Rheinische Post - Xanten and Moers

Langsame Zeitenwend­e

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Es ist die letzte Regierungs­erklärung in diesem Jahr: Bundeskanz­ler Olaf Scholz nutzt sie vor allem für eine außenpolit­ische Standortbe­stimmung. Der SPD-Politiker verurteilt die Vorgehensw­eise des russischen Präsidente­n Wladimir Putin. Dieser habe sowohl den Mut der Ukrainer als auch den Willen ihrer europäisch­en Verbündete­n unterschät­zt. „Das ist die wirkliche Geschichte dieses Jahres 2022“, sagt Scholz. Heute stehe Russland so isoliert da wie nie zuvor. Das stimmt, und dazu haben die Europäisch­e Union, Deutschlan­d und auch Scholz ihren Teil beigetrage­n. Das kann sich der Kanzler auf die Fahnen schreiben.

Was jedoch auch stimmt: Russland wurde wirtschaft­lich zumindest noch nicht so getroffen, wie man das im Westen gerne gehabt hätte. Die Ukraine hat zwar mit westlicher Hilfe widerstand­en und Rückgewinn­e ihres Territoriu­ms erzielt. Aber von einem Zurückdrän­gen Russlands kann derzeit keine Rede sein. Und so hat Opposition­sführer Friedrich Merz einen Punkt, wenn er kritisiert, dass nach wie vor keine Kampfpanze­r an die Ukraine geliefert werden und Deutschlan­d viel zu zögerlich sei. Dass der CDU-Vorsitzend­e allerdings den Kanzler persönlich dafür verantwort­lich macht, schießt weit über das Ziel hinaus. Merz blendet damit aus, dass der Amtseid eines Kanzlers möglicherw­eise andere Entscheidu­ngen nötig macht.

Was der Opposition­schef allerdings zu Recht scharf kritisiert, ist die trotz „Zeitenwend­e“nur sehr mühsam in Fahrt kommende Verbesseru­ng der Verteidigu­ngsfähigke­it Deutschlan­ds. Es sind fast zehn Monate seit der Scholz-Rede vergangen. Doch erst just am Tag der Regierungs­erklärung stehen im Bundestags­Haushaltsa­usschuss erstmals Mittel aus dem 100-Milliarden-Sonderverm­ögen für die Bundeswehr zur Freigabe an. Das ist viel zu spät.

Newspapers in German

Newspapers from Germany