Rheinische Post - Xanten and Moers
Landwirte fordern Perspektiven
Bei einem MIT-Mittelstandsforum „Landwirtschaft in der Krise“wurde deutlich, welchen Konflikten die heimischen Bauern mit ihren Höfen im Spannungsfeld der politischen Entscheidungen ausgesetzt sind.
NEUKIRCHEN-VLUYN Nicht wenige Landwirte waren am späten Montagnachmittag gekommen, um Silke Gorißen zu sehen, die bis zum Juli 2022 Landrätin des Kreises Kleve war und seitdem Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes NordrheinWestfalen ist. Sie wollten der Chefin des Ministeriums in der Vluyner Kulturhalle persönlich ihre Sorgen verdeutlichen. Über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die aus dem gesamten linksrheinischen Teil des Kreises Wesel angereist waren, wurden enttäuscht. Denn die Ministerin hatte ihre Teilnahme beim MIT-Mittelstandforum krankheitsbedingt absagen zu lassen.
Diese Nachricht hatte am Freitag für einen erheblichen Druck bei der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der Städte Neukirchen-Vluyn und Moers gesorgt, von denen zu diesem Forum eingeladen worden war, unterstützt von der Volksbank Niederrhein. „Ich hätte erwartet, dass das Landwirtschaftsministerium, das sicherlich nicht spärlich besetzt ist, einen kompetenten Ersatz aus eigenen Reihen nach Neukirchen-Vluyn schickt“, sagte der stellvertretende MIT-NV-Vorsitzender Michael Darda. „Schließlich war im Ministerium die Zahl der angemeldeten Personen bekannt, genauso, dass ein Essen gereicht werden sollte. Das geschah aber nicht.“
Eine Absage der Veranstaltung sei für die MIT jedoch nicht zur Frage gestanden. „Die Lebensmittel für das Essen waren bereits eingekauft“, berichtete Michael Darda. „Mittelstand zeichnet sich dadurch aus, dass er lösungsorientiert arbeitet.“Unterstützt von Johannes Leuchtenberg, dem Vorsitzenden der Kreisbauernschaft Wesel, sei es in letzter Minute gelungen, den Stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes Bonn, Bernd Lüttgens, als Redner und Diskussionsteilnehmer zu gewinnen.
Der promovierte Diplom-Agraringenieur stellte die Landwirtschaft als eine Branche in einer Krise dar. Auf der einen Seite wies der 50 Jahre
alte Bonner auf die Betriebsergebnisse für das Jahr 2021, die nach jahrelangen negativen Betriebsergebnissen wieder positiv gewesen seien. Gleichzeitig sprach er die niedrige Investitionsquote an. Diese sah er durch eine Landwirtschaftspolitik auf europäischer, bundesdeutscher und landesweiter Ebene verursacht, die nicht verlässlich sei und keine langfristige Perspektive habe.
Er wies auf Zielkonflikte und die Abhängigkeiten hin, in der die Landwirtschaft zwischen Nahrungsherstellung und Energieerzeugung, Ernährungssicherheit und Landschaftsschutz, günstigen Lebensmittelpreisen und Tierwohl stehe. Er sprach sich dafür aus, auf Innovationen und Wandel zu setzen. „Leider traut sich niemand, von denen, die es müssten, Verantwortung zu übernehmen“, analysierte er gleichzeitig
das Verhalten von Politik und Verwaltungen, keine perspektivischen Entscheidungen zu treffen.
mehrfach den Namen Jochen Borchert, der der letzte „kompetente Landwirtschaftsminister“auf Bundes- und Landesebene gewesen sei. Der Agraringenieur und Diplom-Ökonom war von 1993 bis 1998 Bundeslandwirtschaftsminister im Kabinett Kohl IV gewesen. Deutlich kritischer wurde Julia Klöckner bewertet, die im Weinbau an der Nahe groß geworden ist. Sie war von Anfang 2018 bis Ende 2021 fast vier Jahr lang Bundeslandwirtschaftsministerin, die letzte aus Reihen der CDU. Auch ihre vier CSU-Vorgänger in der 16-jährigen Merkel-Zeit wurden kritisiert.
Dem Vortrag schloss sich eine rege Diskussion, in der Landwirte ihre Sorgen vortrugen. Theo Zerbe,
Milchbauer an der Grenze des Kamp-Lintforter Stadtteils Saalhoff und des Rheinberger Stadtteil Alpsray, berichtete zum Beispiel von lukrativen Angeboten von Unternehmen, landwirtschaftliche Flächen großräumig mit Photovoltaikanlagen zu versehen, um Strom zu erzeugen. Diese Flächen fehlten dann den Landwirten für ihre eigentlichen Aufgaben. Bernd Lüttgens sagte, es gäbe unterschiedliche Prognosen, ob das sinnvoller sei als der Anbau von Biomasse. Solarstrom stehe insbesondere im Sommer zur Verfügung, aber kaum im Winter. Aus dieser Biomasse könne Methangas gewonnen werden, das sich leicht speichern ließe. Das sei ein klarer Vorteil zum Solarstrom. „Es gibt zu wenig Wissen und zu viel Meinung in der Landwirtschaftspolitik“, zog er ein Resümee. „Andersherum wäre es besser.“