Rheinische Post - Xanten and Moers
Langsame Zeitenwende
Es ist die letzte Regierungserklärung in diesem Jahr: Bundeskanzler Olaf Scholz nutzt sie vor allem für eine außenpolitische Standortbestimmung. Der SPD-Politiker verurteilt die Vorgehensweise des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dieser habe sowohl den Mut der Ukrainer als auch den Willen ihrer europäischen Verbündeten unterschätzt. „Das ist die wirkliche Geschichte dieses Jahres 2022“, sagt Scholz. Heute stehe Russland so isoliert da wie nie zuvor. Das stimmt, und dazu haben die Europäische Union, Deutschland und auch Scholz ihren Teil beigetragen. Das kann sich der Kanzler auf die Fahnen schreiben.
Was jedoch auch stimmt: Russland wurde wirtschaftlich zumindest noch nicht so getroffen, wie man das im Westen gerne gehabt hätte. Die Ukraine hat zwar mit westlicher Hilfe widerstanden und Rückgewinne ihres Territoriums erzielt. Aber von einem Zurückdrängen Russlands kann derzeit keine Rede sein. Und so hat Oppositionsführer Friedrich Merz einen Punkt, wenn er kritisiert, dass nach wie vor keine Kampfpanzer an die Ukraine geliefert werden und Deutschland viel zu zögerlich sei. Dass der CDU-Vorsitzende allerdings den Kanzler persönlich dafür verantwortlich macht, schießt weit über das Ziel hinaus. Merz blendet damit aus, dass der Amtseid eines Kanzlers möglicherweise andere Entscheidungen nötig macht.
Was der Oppositionschef allerdings zu Recht scharf kritisiert, ist die trotz „Zeitenwende“nur sehr mühsam in Fahrt kommende Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Es sind fast zehn Monate seit der Scholz-Rede vergangen. Doch erst just am Tag der Regierungserklärung stehen im BundestagsHaushaltsausschuss erstmals Mittel aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr zur Freigabe an. Das ist viel zu spät.