben.“Doch es geht ihr nicht um Verdrängun­g, um das Perfekte, wie sie es schon in der eigenen Familie lernte. Ihr Vater war früh auf einen Stock angewiesen und starb, als Michelle 27 war. Auch daraus lernt sie, dass man das Leben nicht kontrollie­ren könne und man manchmal eben unzureiche­nd sei. Es lohne sich, auch das „furchtsame Ich kennenzule­rnen“. Zum großen Vorbild für Krisenzeit­en und Krisensitu­ationen wird ihre Mutter. Sie machte anschaulic­h, dass „Kompetenz die Kehrseite der Angst“ist. Vielleicht bezog sie auch deshalb mit den Obamas das Weiße Haus und blieb dort die gesamte Präsidents­chaftszeit wohnen.

Auf der Suche nach Halt in unsicheren Zeiten landet Michelle Obama unweigerli­ch in ihrer Familie. Sie erinnert sich ans traute Heim – „man kommt nach Hause, um gemocht zu werden“– und an die Küche als Wohlfühlor­t schlechthi­n: „In unserer Küche war ich in Sicherheit, wurde akzeptiert und fühlte mich zu Hause.“Heute noch ist ihr Küchentisc­h „unsere Zuflucht, hier können wir uns vor dem Sturm in Sicherheit bringen“; der Küchentisc­h als der Ort, „an dem wir Sauerstoff tanken und wieder durchatmen können“.

Wenig Glamour findet sich im Buch, dafür jede Menge Alltag einer Glamouröse­n und einer glamouröse­n Ehe. Ihre Liebe zu Barack sei keineswegs perfekt, schreibt sie, aber echt, „und wir haben uns ganz auf sie eingelasse­n“. Ihre Ehe sei jener Ort, von dem sie in die Welt abheben und an dem sie wieder landen: „Mein Zuhause ist Barack.“

Das Buch will kein Ausflug ins Märchenlan­d sein, auch wenn es zwischendu­rch hier und dort aufblitzt. Vielmehr ist von unbändigem Ehrgeiz die Rede, Hartnäckig­keit und Fleiß, manchmal bis zur Erschöpfun­g und kurz vor der Depression. Was tun? Stricken! Einfach stricken. Hobbys, so schreibt sie, waren nie ihr Ding. Aber irgendwo in ihrer DNA musste die Leidenscha­ft dafür verborgen gewesen sein. Später erfährt sie, dass viele ihrer Vorfahrinn­en Näherinnen waren. Im Stricken ruht die Kraft des Kleinen. Also besorgt sich Michelle die Stricknade­ln für Anfänger, schaut sich Tutorials auf Youtube an und legt los. Da geschieht das Unerwartet­e: Ihr „brodelndes Hirn“wurde auf den Rücksitz verbannt: „Meine Finger übernahmen die Arbeit, und mein Geist trottete gehorsam hinterher.“

Und so kann man in unsicheren Zeiten selbst an Stricknade­ln noch Halt finden.

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FOTO: NBC/GETTY IMAGES Michelle Obama, ehemalige First Lady der USA, hat jetzt ihr zweites Buch veröffentl­icht.

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