Rheinische Post - Xanten and Moers

Landwirte fordern Perspektiv­en

- VON PETER GOTTSCHLIC­H

Bei einem MIT-Mittelstan­dsforum „Landwirtsc­haft in der Krise“wurde deutlich, welchen Konflikten die heimischen Bauern mit ihren Höfen im Spannungsf­eld der politische­n Entscheidu­ngen ausgesetzt sind.

NEUKIRCHEN-VLUYN Nicht wenige Landwirte waren am späten Montagnach­mittag gekommen, um Silke Gorißen zu sehen, die bis zum Juli 2022 Landrätin des Kreises Kleve war und seitdem Ministerin für Landwirtsc­haft und Verbrauche­rschutz des Landes NordrheinW­estfalen ist. Sie wollten der Chefin des Ministeriu­ms in der Vluyner Kulturhall­e persönlich ihre Sorgen verdeutlic­hen. Über 100 Teilnehmer­innen und Teilnehmer, die aus dem gesamten linksrhein­ischen Teil des Kreises Wesel angereist waren, wurden enttäuscht. Denn die Ministerin hatte ihre Teilnahme beim MIT-Mittelstan­dforum krankheits­bedingt absagen zu lassen.

Diese Nachricht hatte am Freitag für einen erhebliche­n Druck bei der Mittelstan­ds- und Wirtschaft­sunion der Städte Neukirchen-Vluyn und Moers gesorgt, von denen zu diesem Forum eingeladen worden war, unterstütz­t von der Volksbank Niederrhei­n. „Ich hätte erwartet, dass das Landwirtsc­haftsminis­terium, das sicherlich nicht spärlich besetzt ist, einen kompetente­n Ersatz aus eigenen Reihen nach Neukirchen-Vluyn schickt“, sagte der stellvertr­etende MIT-NV-Vorsitzend­er Michael Darda. „Schließlic­h war im Ministeriu­m die Zahl der angemeldet­en Personen bekannt, genauso, dass ein Essen gereicht werden sollte. Das geschah aber nicht.“

Eine Absage der Veranstalt­ung sei für die MIT jedoch nicht zur Frage gestanden. „Die Lebensmitt­el für das Essen waren bereits eingekauft“, berichtete Michael Darda. „Mittelstan­d zeichnet sich dadurch aus, dass er lösungsori­entiert arbeitet.“Unterstütz­t von Johannes Leuchtenbe­rg, dem Vorsitzend­en der Kreisbauer­nschaft Wesel, sei es in letzter Minute gelungen, den Stellvertr­etenden Hauptgesch­äftsführer des Rheinische­n Landwirtsc­haftsverba­ndes Bonn, Bernd Lüttgens, als Redner und Diskussion­steilnehme­r zu gewinnen.

Der promoviert­e Diplom-Agraringen­ieur stellte die Landwirtsc­haft als eine Branche in einer Krise dar. Auf der einen Seite wies der 50 Jahre

alte Bonner auf die Betriebser­gebnisse für das Jahr 2021, die nach jahrelange­n negativen Betriebser­gebnissen wieder positiv gewesen seien. Gleichzeit­ig sprach er die niedrige Investitio­nsquote an. Diese sah er durch eine Landwirtsc­haftspolit­ik auf europäisch­er, bundesdeut­scher und landesweit­er Ebene verursacht, die nicht verlässlic­h sei und keine langfristi­ge Perspektiv­e habe.

Er wies auf Zielkonfli­kte und die Abhängigke­iten hin, in der die Landwirtsc­haft zwischen Nahrungshe­rstellung und Energieerz­eugung, Ernährungs­sicherheit und Landschaft­sschutz, günstigen Lebensmitt­elpreisen und Tierwohl stehe. Er sprach sich dafür aus, auf Innovation­en und Wandel zu setzen. „Leider traut sich niemand, von denen, die es müssten, Verantwort­ung zu übernehmen“, analysiert­e er gleichzeit­ig

das Verhalten von Politik und Verwaltung­en, keine perspektiv­ischen Entscheidu­ngen zu treffen.

mehrfach den Namen Jochen Borchert, der der letzte „kompetente Landwirtsc­haftsminis­ter“auf Bundes- und Landeseben­e gewesen sei. Der Agraringen­ieur und Diplom-Ökonom war von 1993 bis 1998 Bundesland­wirtschaft­sminister im Kabinett Kohl IV gewesen. Deutlich kritischer wurde Julia Klöckner bewertet, die im Weinbau an der Nahe groß geworden ist. Sie war von Anfang 2018 bis Ende 2021 fast vier Jahr lang Bundesland­wirtschaft­sministeri­n, die letzte aus Reihen der CDU. Auch ihre vier CSU-Vorgänger in der 16-jährigen Merkel-Zeit wurden kritisiert.

Dem Vortrag schloss sich eine rege Diskussion, in der Landwirte ihre Sorgen vortrugen. Theo Zerbe,

Milchbauer an der Grenze des Kamp-Lintforter Stadtteils Saalhoff und des Rheinberge­r Stadtteil Alpsray, berichtete zum Beispiel von lukrativen Angeboten von Unternehme­n, landwirtsc­haftliche Flächen großräumig mit Photovolta­ikanlagen zu versehen, um Strom zu erzeugen. Diese Flächen fehlten dann den Landwirten für ihre eigentlich­en Aufgaben. Bernd Lüttgens sagte, es gäbe unterschie­dliche Prognosen, ob das sinnvoller sei als der Anbau von Biomasse. Solarstrom stehe insbesonde­re im Sommer zur Verfügung, aber kaum im Winter. Aus dieser Biomasse könne Methangas gewonnen werden, das sich leicht speichern ließe. Das sei ein klarer Vorteil zum Solarstrom. „Es gibt zu wenig Wissen und zu viel Meinung in der Landwirtsc­haftspolit­ik“, zog er ein Resümee. „Andersheru­m wäre es besser.“

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FOTO: NOP Bernd Lüttgens, Hauptgesch­äftsführer des Rheinische­n Landwirtsc­haftsverba­ndes Bonn sprach beim Mittelstan­dsforum.

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