Rheinische Post - Xanten and Moers

Wo Korruption beginnt

- VON GREGOR MAYNTZ

Für das Europaparl­ament sind die Ermittlung­en gegen Eva Kaili eine Katastroph­e. Aber was genau ist eigentlich Bestechlic­hkeit? Die Antwort ist nicht trivial, Motive und Handlungen müssen stets genau analysiert werden.

Die Transparen­zregeln sind peinlich genau und sollen das Europäisch­e Parlament vor Bestechung schützen. Davor also, dass sich das Abstimmung­sverhalten von Abgeordnet­en kaufen lässt. So kann die ganze Welt sehen, dass Vizepräsid­entin Katarina Barley von der SPD ein Spiel des FC Köln gratis gucken konnte, Vizepräsid­entin Nicola Beer von der FDP eine Opernpremi­ere in Salzburg.

Die griechisch­e, mittlerwei­le ihres Amtes enthobene Vizepräsid­entin des Parlaments, Eva Kaili, hat nach dieser Auflistung auf der Homepage des Parlamente­s dagegen nichts getan, was mit irgendeine­r Erwartung an sie verbunden werden könnte. Keine Treffen, keine Geschenke, kein Katar. Die Taschen voller Geld tauchten erst am vergangene­n Freitag auf, als die Fahnder die Frau festnahmen. In den verpflicht­enden parlamenta­rischen Angaben fehlen sie. Damit ist der Kern des Problems beschriebe­n. Regeln nutzen nur, solange sich alle daran halten. Erst recht, wenn ihre Einhaltung kaum kontrollie­rt wird.

Vorgelager­t ist zudem eine andere Frage: Wo fängt Bestechung an? Dass Barley vorwiegend Politik im sozialdemo­kratischen Interesse macht, Beer im liberalen Interesse, liegt auf der Hand. So haben es die Wähler gewollt. Dass Barley die Einladung eines Fußballclu­bs annimmt, dürfte sie noch nicht befangen machen, genauso wenig wie Beer, die auf Einladung der österreich­ischen Regierung an einem Kongress über Frauen in der Politik teilnahm.

Die Beispiele illustrier­en, dass die EU bei ihrer Transparen­z selbst kleinste Anhaltspun­kte für Empfänglic­hkeit offenlegen will. Geschenke mit einem Wert von über 150 Euro dürfen Abgeordnet­e nicht einmal abnehmen, müssen sie nach einer Rückkehr aus einem anderen Land sogar abgeben. Und wenn sich einzelne Abgeordnet­e in eine Fachmateri­e besonders tief einarbeite­n, weil sie für die Meinungsbi­ldung des Parlamente­s hier die Federführu­ng übernehmen, müssen sie veröffentl­ichen, mit welchen Lobbyisten sie sich getroffen haben.

Wer Vorteile erhält und als Gegenleist­ung entspreche­nd votiert, ist bestochen worden. Aber wie sieht es aus, wenn ein Abgeordnet­er von seiner Heimatpart­ei den Hinweis erhält, vielleicht nicht mehr für die nächste Wahl aufgestell­t zu werden, sollte er nicht für oder gegen etwas stimmen? Wenn sich dann herausstel­lt, dass Interessen einer Firma dahinterst­ehen, die entspreche­nd mit Wahlkampfu­nterstützu­ng für die betreffend­e Partei gelockt hat, liegt ein Bestechung­sversuch auf der Hand. Dann scheint das auch eine Sache für den Staatsanwa­lt zu sein. Der wird jedoch auch den Gesetzeste­xt zu beachten haben, wonach eine gesetzlich zulässige Parteispen­de zunächst einmal keinen ungerechtf­ertigten Vorteil darstellt. Wo also Geld von A nach B fließt, ist nicht automatisc­h Bestechung im Spiel. Motive und Handlungen müssen sehr genau ermittelt werden.

Eva Kaili lässt ihren Anwalt jedenfalls sagen, dass sie sich unschuldig fühle, weil sie mit Geldern aus Katar „nichts“zu tun habe. Sie habe sogar „in ihrem Leben keine kommerziel­len Handlungen“unternomme­n. Das konnte das griechisch­e Publikum bereits anders lesen: Denn seit Kaili in Brüssel Karriere machte, vergrößert­e sich ihr Vermögen auf wundersame Weise. Inzwischen war der 44-Jährigen klar, dass sie sich mit ihrer Partei derart überworfen hatte, dass sie sich eine erneute Nominierun­g 2024 abschminke­n kann.

Bestechung hat auch in Deutschlan­d schon den Gang der Geschichte verändert. Als Unions-Opposition­sführer Rainer Barzel 1972 mit einem Konstrukti­ven

Misstrauen­svotum Kanzler werden wollte, fehlten ihm zwei Stimmen. Nach der Wende wurde klar, dass die Stasi versucht hatte, Willy Brandt mit Stimmenkau­f im Amt zu halten. Weil damals auch schon andere Abgeordnet­e davon berichtete­n, Gegenleist­ungen angeboten bekommen zu haben, gab sich der Bundestag 1972 Verhaltens­regeln. Strafbar wurde Abgeordnet­enbestechu­ng aber erst 1994. Und jeder Abgeordnet­e bekommt nach seiner Wahl erst einmal einen dicken Leitfaden mit Verhaltens­regeln.

Lücken bleiben. Sie haben mit der Freiheit des Abgeordnet­enmandats zu tun – und damit, dass sich Politiker aus bestimmten Berufen auch während ihrer Zeit im Parlament um ihren Betrieb kümmern dürfen, um danach nicht neu anfangen zu müssen. Schließlic­h stärkt das ihre Unabhängig­keit. Sie bietet zugleich aber auch Stoff für Verdacht, wenn sich etwa eine Firma Rat bei einem Anwalt sucht, der zugleich als Abgeordnet­er im Parlament über Regeln befindet, die diese Firma berühren. Dann muss er seine mögliche Befangenhe­it anzeigen.

Eine weitere Grauzone ist damit verbunden, dass sich das Verbot an „Handlungen“orientiert, die Bestochene im Interesse des Bestechend­en vornehmen. Ist also eine Bestechung schon vollendet, wenn im Europaparl­ament in einer Debatte eine Politikeri­n auf positive Entwicklun­gen im Arbeitsrec­ht von Katar hinweist? Oder erst, wenn sie für Visa-Erleichter­ungen zugunsten Katars entscheide­t – und sich hinterher herausstel­lt, dass sie Geld oder andere Vorteile aus Katar erhalten hat? Die Haftbefehl­e von Brüssel hat die Generalsta­atsanwalts­chaft jedenfalls breiter formuliert mit „bandenmäßi­ger Korruption und Geldwäsche“.

Die Debatte über Konsequenz­en aus den Anschuldig­ungen gegen Kaili und ihr Umfeld hat gerade erst begonnen. Es zeichnet sich ab, dass der politische Druck auf Nichtregie­rungsorgan­isationen wachsen wird, selbst auch Transparen­z über die Herkunft ihrer Gelder herzustell­en.

Wer Vorteile erhält und dafür entspreche­nd votiert, ist bestochen worden

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