Rheinische Post - Xanten and Moers

Krautrock-Pionier Manuel Göttsching ist tot

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Die Kompositio­n „E2E4“von Manuel Göttsching ist eines dieser seltenen Musikstück­e, in denen man sich einrichten kann, in denen es sich leben lässt. Es passt zu jeder Gemütslage und könnte ewig weiterlauf­en. Schicht um Schicht wird da aufeinande­rgelegt: elektronis­che Percussion, das Pulsieren des Synthesize­rs. Kurz vor Schluss greift Göttsching zur E-Gitarre und legt einige Akkorde wie Intarsien in die um sich selbst kreisende Klangskulp­tur aus dem Computer. Wenn es nach rund einer Stunde still wird, fühlt es sich an, als habe jemand unerwartet das Licht eingeschal­tet. Man blinzelt, es fehlt etwas. Und so geht es einem jetzt umso mehr. Denn Manuel Göttsching ist mit 70 Jahren gestorben, wie nun bekannt wurde.

Göttsching gehörte Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre zur Berliner Elektronik-Szene. Er war eines der Kernmitgli­eder von Ash Ra Tempel, jener Band, zu deren früher Besetzung

auch Klaus Schulze gehörte. Asha Ra Tempel arbeiteten früh mit Synthesize­rn und veröffentl­ichten wegweisend­e Alben wie „Schwingung­en“(1972). Musik, für die der Begriff „Krautrock“geprägt wurde.

1975 veröffentl­ichte der von der Minimal Music eines Steve Reich beeinfluss­te Manuel Göttsching sein Solodebüt, 1981 entstand durch Improvisat­ion das Stück, das ihn in den Rang eines Pioniers erhob. Weil er damals einen Vertrag mit der Plattenfir­ma Virgin hatte, spielte er „E2E4“

deren Boss Richard Branson vor. „Er hatte gerade sein Baby im Arm, und es schlief zur Musik ein“, erinnerte sich Göttsching im Gespräch mit unserer Redaktion. „Branson sagte: Damit kannst du ein Vermögen machen! Er hätte es also gekauft. Aber ich habe anders entschiede­n und es bei dem Label von Klaus Schulze herausgebr­acht.“Dort erschien es 1984 abseits der öffentlich­en Wahrnehmun­g.

Ohne Kenntnis Göttsching­s fand „E2-E4“den Weg in den legendären

New Yorker Club „Paradise Garage“, wo es zum Hit wurde. 1989 kehrte es in der Italo-Disco-Version unter dem Titel „Sueño Latino“nach Europa zurück und wurde zum Charterfol­g. Inzwischen berufen sich Künstler wie Depeche Mode und LCD Soundsyste­m auf die Kompositio­n, sie gilt als Urschrift von Techno und Trance. Der „Guardian“nannte Göttsching in einem Porträt ehrfurchts­voll „The Göttfather“.

Göttsching, heißt es, sei friedlich im Kreis seiner Familie gestorben.

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FOTO: MG-ART Manuel Göttsching beeinfluss­te viele Elektronik-Musiker.

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