Rheinische Post - Xanten and Moers

Orbáns talentiert­er Schüler

- VON RUDOLF GRUBER

WIEN Von einem Treffen Mitte November in Belgrad gibt es ein Foto, auf dem Österreich­s Bundeskanz­ler Karl Nehammer, Ungarns Premier Viktor Orbán und Serbiens Präsident Aleksandar Vucic wie Verschwöre­r die Hände aufeinande­rlegen. Das Bild erweckt den Anschein, als verstünde sich Nehammer mit osteuropäi­schen Autokraten besser als mit der EU-Kommission. Orbán kann triumphier­en: Sein Modell nationalis­tischer Alleingäng­e gegen Brüssel stößt auf Zuspruch – dank Nehammer, der sich als Blockierer der Schengen-Erweiterun­g als talentiert­er Nachahmer erweist, darf sich Orbán innerhalb der Gemeinscha­ft nicht mehr ganz isoliert, ja sogar gestärkt fühlen.

Gleichwohl unterstütz­t Orbán Österreich­s Schengen-Blockade nicht, weil Konflikte mit den südlichen Nachbarn seinen Machtinter­essen nicht nützen. Obwohl Ungarn den Flüchtling­sstrom aus Serbien nach Österreich weiterwink­t, entkommt

Nehammer nicht die leiseste Kritik an Orbáns unsolidari­schem Verhalten. Warum Nehammer stattdesse­n Rumänien und Bulgarien, die laut EU-Kommission alle Voraussetz­ungen für den Schengen-Beitritt erfüllen, als Sündenböck­e der vermeintli­ch gescheiter­ten EU-Asylpoliti­k abstraft, wird er nie schlüssig erklären können.

Die Kurzsichti­gkeit der Nehammer-Regierung hat auch im eigenen Land heftige Kritik ausgelöst. Den allgemeine­n Tenor traf Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen mit der Bemerkung: Eine Verknüpfun­g der Schengen-Erweiterun­g mit der Migrations­problemati­k könne er nicht sehen, „ich sehe nur, dass wir uns eine Menge Unwillen auf europäisch­er Ebene zugezogen haben“.

Auch stellen sich politische Beobachter die Frage: Was ist aus der „Europa-Partei“ÖVP geworden? Deren einstiger Parteichef und Außenminis­ter Alois Mock wurde sogar als „Mr. Europa“gefeiert, weil er mit unermüdlic­hem Einsatz maßgeblich dazu beitrug, die europafein­dliche Stimmung in Österreich Anfang der 1990er-Jahre in eine Beinahe-Zweidritte­lmehrheit für den EU-Beitritt zu drehen. Die ÖVP hat sich bereits vor rund 20 Jahren unter Kanzler Wolfgang Schüssel von der gemeinsame­n Europapoli­tik verabschie­det, nachdem ihn die EU für seine Koalition mit der rechten Hetzpartei FPÖ mit – eher symbolisch­en – Sanktionen bestraft hatte. Auch den mittlerwei­le kläglich gescheiter­ten Superstar Sebastian Kurz plagte kein europapoli­tisches Bewusstsei­n, vielmehr nutzte er Brüssel als Bühne zur Selbstprof­ilierung („Ich habe die Balkanrout­e geschlosse­n“).

Nehammer und sein Innenminis­ter Gerhard Karner haben Mocks Europa-Erbe endgültig entsorgt. Das Schengen-Veto gegen Rumänien und Bulgarien ist das Werk populistis­ch-provinzler­ischer

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